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Liebeserklärung an Ost-Fußballstar Peter Ducke Die mit dem schwarzen Peter

Der „Zeit“-Autor Christoph Dieckmann wuchs in Sangerhausen auf, wurde zufällig Fan des FC Carl Zeiss Jena und schreibt nun eine Liebeserklärung an den Fußballer Peter Ducke.

Von Steffen Könau 18.03.2024, 11:49
Immer am Ball bleiben: FC Carl Zeiss-Jena-Stürmer Peter Ducke – hier im modischen Kurzmantel – spielt mit seinem Sohn im heimatlichen Jena, fotografiert um 1970. Seine Fußballkarriere begann Peter Ducke 1950 in Schönebeck, bevor er  1959 nach Jena wechselte.
Immer am Ball bleiben: FC Carl Zeiss-Jena-Stürmer Peter Ducke – hier im modischen Kurzmantel – spielt mit seinem Sohn im heimatlichen Jena, fotografiert um 1970. Seine Fußballkarriere begann Peter Ducke 1950 in Schönebeck, bevor er 1959 nach Jena wechselte. (Foto: Imago)

Der kleine Mann mit dem schwarzen Haarschopf wuselt über den Platz. Er trickst und täuscht und zieht unwiderstehlich Richtung Tor. Ein letzter Haken, ein satter Schuss. Tor! „Peter Ducke“ schreit der begeisterte Radioreporter aus dem Stadion am Fuße der Jenaer Kernberge, „Peter Ducke trifft!“

Christoph Dieckmann sitzt im Pfarrhaus im Harzer Örtchen Huy und ist schockverliebt. Der FC in Magdeburg liegt näher, der HFC Chemie in Halle wäre eine Alternative gewesen. Doch echte Liebe ist nicht rational, sie kommt, wie sie will, und sie trifft ins Herz, wenn ihr danach ist.

Wo die Liebe hinfällt

Christoph Dieckmann geschieht es im zarten Alter von elf Jahren, als der Junge aus dem fernseherlosen Pfarrerhaushalt Nachbar Krems besucht, um im Westfernsehen „Spiel ohne Grenzen“ anzuschauen. Doch, oh, die Enttäuschung ist groß: Statt des Städtewettkampfes läuft das DDR-Fußballpokalfinale zwischen SC Aufbau Magdeburg und SC Motor Jena.

Zuschauen ist alternativlos und so gerät Dieckmann in das Kaninchenloch der Leidenschaft. Erst ruft der Reporter: „Das ist die Führung für die Männer aus dem Paradies!“ Dann köpft der Magdeburger Joachim Walter den Ausgleich. Dann Elfmeter. Jenas Torwart fliegt in die falsche Ecke. „Ich sah die traurigen Männer aus dem Paradies und Onkel Krems rief, jetzt kotzen die Jenaer ab“. Dieser Siegersatz habe ihn für immer zu den Opfern getrieben, sagt Dieckmann. „Ich glaubte, es wäre den Männern aus dem Paradies ein Trost, wenn sie mich fortan auf ihrer Seite hätten“, schildert er beinahe 60 Jahre danach, wie seine lebenslange Liebesaffäre mit dem Jenaer Verein begann.

Ganz besonders hat Dieckmann immer den einen geliebt, der anders war als die anderen im blau-gelb-weißen Dress. Peter Ducke, genannt „der Schwarze“, ist ein Stürmer reinsten Wassers, flink und voller Ideen, schussstark und zielsicher. Im Länderspiel der DDR gegen Ungarn, in dem es um die Teilnahme an der WM in England geht, sieht er ihn zum ersten Mal. Ducke trifft, die DDR verliert. Christoph Dieckmann trollt sich auf den nächstgelegenen Fußballplatz und er schießt dort Tor um Tor, immer als Peter Ducke.

Es war nicht alles schlecht!

Mit dem Bändchen „Der Stern von Jena“ hat der vielfach preisgekrönte Autor der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ seinem Idol nun einen Kranz geflochten. Ducke, inzwischen 81 Jahre alt, wird hier zum Begleiter einer Lebensreise und zur Leinwand, auf die Dieckmann mit leidenschaftlichem Strich Bilder einer Welt malt, die sich auch fußballerisch nicht nur zum Besseren verändert hat. Aus einer knappen Ware mit raren Höhepunkten ist ein Dauerbeschallung geworden. Aus der Fantasie, die es brauchte, um sich vor dem Röhrenradio oder dem Schwarz-Weiß-Fernseher in einen Rausch hineinzusteigern, wurde fußballernde Fertignahrung, vor- und nachbereitet in auswendig gelernten Interviewphrasen und Fachanalysen.

Christoph Dieckmann verhehlt nicht, dass er den alten Zeiten nachtrauert. Es war nicht alles schlecht! Zu Duckes großen Zeiten liefen noch Querköpfe über den Rasen, Kicker zwischen Genie und Wahnsinn, selbst in der DDR-Oberliga, die in ihren finalen Jahren vom BFC Dynamo genau so dominiert wurde wie die Bundesliga im letzten Jahrzehnt vom FC Bayern München.

Eine Einladung für jeden, der es wie Dieckmann mit den Außenseitern hält, mit denen, die den entscheidenden Ball an die Latte setzen und das größte Finale aller Zeiten weit weg von daheim und ohne Fans im Rücken gegen einen schrecklich langweiligen Gegner wie Dynamo Tiflis verlieren. Der FC Carl Zeiss passt genau, sein Star Peter Ducke sogar noch besser. In Dieckmanns Welt ist der „Stern von Jena“ viel mehr als ein Fußballer. Er ist Zeitzeuge nicht nur in eigener Sache, sondern für die ganze Geschichte: Der Autor gräbt sich durch Spielberichte, Archive und Erinnerungen. Er schaut sich selbst beim reportern im halleschen Kurt-Wabbel-Stadion in den 70er Jahren zu. Und schwenkt nach kurzweiligen 100 Seiten schließlich in eine Stadionkurve vor dem Fanblock, um Duckes Leben, Schaffen und Sein in einen großen Rahmen zu nageln.

Mehr als nur ein Fußballer

Pele hat den Schwarzen Peter gelobt. Der Bundesligacoach Hans Meyer hat auf die Frage, ob er nicht gern auch mal Weltstars wie Figo, Beckham und Zidane trainiert hätte, nachsichtig geantwortet: „Junger Mensch, hab’ in Jena Peter Ducke gehabt.“ Nur die Länderspiele des Mannes, der seine Fußball-Laufbahn bei der BSG Motor Schönebeck begonnen hatte, dreimal DDR-Meister wurde, 1972 in München Olympiabronze holte und 1974 bei der WM in der Bundesrepublik zum DDR-Aufgebot gehörte, sie zählen heute nicht mehr. Verschwunden aus der Statistik, vergessen von den Nachgewachsenen. Ignoriert und wegmoderiert durch die Definitionsmacht westdeutscher Funktionäre und westdeutsch beherrschter Medien. Der schwarze Peter ist im Osten Held. Im Westen aber ein Niemand.

Christoph Dieckmann: Der Stern von Jena. Peter Ducke und ich. Voland & Quist, 128 Seiten, 12 Euro