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Straffällige Flüchtlinge Sachsen-Anhalt schiebt Mörder ab

Das Land weist verurteilte ausländische Straftäter aus, die eigentlich noch im Gefängnis sitzen müssten. Warum diese Praxis ist in der Landespolitik auch umstritten ist.

Von Jan Schumann 28.10.2024, 14:00
Per Flugzeug - wie hier am Flughafen Halle/Leipzig - werden in Sachsen-Anhalt straffällig gewordene Flüchtlinge abgeschoben.
Per Flugzeug - wie hier am Flughafen Halle/Leipzig - werden in Sachsen-Anhalt straffällig gewordene Flüchtlinge abgeschoben. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Halle/MZ. - Sachsen-Anhalts Justizbehörden haben in den vergangenen Jahren mehrfach Verbrecher ins Ausland abgeschoben, obwohl die Verurteilten ihre Haftstrafen noch nicht vollständig abgesessen hatten. In den Bezirken der Staatsanwaltschaften Halle, Dessau-Roßlau und Magdeburg bestätigten die Behörden auf MZ-Anfrage insgesamt neun Fälle, in denen verurteilte Straftäter bei laufender Haftvollstreckung ins Ausland abgeschoben wurden. In allen Fällen handelte es sich um Täter, die wegen Mordes oder Totschlags verurteilt sind.

Warum die Opposition die Abschiebungen kritisiert

Am Umgang der Justiz mit ausländischen Straftätern gibt es allerdings Kritik. „Wir sind grundsätzlich gegen solche Abschiebungen“, sagte Linken-Landtagsfraktionschefin Eva von Angern der MZ. „Wer hier Straftaten begeht, muss sich auch vor unserer Justiz verantworten – bis zum Ende der Haftzeit.“ Derartige Abschiebungen sind nur möglich, wenn die Täter bereits einen erheblichen Teil der Haftstrafe abgesessen haben. Ein mögliches Problem im Fall der Abschiebung: In Einzelfällen kann unklar sein, was mit den Verurteilten in ihrer Heimat geschieht. „Es darf nicht sein, dass solch eine Abschiebung ins Heimatland wie ein Todesurteil wirkt – oder dass Täter dort wie Helden gefeiert werden“, sagte die Justizpolitikerin und Anwältin von Angern. Als warnendes Beispiel sieht sie die jüngste Abschiebung von 28 Schwerkriminellen aus Deutschland in das von den Taliban regierte Afghanistan. Einige dieser Straftäter wurden in ihrem Heimatland schon nach kurzer Zeit in die Freiheit entlassen. Das hatte ein Taliban-Vertreter Anfang September der Deutschen Presse-Agentur bestätigt: „Sie wurden freigelassen, nachdem ihre Familien schriftlich versichert hatten, dass sie keine Straftaten begehen werden.“ Im Abschiebeflieger nach Afghanistan saßen damals auch zwei Personen, die aus Sachsen-Anhalt ausgewiesen wurden. Unbekannt ist, ob sie unter den Freigelassenen sind.

Was passiert, wenn die Straftäter zurückkommen?

In Deutschland gilt: Sobald verurteilte Ausländer in der noch laufenden Haftzeit aus der Bundesrepublik abgeschoben werden, erlassen die Behörden vorsorglich einen Vollstreckungshaftbefehl. „Reisen die Verurteilten erneut in Deutschland ein, ist die Vollstreckung der Freiheitsstrafe fortzusetzen“, erklärte Halles Polizeisprecherin Ulrike Diener auf MZ-Anfrage. „Der Haftbefehl dient insoweit dem Ziel, eine sofortige Inhaftierung realisieren zu können.“ Im Klartext: Die Rest-Haftzeit erlischt innerhalb Deutschlands nicht.

In Halle fünf Fälle

Allein die Polizeidirektion Halle bestätigte auf MZ-Anfrage fünf Fälle, in denen Verurteilte bei laufender Haft abgeschoben wurden. Teilweise liegen sie bereits Jahrzehnte zurück. „Drei Fälle stammen aus den 1990er und zwei weitere aus den 2000er Jahren “, sagte Diener. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg bestätigte in jüngerer Vergangenheit drei Abschiebungen bei laufender Haft, die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau nannte auf MZ-Anfrage einen Fall.

„Abschiebung ist die schwerere Strafe“

Anders als die oppositionelle Linksfraktion sieht SPD-Innenpolitiker Rüdiger Erben kein Problem in den Abschiebungen der Verurteilten. „Es wird niemand abgeschoben, ohne dass die Staatsanwaltschaft zustimmt“, betonte der parlamentarische Geschäftsführer der Sozialdemokraten. „Im Ergebnis ist es ja auch immer so: Für den Täter ist die Abschiebung in seine Heimat regelmäßig die schwerere Strafe.“ Das gelte insbesondere in Fällen, in denen die Verurteilten zuvor bewusst nach Deutschland immigriert seien, so der Politiker.

Insgesamt sind in Sachsen-Anhalt Tausende Haftbefehle nicht vollstreckt, die Mehrzahl resultiert aber aus deutlich weniger schweren Delikten. Oft geht es um sogenannte Erzwingungshaft nach nicht-gezahlten Bußgeldern. Laut Landeskriminalamt waren im Juli insgesamt 2.694 Haftbefehle offen.