Ausstellung im Stadtmuseum Halle Europa vor dem Feldgericht
Mehr als 120 Juristen, mehr als 1.200 Todesurteile: Eine internationale Ausstellung in Halle zeigt erstmals das Wirken des Deutschen Reichskriegsgerichts von 1936 bis 1945.
Halle/MZ. - Gemessen an seiner territorialen Präsenz und Durchschlagkraft, war das unter den Nazis errichtete Reichskriegsgericht eine der mächtigsten Justiz-Behörden, die es in Deutschland, ja in Europa jemals gegeben hat. Gegründet 1936 – was damals zeigte: Es wird Krieg geben –, arbeitete es bis Kriegsende 1945. Bis 1943 von Berlin-Charlottenburg, dann von Torgau aus herrschte es über das von den Deutschen besetzte Europa bis Nordafrika. Mehr als 1.200 Todesurteile sowie Einlieferungen in Zuchthäuser, Konzentrationslager und Wehrmacht-Strafeinheiten schlagen zu Buche.
Kein Buch, keine Forschung
Eine Behörde mit einer monströsen Zuständigkeit und Bilanz, die aber nie zu jener Aufmerksamkeit gelangte, die seiner Wirkmacht entspricht. Es gibt bis heute nicht das große Buch zur Sache. Keine universitäre Forschung. Es gab einmal eine kleine Tafelausstellung in Berlin, mehr nicht. Vom sogenannten Volksgerichtshof, dem zivilen Pendant, ist viel zu hören, nicht aber vom Reichskriegsgericht, das sich – je nach politischem Kalkül – mit dem Volksgerichtshof die Fälle zuschob.
Warum ist das so? „Wir wissen es nicht“, sagt der Historiker Lars Skowronski. Und Kai Langer, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, bestätigt: „Das Reichskriegsgericht spielt für die deutsche Erinnerungslandschaft keine Rolle.“ Es wäre vielleicht anders gewesen, sagt er, wenn die Verschwörer vom 20. Juli 1944 vom Kriegsgericht und nicht vom Volksgerichtshof verurteilt worden wären. Vielleicht. Andererseits ist der Fakt, dass die Akteure der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ nicht vor den Volksgerichtshof, sondern das Kriegsgericht gerieten, durchweg nahezu unbekannt.
Bis jetzt. Unter dem Titel „Das Reichskriegsgericht 1936 bis 1945. Nationalsozialistische Militärjustiz und Bekämpfung des Widerstands in Europa“ öffnet am Donnerstag im Stadtmuseum Halle die erste vollwertige Ausstellung zu dieser Behörde. Seit 2019 erarbeitet von der Stiftung Gedenkstätten und der halleschen Gedenkstätte „Roter Ochse“ – jenem Gefängnis, in dem viele Todesurteile des Gerichts vollzogen wurden –, werden die Resultate von erstmals systematisch betriebener Forschung ausgebreitet.
In seiner Relevanz wäre der Vergleich zur legendären Wehrmachtsausstellung nicht falsch hergestellt. Aber mit diesem Unterschied: Konnte die Wehrmachtsausstellung ihre starke Wirkung deshalb entfalten, weil Mitte der 1990er Jahre noch viele Wehrmachts-Angehörige lebten, ist das hier und heute nicht mehr der Fall.
In der Ausstellung kommen nun die nachgeborenen Angehörigen der Verurteilten zu Wort. Rund 100 Nachfahren werden an diesem Donnerstag zur Eröffnung in Halle erwartet. Mit 1,2 Millionen Euro von Bund, Land und Gedenkstätten-Stiftung finanziert, ist die Schau als eine internationale und international zu präsentierende Wanderausstellung entworfen.
Reisende Richter
Ein Auftrag, dem hier mit Fülle und nicht etwa leichtem Gepäck entsprochen wird, so umfangreich mit Objekten und raumgreifend ist sie eingerichtet. Die Lücke, die in der Sache bestand, wird nicht etwa vorläufig, sondern umfassend geschlossen. Wer vorher gar nichts wusste, wird anschließend nicht nur viel, sondern fast alles wissen.
Von der Institution aus – ihren Personen, Gesetzesvorlagen und Maßnahmen – wird die Tätigkeit des Gerichtes präsentiert. Eine Tätigkeit, die länderübergreifend geschah und in der Schau mit Schwerpunkten zu Polen, Frankreich, Belgien, Österreich und Norwegen erörtert wird. Über 120 Juristen waren im Einsatz, hinzu kamen 40 Offiziere, die an der Rechtssprechung mitwirkten. An der Spitze des Gerichtes, das über eine eigene Anklagebehörde verfügte, stand als Behördenleiter und Gerichtsherr ein Präsident.
Reisende Richter, denn von 1940 an tagte das Gericht verstärkt in anderen Orten, um Gefangenentransporte zu vermeiden. Mehr als 40 Orte sind bekannt, an denen das Gericht seinem Selbstbild als „Feldgericht“ entsprach, als „Hort der Sicherheit des Reiches“. Getötet wurde durch Enthaupten, Erschießen und Erhängen. Frauen wurden ausschließlich mit dem Fallbeil hingerichtet.
Die Ausstellung dokumentiert das Handeln an persönlichen Geschichten, angereichert mit Schaustücken aus den Nachlässen. Das ist denn auch etwas Besonderes, sagt Kurator Lars Skowronski, dass hier durchweg privat-familiäre und nicht offiziöse Depotstücke gezeigt werden. Das, was in der Haft entstanden ist – kleine Schnitz- oder Bastelarbeiten, ein Koffer, eine Stickerei. Skowronski will bei diesen Menschen nicht von „Opfern“ reden, weil sie entschiedene Akteure waren. Sie wollten und wussten, was sie tun.
Aber was taten die Juristen? Hatten sie Recht gesprochen oder gebeugt? Teils, teils, sagt Lars Skowronski. „Wir würden nicht behaupten, dass es durchweg Nazis waren. Sie mussten auch gar keine Nazis sein, um das Terrorsystem der Nazis zu stützen.“ Viele Juristen arbeiteten bis auf die Buchstaben des gültigen Gesetzes genau. Aber es gab auch „brutale Beispiele“, wo Recht gebeugt wurde. Es waren übrigens hauptsächlich Richter, die bereits 50 bis 60 Jahre alt und nach 1945 denn auch größtenteils gar nicht mehr im Einsatz waren.
Auf Dauer in Halle?
Welche Fragen sind noch offen? „Es gibt für Historiker kein Ende der Forschung“, sagt Lars Skowronski. Ihn treibt die Frage um, was der Blick auf die Militärjustiz von gestern für die von morgen heißt. Wie garantiert werden könne, dass auch im Kriegsfall rechtsstaatliche Prinzipien wirken. Und was die Forschung betrifft: Auch wenn es jetzt die große Schau gibt, das eine große Buch zur Sache fehlt noch immer. Und wenn die Schau ihre Tour durch die Welt absolviert hat, ein Ort für die dauerhafte Präsentation. Die Gedenkstätte Roter Ochse ist im Gespräch.
Stadtmuseum Halle: bis 31. Oktober, Große Märkerstraße 10. Eröffnung am 29. August um 14 Uhr im Freylinghausen-Saal der Franckeschen Stiftungen. Di-So 10-17 Uhr.