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Kohle Kohle: Die Schlacht im Tagebau

Von BIRGER ZENTNER UND KATRIN LÖWE 07.01.2009, 21:03

PROFEN/RÖBLINGEN/MZ. - Mit seinem Kollegen Michael Sauter ist Bode dabei, am Bagger 1553 Verschleißbleche an das riesige Schaufelrad zu schweißen, mit dem bald wieder Abraum oder Kohle weggebaggert werden soll. Momentan steht es wegen planmäßiger Wartung still.

"Kälte stoppt uns heute nicht mehr", erklärt der stellvertretende Tagebauleiter Klaus Kahl. Sie halte höchstens ein wenig auf, räumt er mit dem Blick auf den Beginn der Frühschicht ein. "Wir hatten in der Nacht direkt im Tagebau minus 25 Grad und am Dienstag wegen des Feiertags keine Produktion." So dauerte es eine Weile, ehe alles wieder lief. Das bezieht Kahl allerdings nicht auf die Bagger. "Deren Aggregate werden mit Strom angetrieben", sagt er. Eher sind es Planierraupen und andere Fahrzeuge, bei denen nach zwei Eisnächten und einem kalten Tag ohne Betrieb die Dieselmotoren erst einmal stottern. Auch an den Bandanlagen mit einer Gesamtlänge von 28 Kilometern klemmte es hier und da. Um die zwei Stunden hat es gedauert, ehe alles auf vollen Touren lief.

Aber in dem sachsen-anhaltischen Tagebau der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft (Mibrag) hatte man vorgesorgt. "Wir haben derzeit etwa 180 000 Tonnen Kohle gebunkert", so Kahl. Das reiche, um den täglichen Lieferverpflichtungen fünf Tage lang nachzukommen, falls es doch mal ein Problem geben sollte.

Es ist kein Vergleich mehr zum Katastrophenwinter 1978 / 79, wie er vor allem älteren Bergleuten noch gut in Erinnerung ist. Einer von ihnen: Lothar Obereigner vom Interessenverein Bergbau in Halle. Der 75-Jährige war Haupttechnologe im Braunkohlenwerk Röblingen (Mansfeld-Südharz). "Dieser Winter damals, der hat uns kalt erwischt", sagt er. Und das nicht nur, weil zum Jahreswechsel innerhalb weniger Stunden die Temperatur von plus zehn auf minus 20 Grad fiel. Der Energieversorgung der DDR, die fast ausschließlich auf Braunkohle basierte, drohte der totale Kollaps.

Riesige Feuer zum Auftauen

Als am Silvesterabend in seiner halleschen Wohnung das Licht zu flackern begann, ahnte Lothar Obereigner schon, dass aus der Feier nichts wird. Nur wenig später klingelte sein Telefon - die folgenden Tage wurden zum Marathoneinsatz im Kampf gegen Kälte und Schnee, wie er ihn nie wieder erlebt hat. Kohlevorräte, erinnert er sich, gab es so gut wie keine. "Wir lebten von der Hand in den Mund und wussten: Jede Tonne, die fehlt, kann irgendwo zur Katastrophe führen." Doch der Abbau wurde bei dieser Eiseskälte fast unmöglich. "Der Abraum war hart wie Beton." Mit Altöl, Reifen und Stroh wurden Flächenfeuer gelegt, um die Oberfläche wenigstens so weit anzutauen, dass die Technik greifen konnte. Dennoch flog sie den Bergleuten pausenlos um die Ohren. "Die Materialschlacht war schlimm", so Obereigner. Zumal der Abbau längst nicht das einzige Problem war: In den Waggons fror die Kohle mit ihrem Wassergehalt von über 50 Prozent sofort wieder fest. Das gleiche Schicksal ereilte Bahngleise und Weichen. Und ohne Unterlass klingelten die Telefone. Da kamen Anrufe von der Parteiführung, weil auch im Berliner Regierungsviertel das Licht ausging, von SED-Bezirkssekretären, die ihre Macht demonstrieren und Züge nach Gutdünken umlenken wollten. Von Heizwerken DDR-weit, denen Nachschub fehlte. Immer wieder war es vor allem in ländlichen Gebieten schon zu stundenweisen Stromabschaltungen gekommen.

Tausende kamen den Kumpeln in dieser Zeit zu Hilfe: Landwirte, Studenten, Soldaten der Nationalen Volksarmee und der Sowjet-Armee. Sie beheizten Kohle- und Abraumwagen, schaufelten Weichen frei oder heizten sie mit Hilfe von Propangasflaschen. Und immer mehr wurde der Kampf gegen Frost und Schnee zu einer Frage von Improvisationstalent: Ausgediente Düsentriebwerke wurden von sämtlichen Flughäfen angekarrt, auf Sattelschlepper oder an Züge montiert, um Kohle aus den Waggons zu lösen oder Gleise aufzutauen. Heizkraftwerke errichteten provisorische Auftauhallen, um die Züge entladen zu können. "Es war ein Wettlauf mit der Zeit", erinnert sich Obereigner. Der mit dem Ende des Frostes lange nicht aufhörte: "Dann ging die Schlammschlacht los." Unvergesslich bleibt ihm, wie ein Soldat bauchtief im Schlamm versackte, panisch schrie, weil selbst vier Mann ihn nicht befreien konnten. Erst mit Hilfe eines Baggers gelang die Rettung.

Mit Grauen, aber auch mit ein bisschen Stolz erinnert sich Obereigner heute an den Winter 78/79. Selbst wenn die DDR-Medien weit mehr Erfolge feierten, als es tatsächlich gab: Der Abbau in Röblingen kam nicht komplett zum Erliegen. "Sonst wäre es zu einer echten Katastrophe gekommen."

Für Klaus Kahl, den heutigen Vizechef des Tagebaus Profen, war jener Winter der erste in der Kohle. An eins erinnert er sich, als sei es gestern gewesen. "Damit die oberirdischen Kühlwasserleitungen zu den Kraftwerken nicht einfrieren, haben wir Briketts an die Leitungen geschüttet und angezündet", erzählt er. Eigentlich hätten sie an Haushalte geliefert werden sollen.

Umgestellt auf Bandbetrieb

Als einen wesentlichen Unterschied zu seinem ersten Winter sieht Kahl heute die Umstellung von Bahn- auf Bandbetrieb im Tagebau. "Auf die Bänder hat die Witterung deutlich weniger Auswirkungen als auf die Gleisanlagen", sagt er. Es gibt keine eingefrorenen Weichen, keine zugewehten Gleise. Zudem habe die Kohle deutlich weniger Zeit, in Güterwaggons festzufrieren. "Und die Kraftwerke haben sehr gute Auftauanlagen."

Für die Schlosser am Bagger 1553 naht inzwischen die Pausenzeit. Die werden sie im gut geheizten Mannschaftsraum auf dem Bagger verbringen. "Klar freut man sich, wenn man sich mal aufwärmen kann", sagt Hans-Dieter Bode, grinst und lässt den Lichtbogen an seinem Schweißgerät aufflammen.