„Ich hoffe jeden Tag“ Sandersdorfer kämpft nach Unfall um Normalität
Nachdem ein Unfall den Sandersdorfer Toni Hessler aus dem Leben riss, kämpft er um Normalität. Geholfen haben ihm auch Spenden von MZ-Lesern.

Loburg/Corrientes - Es ist ein Tag im März, als Doreen Hessler mit ihrem Sohn einen Videoanruf startet - wie so oft in diesen Tagen. Auf dem Bildschirm sieht die 47-Jährige auch ihren fünfjährigen Enkel Anton. Seinem Vater spricht er zwei Worte vor. Der 29-Jährige öffnet die Lippen und wiederholt sie: „Hallo Mama.“ Doreen Hessler treibt das die Tränen in die Augen. Es sind Glückstränen. Denn dies sind zu diesem Zeitpunkt die ersten Worte, die ihr Sohn seit drei Monaten gesprochen hat.
Auch heute - gut einen Monat später - kann Toni Hessler nicht mehr sagen als diese beiden Worte. Mitte Januar wurde der Sandersdorfer (Anhalt-Bitterfeld) bei einem Motorradunfall in seiner Wahlheimat Argentinien schwer verletzt. Acht Jahre zuvor war er von Sachsen-Anhalt nach Südamerika gezogen - der Liebe wegen. Dort heiratete er seine damalige Freundin Laura, bekam mit ihr Sohn Anton, eröffnete ein eigenes Friseurgeschäft. Der Unfall hat sein Leben umgekrempelt.
Nachdem er sich mit seinem Motorrad überschlug, erlitt der 29-Jährige einen Schlaganfall, verlor seinen Schluckreflex, konnte nicht mehr laufen. Dank einer aufwendigen Therapie kämpfe er sich seitdem ins Leben zurück, erzählt seine Mutter Doreen Hessler heute. Regelmäßig hält sie Kontakt über Videoanrufe zu ihrem Sohn. Gehen könne Toni mittlerweile wieder, sprechen falle ihm nach wie vor schwer. Dass Toni durch die Therapie überhaupt wieder die Chance auf Normalität habe, verdanke sie der großen Unterstützung.
Spendenaufruf: Viel Unterstützung für Toni
Im Januar startete Doreen Hessler einen Spendenaufruf, um Geld für die Therapie und einen Flug ihres Sohnes nach Deutschland zu bezahlen. Denn: Die argentinische Krankenversicherung kommt nicht für alle nötigen Therapien und Medikamente auf. Innerhalb weniger Wochen kamen so über 3.500 Euro zusammen. Der Verein SG?Union Sandersdorf, Familie, Freunde, aber auch Leser, die durch einen MZ-Bericht auf Tonis Schicksal aufmerksam wurden, spendeten Geld. „Ohne diese Unterstützung wäre er heute nicht dort, wo er jetzt ist. Ich bin unglaublich dankbar - das ist nicht selbstverständlich“, sagt Doreen Hessler.
Noch immer zehrt die Loburgerin (Jerichower Land) von Spenden. 300 bis 400 Euro schicke sie für Tonis Versorgung monatlich nach Argentinien. Denn arbeiten kann ihr Sohn aufgrund seiner Verletzungen nicht. Seinen Friseursalon hat er auflösen müssen. Toni sei vorher sehr aktiv gewesen - hat Gitarre in einer Band gespielt, war selbstständig, trieb Sport. „Jetzt ist das Leben ein anderes.“ Nach den ersten erfolglosen Therapieansätzen sei ihr Sohn verzweifelt gewesen und wollte alles abbrechen, erzählt seine Mutter. Nur mit viel Zuspruch habe sich ihr Sohn wieder motivieren lassen. „Es gab ganz tiefe Punkte.“
Es seien vor allem die Momente mit seinem Sohn, die ihm Kraft gegeben hätten, berichtet Hessler. Der fünfjährige Anton wurde vor Kurzem eingeschult. Er übe nun gemeinsam mit seinem Vater das Schreiben. „Das ist toll. Ich sehe dann, dass mein Kind glücklich ist“, erzählt Doreen Hessler.
Sprachzentrum ist beschädigt
Laut den behandelnden Medizinern kann es bis zu zwei Jahre dauern, bis sich Toni wieder erholt. Ob er dann auch wieder sprechen kann, ist unklar. Das Sprachzentrum in seinem Gehirn ist beschädigt. „Er versteht mich oft nicht“, sagt seine Mutter. Um ihm zu helfen, das Sprechen neu zu erlernen, schreibt sie ihrem Sohn Textnachrichten über das Handy. Zuerst die Worte, dann dieselbe Botschaft als Tonaufnahme. Oft komme dann ein „Hallo“ zurück - oder das Piktogram eines ausgestreckten Daumens, erzählt Hessler. Dann wisse sie, dass er sie verstanden habe. „Es ist dolle schwer. Aber ich hoffe jeden Tag.“
Den kurzfristig geplanten Flug nach Deutschland musste die Familie indes verschieben. Die Ärzte raten davon ab. Der veränderte Druck in der Flugzeugkabine könnte Tonis Gehirn weiter schädigen. Doch Doreen Hessler hat ein neues Ziel: Im Dezember soll Toni samt Begleitung und seinem Sohn Anton den Flug nach Deutschland antreten - sofern die Mediziner zustimmen. „Er will Weihnachten zuhause sein“, sagt Hessler. Das habe ihr Sohn sich noch vor dem Unfall gewünscht. In seinem Wohnort - der Stadt Corrientes im Nordosten Argentiniens - herrschen dann mitunter 40 Grad. Weihnachtsstimmung komme da nicht auf, sagt Hessler. Und auch ihr Enkel wünsche sich sehr, einmal Schnee zu sehen. (mz/Max Hunger)