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300 Jahre Kant Immer zur Freiheit

Ein Radikaler im öffentlichen Dienst: Vor 300 Jahren wurde der Philosoph Immanuel Kant geboren. Seine Kritik der Denk- und Herrschaftsroutinen wirkt bis heute.

Von Christian Eger 21.04.2024, 16:35
Denkmal für Immanuel Kant vor der Universität im russischen Kaliningrad, vormals Königsberg
Denkmal für Immanuel Kant vor der Universität im russischen Kaliningrad, vormals Königsberg (Foto: Imago)

Halle/MZ. - Am Westrand der Wörlitzer Anlagen liegt, leicht versteckt, das Labyrinth. Ein Ineinander von kurvigen Wegen und kleinen Architekturen, das Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau 1783 nicht nur als eine „Allegorie des menschlichen Lebens“, sondern auch als ein Denkmal in eigener Sache gestalten ließ – als ein Hinweis auf die verschlungenen Pfade der eigenen Biografie.

Mittendrin empfängt ein Rondell. Drei von Säulen gefasste Sandsteinnischen, von denen zwei die Büsten von Männern rahmen, denen der Fürst in geistig-geistlicher Hinsicht einiges zu verdanken hatte: der Dichter Gellert und der Theologe Lavater. Die dritte Nische aber blieb leer.

Provokation in Wörlitz

Ein Zustand, den die Zeitgenossen nicht hinnehmen wollten. Als 1797 der Weimarer Pädagoge Karl August Böttiger das Rondell betrat, meldete er Ungeheuerliches. „Es war zu erwarten“, notierte der Spaziergänger, „daß unberufene Richter ihren Vorwitz in die leere Nische gekritzelt haben würden. Wirklich stand Kant mit großen Buchstaben darin angeschrieben.“

Kant! Das war inmitten eines fürstlichen Gartens eine intelligente Provokation. Und eine Wahl, die der Regent keinesfalls selbst getroffen hätte. Kant, der heute vor 300 Jahren im ostpreußischen Königsberg geboren wurde, hatte zwar die vor 250 Jahren in Dessau gegründete und vom Fürsten protegierte Privatschule Philanthropin als „Stamm-Mutter aller guten Schulen“ beworben, aber sein Bildnis findet sich nicht unter den zahlreichen Gelehrtenporträts der Wörlitzer Schlossbibliothek.

Auch wenn die Werke des Philosophen, der die Französische Revolution durchweg bejahte, am Dessauer Hof vereinzelt gelesen wurden, galt er nicht als propagandatauglich. Ein „väterliches“ fürstliches Regime, wie es in Dessau herrschte und das – bei aller aufklärerischen Tendenz – die Untertanen wie Kinder führte, wurde von ihm als „der größte denkbare Despotismus“ bezeichnet.

Sei kein Wurm!

Kant setzte auf kritische Öffentlichkeit und Rechtsstaatlichkeit, auf Mündigkeit statt politischer Vormundschaft. Den Menschen zum selbstverantworteten Handeln, kurzum zur Freiheit zu ermächtigen, das war das Projekt des Mannes, dessen Lebenswerk der grundstürzenden Kritik aller eingeschliffenen Denk-und Herrschaftsroutinen gewidmet war. Der Kritik der geistigen, geistlichen und politischen Verhältnisse. Diese Kritik betrieb Immanuel Kant mit einer solchen intellektuellen Rücksichtslosigkeit, dass der Philosophie-Professor als ein „Radikaler im öffentlichen Dienst“ nicht falsch bezeichnet ist.

1724 geboren als Sohn eines Handwerkers, ging Kant einen Weg, der für sein Herkunftsmilieu nicht selbstverständlich war. Freilich, er hatte auch Glück, dass ihn der Rektor des besten Gymnasiums vor Ort für seine Schule entdeckte, die nur der Oberschicht vorbehalten war. Aber was Kant daraus machte – die Laufbahn hin zu einem Philosophen, der nahezu die gesamte geistige Welt neu zu vermessen suchte –, das kam ganz aus ihm selbst.

Ein Werk, das vier Fragen abarbeitet: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?“ Und: „Was ist der Mensch?“ Den begreift Kant nicht – wie der Anti-Kant Nietzsche – als ein orientierungsloses Tier, sondern – und das macht den Unterschied – als ein Wesen, das zur Freiheit fähig ist. Die entspringt für Kant aus dem Gebrauch der Vernunft und ist an Verantwortung gebunden. Kant spricht vom „moralischen Gesetz in mir“.

Selber denken! Verantwortlich handeln! Nicht Spielball der äußeren, vorgefundenen Verhältnisse sein. Das galt 1789 wie 1989 und danach. Denn: „Wer sich aber zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen, dass er mit Füßen getreten wird“. Statt dessen: Gestalter, nicht Mitläufer sein. Akteur eines Handelns, dessen Maxime – das meint Kants „Kategorischer Imperativ“ – jederzeit zu einem allgemeinen Gesetz taugen könnte.

Freilich zu einem Gesetz zum Besten des Menschen. Der ist für Kant nicht einfach ein biologisches Wesen, sondern ein sittlich-politisches Projekt. Ist nicht Mittel, sondern Zweck. Einer, in dem das Gute als der „gute Wille“ wie ein Instinkt schon angelegt, aber noch nicht voll ausbildet sei. Auch hier: ein offener Prozess, als den Kant „Aufklärung“ (ohne Artikel) begreift – als „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“.

Zur Hoffnung verpflichtet

Das mag etwas sonntagsredenhaft klingen, besitzt aber in seinen Anwendungen auf die Wirklichkeit, die Kant in seinen Büchern kleinstteilig durchführt, starke politische, geistige und sittliche Brisanz. Kant, der 1804 in Königsberg starb, ist kein Märchenonkel, sondern ein Autor, der in seiner Genauigkeit, Klarheit und Umsichtigkeit fesselt und stärkt. Einer, der ausdrücklich zur Hoffnung verpflichten will. Und dessen Name genau deshalb heute wie damals zum öffentlich ausgestellten Schriftzug taugt.