Gefeiert und gemieden: Der hallesche Psychiater Hans-Joachim Maaz wird 80 „Ich rede mit allen“
Der hallesche Psychiater Hans-Joachim Maaz wurde einst viel gefeiert, heute gilt er manchem als unerwünscht. Ein Treffen zum 80. Geburtstag

HALLE/MZ - Ohne ein erklärter Oppositioneller gewesen zu sein, gehörte Hans-Joachim Maaz zum kleinen oppositionellen Spektrum der DDR-Gesellschaft. Weder war er im politischen Mainstream zu verorten, noch im Mainstream der Evangelischen Kirche, unter deren Dach er 1980 bis 2008 als Chefarzt die Psychotherapeutische und Psychosomatische Klinik im Evangelischen Diakoniewerk in Halle leitete.
Hier leistete er viel Pionierarbeit. Im Schutzraum der Kirche entwickelte der Psychiater seine Theorie der „normopathischen“ Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die das seelisch Kranke – das Pathologische – zur Normalität erklärt und das seelisch Gesunde zum Kranken. In der DDR war das brisant. Maaz-Vorträge waren bestens besucht. Seine vor 1989 für die halleschen Theologen gehaltene Vorlesung „Psychotherapeutische Grundlagen der Seelsorge“ erlebten Studenten, die dabei waren, als das freieste, was an der Universität geboten wurde.
Was Hans-Joachim Maaz über die DDR zu sagen hatte, veröffentlichte er 1990 in dem Buch „Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR“. Noch nach 30 Jahren: Dieses Buch gehört zum anregendsten, klügsten und streitbarsten, was über die DDR und deren letzte Monate zu lesen ist. Ein Bestseller, dem andere folgten: „Der Lilith-Komplex“, „Die narzisstische Gesellschaft“, „Das gespaltene Land“.
Es war einmal. Der renommierte Beck-Verlag hat sich von Maaz getrennt. Sein öffentliches Echo findet der Psychiater heute vorzugsweise in den sogenannten alternativen Medien. Warum?
Wer hat sich verändert?
Maaz polarisiert. Er hat öffentlich gegen „unkontrollierte Migration“ protestiert. Als Kritiker der Corona-Politik zog er auf den halleschen Markt, wo er neben erklärten Rechten auftrat. Die Ini-tiative „Halle gegen rechts“ unterstellte ihm jetzt, ein „seit 2016 relevanter Akteur der extremen Rechten“ zu sein. Nicht ohne Wirkung: Die Evangelische Kirche, die es noch bis 1989 schaffte, kontroversen politischen Positionen einen Diskussionsraum zu bieten, verschloss ihm die Tür. Die Paulus-Gemeinde in Halle lud ihn als Referenten aus. Wer hat sich verändert: Maaz oder die Gesellschaft? Eine Frage aus gegebenem Anlass: An diesem Freitag wird der Psychiater 80 Jahre alt.
Dass sein Vertrauen erschüttert sei, sagt er am Telefon. Auch gegenüber der MZ. Dann öffnet er doch die Tür im halleschen Mühlwegviertel. Der helle Praxisraum seiner Frau: Therapeuten-Couch, Schrankwand und zwei Sessel.
Herr Maaz, hat Sie die Ausladung der Kirche überrascht? Ja, sagt er, vor allem die Begründung habe ihn irritiert. Dass die Gemeinde die Rede vom Sprachrohr der extremen Rechten übernommen hätte. Mehr aber die Aussage, dass das, was er verbreite, „nicht im Sinne der christlichen Nächstenliebe“ sei. Angst vor Protesten hätte er verstanden. Aber das?
„Mein ganzes berufliches, publizistisches und privates Leben steht im Dienst dessen, was man Nächstenliebe nennt“, sagt er. „Verstehen wollen, Spaltung überwinden. Ich hatte für mich immer das Schlagwort: Demokratie ist ,sowohl als auch’. Es muss aufhören mit dem Entweder-Oder. Nur gut, nur schlecht. Das kannte ich schon aus der DDR. Und jetzt ist es wieder so.“
Gern mit direkter Ansprache
Tatsächlich ist es falsch, Maaz in die rechtsextreme Ecke zu verweisen, wenn dieser Begriff seine Trennschärfe behalten soll. Andererseits scheut sich Maaz nicht, in eindeutig rechten Medien aufzutreten, von der rechtskonservativen „Jungen Freiheit“ bis zum russischen Propaganda-Sender „Russia Today“.
Haben Sie keine Berührungsängste? Nein, sagt Hans-Joachim Maaz, „Berührungsängste habe ich prinzipiell nicht, weil ich mit allen rede. Mein Beruf als Psych-iater ist Zuhörer, Versteher sein. Ich kann nicht anders.“ Aber als Demonstrant sind Sie doch nicht mehr nur Zuhörer, sondern selbst schon politischer Aktivist?
