Kriminalfall Michelle Kriminalfall Michelle: Mutmaßlicher Mörder ab Montag vor Gericht
Leipzig/dpa. - Drei Sommertage lang klammerten sich Angehörige, Polizei und viele Bürger Leipzigs 2008 an die Hoffnung. Die kleineMichelle war am 18. August auf dem Heimweg von den Ferienspielenspurlos verschwunden. Die fieberhafte Suche nach der Achtjährigen endete mit der traurigen Gewissheit: Das Mädchen ist tot, ermordet. Fast genau ein Jahr später beginnt am Montag (17.) vor dem Leipziger Landgericht unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder.
Der 19-Jährige hat die Tat bei der Polizei gestanden. Schriftlich schilderte er, was er Michelle angetan hat. Sein Motiv: Er wollte das Kind sexuell missbrauchen. Der dickliche Heranwachsende kannte Michelle aus der Nachbarschaft, wohnte mit seiner Mutter kaum 50 Meter entfernt in einem Mehrfamilienhaus. Auch im Gerichtssaal will sich der junge Mann äußern. «Er wird sein Geständnis wiederholen», kündigt sein Anwalt Malte Heise an. In der ZDF-Sendung «Hallo Deutschland» sagte der Anwalt am Wochenende, seinem Mandanten sei es «ein Rätsel, weshalb er Täter geworden ist.»
Der Gerichtspräsident hat für den Prozess vorsorglich erhöhteSicherheitsvorschriften erlassen. Anders als sonst üblich müssen sich die Zuschauer ausweisen, an einer Sicherheitsschleuse werden sie nach Waffen durchsucht. Mobiltelefone dürfen nicht mit in den Saalgenommen werden. «Verboten sind politische Kundgebungen jeder Art»,heißt es außerdem. Rechtsextremisten hatten nach dem Verbrechen mitAufmärschen in Leipzig für Schlagzeilen gesorgt.
Die Suche nach dem Täter hatte sich quälend lange hingezogen.Obwohl die Polizei mit 177 Beamten die größte Sonderkommission in derGeschichte Sachsens gebildet hatte und zehntausende Hinweiseüberprüfte, schien es fast sieben Monate lang keine Spur zum Täter zugeben. Michelle war auf einem Spielplatz zuletzt gesehen worden, «unddann war Ende», wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagt. Auchdie Suche mit Spezialhunden aus Nordrhein-Westfalen, sogenanntenMantrailern, hatte die Polizei nicht weitergebracht.
Am 9. März, einem Montag, kam dann die erleichternde Nachricht:Ein Verdächtiger wurde gefasst. Der zur Tatzeit 18-Jährige hatte sicham Sonntagnachmittag mit seiner Mutter auf einer Polizeiwachegemeldet. Aus völlig freien Stücken kam er aber nicht: Die Fahnderwaren von Haus zu Haus gezogen, um die Anwohner zu befragen und umeine Speichelprobe zu bitten. An diesem Sonntag sollte derAuszubildende dransein.
Im Verhör gestand er: Er hatte Michelle auf dem Heimweg abgepasstund in seine Wohnung gelockt. Dort tötete er das Kind. Berichtenzufolge versuchte er, Michelle mit Alkohol gefügig zu machen. DieLeiche der Neunjährigen warf er später in einen Ententeich imSüdosten Leipzigs. Die Staatsanwaltschaft legt ihm in der Anklageschweren sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung, gefährlicheKörperverletzung und Mord zur Last. Dem Prozess sieht der 19-Jährigenach Auskunft von Anwalt Heise «gefasst» entgegen. Nach Auffassungdes Juristen muss er nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. Er seivöllig unselbständig und müsse noch «bemuttert» werden, sagte Heiseim ZDF.
Wie lange die Gerichtsverhandlung dauern wird, ist noch offen.Offiziell sind vier Verhandlungstage angesetzt. Geladen wurde abernur ein einziger Zeuge, ein Polizist, der mit der Spurenauswertungbefasst war. Außerdem soll ein psychiatrischer Gutachter dieVerfassung des 19-Jährigen beurteilen, ein Experte desLandeskriminalamtes wird zu den gefundenen DNA-Resten aussagen. Zudemwird noch ein Rechtsmediziner gehört.
Die Eltern von Michelle werden nicht nach Leipzig ins Gerichtkommen. Sie haben mit ihren anderen Kindern die Messestadt nach demVerbrechen verlassen und wohnen an einem geheimgehaltenen Ort. «Jetztwo der Prozess naht, merken sie, wie alles wieder hochkommt», sagteAnwältin Ina Alexandra Tust, die die Eltern als Nebenkläger vertritt.Der mutmaßliche Mörder ihres Kindes hat an die Familie geschriebenund um Entschuldigung gebeten, berichtet Anwalt Heise. «Er bekam dieAntwort, dass sie den Brief nicht lesen werden.»