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Kriminalität Kriminalität: Schock über Benjamins Tod

Von Katrin Löwe 01.03.2006, 16:55
Ein Siegel mit dem Stempel der Polizeidirektion Stendal klebt über einer Tür am Wohnhaus einer Familie in Schlagenthin (Jerichower Land).
Ein Siegel mit dem Stempel der Polizeidirektion Stendal klebt über einer Tür am Wohnhaus einer Familie in Schlagenthin (Jerichower Land). dpa-Zentralbild

Schlagenthin/MZ. - Niemand im Dorf ahnte, welch schreckliches Geheimnis die Familie mit nach Schlagenthin gebracht hatte: ein verhungertes Kind, das die Polizei jetzt in einer Tonne auf dem Grundstück fand.

Gewundert hatte man sich zuvor im Ort schon: Die Kinder der Familie bekamen selbst Nachbarn so gut wie nie zu Gesicht. "Im Sommer waren sie manchmal im Garten, aber den ganzen Winter wurden sie offenbar nicht aus dem Haus gelassen", schilderte die Anwohnerin. "Es ist die einzige Familie hier im Ort, die ich noch nie gesehen habe", sagte der Bürgermeister der 900-Seelen-Gemeinde, Horst Blasius. Seit August 2005 wohnten die jungen Leute in dem äußerlich schmucken Einfamilienhaus. "Auf den Hof dürfen sie aber nicht schauen", schilderte Blasius am Mittwoch seinen ersten Eindruck.

Auch im nahen Stresow, wo Daniel B. und seine Lebensgefährtin mit den Kindern bis August 2005 etwa ein Jahr lang gewohnt hatten, wurde die Nachricht mit Erschütterung aufgenommen. Auch dort hatte sich die Familie abgeschottet. "Man hat den Mann mal gesehen, als er einen Ein-Euro-Job hatte", so Bürgermeisterin Petra Jarosch. Die älteste Tochter ging zur Schule, fiel nur auf, wenn sie vom Schulbus nach Hause lief. Wie Jarosch schilderte, gab es für die Eltern auf Druck der Behörden eine Betreuerin, der Vater habe die Familienbetreuung aber dann wohl abgelehnt. "Wir selbst haben als Gemeinderat im Juni das Jugendamt zu uns geholt", so Jarosch. Monatelang seien die Kinder da nicht gesehen worden, die offenbaren Zustände im Haus - ein Zusammenleben mit fünf, sechs Hunden, Schlangen, Ratten und Mäusen unter einem Dach - hielten die Anwohner für untragbar. Zudem hatte der Fall der verhungerten Jessica aus Hamburg den Gemeinderat aufgeschreckt.

Ins Haus gelassen hat der Vater angeblich niemanden, heißt es im Dorf. Selbst als die Polizei einmal gerufen wurde, weil die Kinder allein waren und an die Scheiben klopften, habe der hinzukommende B. den Zutritt verweigert. Bekannten soll die Mutter des Jungen erzählt haben, der Zweijährige befinde sich bei ihrer Schwester.

Laut Jarosch gab es im Sommer einen angekündigten Besuch des Jugendamtes bei der Familie. "Da war das Kind aber schon tot!", sagte sie nun erschüttert. Ein Tod, der nicht auffiel? "Es ist mir unerklärlich", so die Bürgermeisterin. Das Jugendamt beim Landkreis Burg lehnte eine Stellungnahme am Mittwoch ab. Ob es Versäumnisse seitens des Amtes gab, werde im Laufe der Ermittlungen sicher eine Rolle spielen, erklärte der Stendaler Staatsanwalt Thomas Kramer. "Ganz untätig gewesen ist das Jugendamt aber nicht", sagte er. Zwei Kinder hätten bereits in Pflegefamilien gelebt. Die drei verbliebenen im Alter zwischen vier Monaten und acht Jahren befinden sich inzwischen angesichts der Verhaftung der Eltern in Obhut des Jugendamtes.