Nein, meint Maaz. „Aktivist“ würde er nicht sagen. Er sehe keinen Unterschied zwischen öffentlichen Vorträgen, Büchern und öffentlichen Auftritten als Demonstrant. „Was öffentlich unterdrückt wird, öffentlich zu machen“, darum ging und gehe es ihm immer.
Gern mit direkter Ansprache. Herausfordernd, auch breitseitig. In der Talkshow „Anne Will“ zog Maaz 2016 gegen die abwesende Bundeskanzlerin zu Felde. Angela Merkel habe eine „narzisstische Grundproblematik“, sagte er, sie handle „vollkommen irrational“. Einsamkeit und Alkohol, das sehe er voraus, dann „ein psychischer Zusammenbruch“. Ein verstörender Auftritt. „Das würde ich heute nicht mehr so machen“, sagt er. „Ich sehe Angela Merkel schon noch als auffällige Persönlichkeit, aber das sollte man als Psychiater nicht in der Öffentlichkeit sagen. Ich hätte das nicht tun sollen.“
Psyho-Tüv für Politiker
Politik und Psyche: Hans-Joachim Maaz, 1943 geboren im Sudetenland und mit seiner Familie vertrieben in die spätere DDR, unterscheidet eine nur äußere, rein funktionale, allein von Gesetzen zusammengehaltene, von einer inneren, tatsächlich gelebten, von sozial und seelisch souveränen Menschen getragenen Demokratie. Die äußere gilt ihm als falsche Demokratie, als „Demokratie-Spiel“, die innere als wahr.
Aber worauf läuft das hinaus, auf einen Psycho-Tüv für Politiker? „Tüv wäre etwas reißerisch. Aber ja, der Politikerberuf ist der einzige, der keine Ausbildung und Prüfung hat. Das kritisiere ich. Um Politiker zu sein, müsste man eine Ausbildung, vor allem eine persönliche Eignungsprüfung absolvieren.“ Ist das realistisch? „Nein. Aber man sollte fragen, warum es nicht realistisch ist.“
Vom „Demokratie-Spiel“ ist im neuen Maaz-Buch „Angstgesellschaft“ (Frank & Timme Verlag) die Rede. Eine Generalkritik der Corona-Politik. Dabei: Maaz ist kein Corona-Leugner. Er ist mehrfach geimpft. Trotzdem ist seine Kritik schonungslos. Vieles ist richtig, vieles verstörend. Die vage Rede vom „großen Plan“ etwa oder der Ruf: „Ehret die ,Verschwörungstheoretiker’.“ Warum? Außenseiter gelten Maaz als „Salz der Offenheit und Freiheit“. Vor 1989 sprach der Psychiater mit allen, den Staatsnahen und den Staatsfernen. In der überschaubaren vormodernen DDR-Gesellschaft ohne Öffentlichkeit galt das als mutig und subversiv. Heute hingegen in Teilen als fahrlässig oder naiv. Wer hat sich verändert? Die Gesellschaft ist größer geworden, öffentlicher, vielgestaltiger, komplizierter und gnadenloser. Vor allem auch: jünger. Aber auch Maaz hat sich verwandelt: Er ist unbedingter geworden, draufgängerischer, erratisch.
Wie blickt er auf den Ukraine-Krieg? „Das ist das Schrecklichste, was ich in meinem Leben noch erleben muss. Ich bin entsetzt und empört über die wachsende Kriegslust in Deutschland.“ Weniger als über den russischen Angriff? Nein, sagt Maaz, aber er halte Waffenlieferungen „für Wahnsinn“. Das Wagenknecht-Schwarzer-„Manifest für den Frieden“ hat er gerade erst unterschrieben. Einwände lässt er gelten.
Kein letztes Buch
Ein Ehrensymposium gab es zu seinem 70. Geburtstag. Der 80. wird kleiner ausfallen. Freunde und Kollegen. Daneben die Arbeit. Nach 15.000 Therapien: Hans-Joachim Maaz praktiziert nicht mehr, leistet aber Supervisionen, Beratungen und Eltern-Workshops in der Hans-Joachim Maaz-Stiftung für Beziehungskultur in Halle, einem Weiterbildungsinstitut, das er genauso leitet wie das Choriner Institut für Tiefenpsychologie und psychosoziale Prävention. Aus der Kirche ist er vor wenigen Jahren ausgetreten. Zu wenig Spiritualität, sagt er, zu viel regierungsnahes Politisieren.
Es sei sein letztes Buch, steht in „Angstgesellschaft“. Tatsächlich? Es sammle sich wieder „inneres Material“, sagt Hans-Joachim Maaz. Thema? „Die seelischen Grundlagen von Friedensfähigkeit und Kriegshetzerei“. Er wird schreiben müssen. „Wissen Sie, ich bin ein Kriegskind, ein Vertreibungskind. Die frühen Erinnerungen kommen wieder hoch.“