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Ausstellung in Dessau Orangerie im Georgium: Wie die Anhaltische Gemäldegalerie mit 100 Grafiken beeindruckt

Ein Ereignis für Publikum und Forschung: Die Anhaltische Gemäldegalerie in Dessau zeigt 100 grafische Meisterwerke von Dürer bis Kandinsky. Dabei sind Überraschungen garantiert.

Von Christian Eger 15.10.2023, 17:01
Urs Graf der Ältere: Bärtiger Krieger mit Barett, 1521, Feder in Schwarz
Urs Graf der Ältere: Bärtiger Krieger mit Barett, 1521, Feder in Schwarz (Foto: Anhaltische Gemäldegalerie)haltische gemäldegalerie dessau

Dessau-Rosslau/MZ. - Es ist nicht der kaskadenartig wallende Vollbart, nicht der wild gelockte Schopf, nicht das theaterhaft gebaute Barett, das die starke Wirkung dieser Zeichnung ausmacht. Es ist das linke Auge des Kopfes, das unter einer steil gehobenen Braue auf den Betrachter blickt. Ein leicht verhangenes, aber prüfendes Schauen, das unter einer senkrecht über die Stirn stürzenden Narbe aus dem Jahr 1521 herüber in unsere Gegenwart sieht.

Dass das von dem Schweizer Maler, Kupferstecher und Goldschmied Urs Graf dem Älteren geschaffene Blatt kein Holzschnitt, sondern eine Federzeichnung trägt, ist bereits die erste Überraschung. Die sehr vitale, verspielte und detailfreudige Machart ist die zweite. Gezeigt wird kein Edelmann, sondern ein Krieger. Ein wahrscheinlich schweizerischer oder deutscher Söldner, der mit grimmiger Entschlossenheit die Lage und sein Gegenüber mustert.

Aus acht Jahrhunderten

Der Mann aus den Bergen ist das auf Plakaten verbreitete Motiv der Ausstellung „Von Dürer bis Kandinsky“, die in der Orangerie im Georgium in Dessau 100 Meisterzeichnungen der Anhaltischen Gemäldegalerie zeigt. Ausdrücklich will die Schau nicht als Best-Of-Auswahl aus den 8.000 Objekten der Dessauer grafischen Sammlung begriffen sein, aber bei Lichte betrachtet kommt sie diesem Anspruch doch sehr nahe.

Denn das, was hier bis in den November gezeigt und in wichtigen Teilen erstmals präsentiert wird, ist ein Fest für Publikum und Forschung. Und der Beginn einer Neuentdeckung und Sichtbarmachung eines einzigartigen Bestandes, der Arbeiten vom 14. bis zum 21. Jahrhundert umfasst. Einige der ausgestellten, durchweg hochempfindlichen Blätter werden auf lange Frist nicht wieder so schnell zu sehen sein.

Die Grafische Sammlung der 1927 vom Freistaat Anhalt gegründeten Galerie steht zu Unrecht im Schlagschatten der malerischen Werke, die auf ihre Neupräsentation im sanierten Schloss Georgium noch immer warten. Insofern ist es eine willkommene Initiative, mit den Grafiken sozusagen in Vorleistung zu gehen.

Kunst-, kultur- und regionalhistorisch ist die anhaltische grafische Sammlung von hohem Wert, und unter jedem hier genannten Aspekt werden die Gäste bestens bedient. Bekannt sind bislang vor allem die Bestände aus dem Nachlass des Gartenreich-Architekten Erdmannsdorff und des Landschaftszeichners Kolbe.

Die Schau folgt dem Zeitlauf vom Hochmittelalter bis zur Klassischen Moderne, von der filigranen Tuschzeichnung eines Apostels von 1370 bis zu Kandinskys Aquarell „Schwere Fläche“ von 1925, das aus ungeklärten Gründen in Dessau die Fledderung der Sammlung im Zeichen der „Entarteten Kunst“ überstand.

Dürer, Altdorfer und Cranach der Ältere, Barocci, Goltzius und Merian, Clerisseau, Chodowiecki, Gessner und Johann Friedrich August Tischbein werden präsentiert. Die genialen Dessauer Brüder Olivier – unter anderem mit der bekannten allegorischen Darstellung „Die Heilige Allianz“ von 1815 – sind zu sehen, der Landschafter Kolbe, die mit Dessau verbundenen Künstler Beck, Chapon, Gaertner und Krüger. Zudem Menzel und Rohlfs – ein Bildnis des Dessauers Malers Paul Riess –, Klinger, Slevogt und Dix.

Was Lavater schenkte

Überraschungen sind garantiert: das wie hingehauchte Bildnis eines Mädchens von Ambrosius Holbein (um 1517), August Richters Altersporträt der mit Louise von Anhalt-Dessau befreundeten Schriftstellerin Elisa von der Recke (1832), Zeichnungen von Carolsfeld, darunter „Welkes Ahornblatt“ (1817), dessen Überlieferung aus dem Familienbesitz der Oliviers zu klären ist. Es erstaunen zwei von dem Zürcher Geistlichen Lavater an Fürst Franz übereignete Blätter: eine demHerrscher zugedachte Lips-Darstellung der „Gerechtigkeit“, eine „Anna Selbdritt“ von um 1480, „ins Gothische Gebäude“ des Fürsten in Wörlitz bestimmt.

Uneingeschränkt zu empfehlen ist der von Galeriedirektor Ruben Rebmann herausgegebene Katalog zur Schau. Er bietet einen aufschlussreichen Aufsatz zur Geschichte der grafischen Sammlung, die eben nicht nur eine Dessauer, sondern gesamt-anhaltische Kollektion ist. Bild für Bild werden von kundigen Autoren verfasste Kommentare und  – oft spannende  – Hinweise zur Herkunft der Arbeiten geboten, die in dieser 100-Meisterwerke-Konstellation noch über fünf Wochen in Dessau zu erleben sind.

Bis 20. November: Orangerie im Georgium in Dessau, täglich 10-18 Uhr, Dienstag geschlossen, Mittwoch Eintritt frei. Katalog im Sandstein Verlag: 248 Seiten, in der Ausstellung für 29 Euro, danach und außerhalb 38 Euro.