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Nachruf Sachsen-Anhalt: Ex-Regierungssprecher Franz Stänner gestorben

Franz Stänner war bei wilden Parteitagen der Grünen, teilte sich mit Claudia Roth ein Büro, erlebte hautnah Aufstieg und Fall des Ministerpräsidenten Höppner und attestierte seinem letzten Chef „Tyrannis“.

Von Kai Gauselmann Aktualisiert: 18.05.2023, 10:30
Der frühere Regierungssprecher Franz Stänner ist tot.
Der frühere Regierungssprecher Franz Stänner ist tot. (Foto: Jörg Felgner)

Magdeburg/MZ - Rhetorisch griff er lieber zum Florett als zum Säbel, er liebte die geschliffene Formulierung und den leisen Spott. Wie es ihm gehe? „Ich verberge mein Antlitz vor der Welt, wie der alte Papst“, gab Franz Stänner zurück.

Das war im März, als sich der ehemalige sachsen-anhaltische Regierungssprecher nach Jahren mal wieder meldete. Der 74-Jährige hatte sich nach einer schweren Erkrankung und familiären Schicksalsschlägen zurückgezogen in seine Wohnung, nur einige hundert Meter entfernt von der Magdeburger Staatskanzlei. Jenem Ort, an dem er die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen seines Metiers erlebte.

Pressesprecher in der Bonner Republik

Engen Kontakt hielt der Alleinstehende seit Jahren nur noch zu gut einer handvoll alter, echter Freunde aus dem Politkbetrieb, Sozialdemokraten wie dem ehemaligen Wirtschaftsminister und Finanzstaatssekretär Jörg Felgner. Verborgen und zurückgezogen mag Stänner zuletzt zwar gelebt haben. Interessiert am politischen Geschehen war er aber schon noch. Was den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine anging, erkannte er etwa seine alten politischen Freunde, die Grünen, nicht wieder. Darüber korrespondierte er noch kurz vor ihrem Tod mit Antje Vollmer.

Die erste grüne Bundestagsvize hatte Anfang März in der Berliner Zeitung als eine der „letzten Pazifisten“ einen Essay verfasst über den Krieg: „Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planenten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“ Da fand Stänner sich durchaus wieder. Auch wenn es für ihn keinen Zweifel gab, dass der Aggressor im Kreml sitzt. Kurz darauf starb Vollmer.

Als bei den Grünen die Debatte eskalierte

Stänner hat sich schon um die Grünen verdient gemacht, da war Annalena Baerbock noch im Kindergarten. Der gebürtige Westfale war vor der Wiedervereinigung in der Bonner Republik Pressesprecher der grünen Bundestagsfraktion. Die Kollegin, mit der er sich damals das Büro teilte: Die ehemalige Ton, Steine, Scherben-Managerin Claudia Roth - später Chefin der Bundespartei, Bundestagsvize und heute Staatsministerin für Kultur in der Bundesregierung. Es müssen wilde Zeiten der heute etablierten Regierungspartei gewesen sein. Stänner erzählte zum Beispiel gerne, wie es einst auf Bundesparteitagen der Grünen hoch herging und Debatten eskalierten: „Da haben sich Otto Schily und Joschka Fischer gegenseitig mit zusammengerollten Zeitungen geschlagen!“

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Magdeburg war eher eine Liebe auf den zweiten Blick

Der gelernte Lehrer ging 1994 nach Magdeburg, um Vize-Regierungssprecher der rot-grünen Landesregierung zu werden. Schnell wurde Stänner zum Vertrauten des damaligen Ministerpräsidenten Reinhard Höppner (SPD). Das Nachwende-Magdeburg war für Stänner eher eine Liebe auf den zweiten Blick. Für manche Westdeutsche, so Stänner damals, habe die Landeshauptstadt einen „Charme wie Magnitogorsk“. Die sowjetische Planstadt liegt im Südural. Andererseits, so Stänner, sei es reizvoll, „jeden Morgen zu überlegen: Wie mache ich einen Staat“.

Kurz nach der Wahl 2002: Ministerpräsident Reinhard Höppner (li.) mit seinem designierten Nachfolger Wolfgang Böhmer.
Kurz nach der Wahl 2002: Ministerpräsident Reinhard Höppner (li.) mit seinem designierten Nachfolger Wolfgang Böhmer.
(Foto: dpa/dpaweb)

Den Staat zu machen, das ging in den ersten Höppner-Jahren ganz gut. Bei den Landtagswahlen 1998 legte die SPD sogar noch weiter zu und vergrößerte den Abstand auf die CDU - allerdings kam der Koalitionpartner abhanden: Die Grünen scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde und flogen aus dem Landtag. Der Grüne Stänner aber blieb und Höppner beförderte ihn 1999 sogar zum Regierungssprecher.

Statt auf eine Große Koalition und entsprechende Stabilität zu setzen, entschied sich Höppner mit seiner SPD aber für eine alleinige Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die PDS. Es folgten wüste Jahre. Allein im Wirtschaftsministerium folgten zwei Wechsel an der Spitze: Der Minister Klaus Schucht nannte Buna „nur einen Furz in der Weltgeschichte der Chemie“, weshalb man nicht um jeden Preis die Chemie dort fördern müsse. Sein Nachfolger Matthias Gabriel äußerte sich so über Arbeitslose: „Es kann nicht sein, dass sich Menschen damit begnügen, ihre Kissen in die Fensterbank zu legen und zuzuschauen, wie andere Autos einparken, oder dass sie im Turnhemd an der Tankstelle herumhängen." Kam auch nicht so gut an. Schließlich wurde 2001 die damals erst 36-jährige Katrin Budde Ministerin.

Aber wenn man wirklich von allen Seiten belagert wird, gibt es im Inneren nur noch ein Motto: Schützt den König!

Ex-Regierungssprecher Stänner über das Ende der Höppner-Regierungszeit

Neben diesen und weiteren selbstverschuldeten Turbulenzen hielten sich die guten Nachrichten für Sachsen-Anhalt in jenen Jahren sehr in Grenzen. Es war das „Rote-Laterne-Land“: Kaum eine Statsistik, in der Sachsen-Anhalt nicht am unteren Ende rangierte. Stänner wurde in der zweiten Höppner-Amtszeit als Regierungssprecher der wichtigste, und am Ende auch einzige Berater des Ministerpräsidenten. Leute, die damals nahe dran waren, sprachen davon, dass Stänner zum „Motivator“ und „Tröster“ des angeschlagenen Regierungschefs wurde. Der hatte zum Ende seiner Amtszeit viele Gegner und nur noch wenig Unterstützung - und wurde von Stänner abgeschirmt. Das habe von außen vielleicht wie eine Wagenburgmentalität ausgesehen, meinte Stänner. „Aber wenn man wirklich von allen Seiten belagert wird, gibt es im Inneren nur noch ein Motto: Schützt den König!“, sagte er mal in einem Interview. Am Ende stand 2002 eine krachende Niederlage für Höppner - und Stänner. Die SPD verlor fast 16 Prozentpunkte und die Macht. Ministerpräsident wurde Wolfgang Böhmer (CDU). Seitdem ist die CDU in Sachsen-Anhalt stärkste Kraft und stellt den Regierungschef bis heute.

Die Freundschaft zu Höppner aber blieb, bis zu dessen Tod 2014. Stänner war sein Sprecher bis zum Schluss: In Abstimmung mit der Familie verbreitete und bestätigte er gegenüber Medien die Nachricht vom Tod des Ex-Ministerpräsidenten.

In seinem Metier, als Pressesprecher, blieb Stänner nach dem Machtwechsel 2002 nur, kleinere Brötchen zu backen. Unter anderem wurde er Stadtsprecher in Halle und kehrte als Sprecher der SPD-Landtagsfraktion nach Magdeburg zurück. Über die Funktion als Pressesprecher hinaus agierte Stänner aber erst wieder auf seiner letzten beruflichen Station: als Sprecher des damaligen Finanzministers und Vize-Ministerpräsidenten Jens Bullerjahn (SPD).

Als sich die SPD-Platzhirsche mit den Geweihen verhakten

Die SPD-Platzhirsche Bullerjahn und der damalige Innenminister Holger Hövelmann hatten sich in einem Machtkampf um die Spitzenkandidatur 2011 mächtig mit den Geweihen verhakt, hatten sich auf einem Parteitag offen gestritten und Bullerjahns Staatssekretär Christian Sundermann war im Konflikt mit seinem Chef zurückgetreten. Stänner schrieb daraufhin an gut zwei Dutzend führende Sozialdemokraten einschließlich Bullerjahn und Hövelmann einen Brandbrief. Er enthielt eine klare Analyse, wie all die Querelen die Wahlchancen der SPD minderten, in Erinnerung blieben aber vor allem typische Florettsätze Stänners: Er attestierte den beiden Spitzen-Sozialdemokraten „ein interessantes Kommunikationsmuster, das im wirklichen Leben gern zu Scheidungen führt. Es führt selten zur Spitzenkandidatur“. Hövelmann bescheinigte er: „Die Aura des Erfolges umgibt den Innenminister derzeit nicht.“ Für seinen damaligen Chef Bullerjahn spitzte Stänner das Rhetorik-Florett sogar noch extra an: „UnserJens sendet im täglichen Verhalten verwirrende Doppelbotschaften aus. Einerseits ist er der nette Kumpel aus Ziegelroda, andererseits greift er bei der Durchsetzung seiner Interessen zu Verhaltensweisen, die in der politischen Ideengeschichte hinreichend beschrieben sind: Tyrannis.“ Es sind schon Leute für weniger entlassen worden. Stänner durfte bleiben, bis er dann später in Altersteilzeit ging. Und sein Antlitz vor der Welt verbarg, wie er dann über sich selbst spottete.

Er blieb, was er immer war: Ein unabhängiger, kritischer und freier Geist.

Jörg Felgner, Ex-Minister und enger Freund Stänners

„Persönliche Schicksalsschläge und Erkrankungen in den letzten Lebensjahren ließen ihn zunehmend zurückgezogener und nachdenklicher werden, aber er blieb, was er immer war: Ein unabhängiger, kritischer und freier Geist“, sagt Jörg Felgner, einer seiner engsten Freunde in Magdeburg. „Stellvertretend für viele seiner Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter möchte ich ihm als guten Ratgeber und brillanten Gesprächspartner für eine bereichernde Freundschaft von ganzem Herzen danken.“

Es war Felgner, der seinen Freund am Montag trotz einer Verabredung nicht erreichte und den Rettungsdienst alarmierte. Die Helfer fanden Stänner leblos in seiner Wohnung. Die genaue Ursache ist unklar, er soll bereits am Vortag eines natürlichen Todes gestorben sein. Franz Josef Stänner war geschieden und hatte keine Kinder. Er wurde 74 Jahre alt. Der aktuelle Regierungssprecher Matthias Schuppe würdigte seinen Amtsvorgänger: „Er hat mit Leidenschaft, Klugheit, Weitblick und Humor die Regierungsarbeit erklärt und für die Öffentlichkeit aufbereitet.“