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Zank um den Zaun Klötze: Zaun auf dem Fußballplatz in Kusey vertreibt die Fußballer

Von Ralf Böhme 03.05.2016, 17:41
Unterbrochener Spielfluss: Die Kicker von Kusey am Zaun, der ihren Fußballplatz teilt.
Unterbrochener Spielfluss: Die Kicker von Kusey am Zaun, der ihren Fußballplatz teilt. Andreas Stedtler

Kusey - Tor, Tor, Tooor!!! Selten genug entfacht Sachsen-Anhalts Fußball bundesweite Aufmerksamkeit. Jetzt ist es tatsächlich wieder einmal gelungen - allerdings mit einem exemplarischen Fall von Ignoranz contra Sturheit.

Der Blick richtet sich dabei nicht auf die Fußball-Hochburgen Halle, Magdeburg oder Dessau-Rosslau. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht eine weitgehend unbekannte Mannschaft aus der Kreisoberliga Altmark-West: TSV 1919 Kusey.

Dem Team, auf einem aussichtsreichen sechsten Platz in der aktuellen Tabelle, ist plötzlich der angestammte Sportplatz abhandengekommen. Letztlich durch ein Eigentor, mit freundlicher Unterstützung der zuständigen Stadtverwaltung Klötze.

Fünf Eigentümer nach der Wende

Spieler und Zuschauer vor Ort reiben sich nunmehr die Augen, Fußball-Deutschland lacht sich kaputt. Denn neuerdings endet der Sturmlauf der Kicker um Tore schon nach wenigen Metern - an einem Zaun.

Egal, wie es die Spieler um Kapitän Sven Mosel auch anstellen, sie können den Ball einfach nicht mehr im gegnerischen Gehäuse versenken. Ob geschlenzt, gelupft oder gedroschen - das Leder knallt jedes Mal gegen ein unüberwindliches Maschendrahtgeflecht. Mitten auf dem Spielfeld.

Der Grund des Dilemmas: Ein gut 20 Meter breiter Landstreifen, schräg über das gesamte Fußballfeld, ist damit abgeteilt. Schwere Holzpfosten, die das Ganze halten, sind tief in den sandigen Boden eingelassen.

„Das passierte alles von heute auf morgen“, berichtet Claudia Mühl, die Leiterin der angrenzenden Grundschule. Jetzt können die Schüler nicht einmal mehr die Laufbahn benutzen. Auch sie ist vom Maschendraht-Bauwerk mehrfach durchtrennt.

In dieser Woche soll auch noch der Flutlichtmast abgebaut werden. Keine Frage, die Veränderungen auf dem Gelände bedeuten das Aus für den offiziellen Sportbetrieb.

„Nun können wir die Spielstätte beim Verband abmelden“, bedauert Trainer Klaus Steckhan. Die insgesamt 80 Fußballer müssen sich also etwas Neues einfallen lassen. Es gäbe zwar noch ein weiteres Spielfeld im Ort, aber ohne Beleuchtung.

Das abendliche Training müsse ab Herbst, wenn es zeitiger dunkel werde, wahrscheinlich entfallen. Er jedenfalls könnte heulen - vor Wut, sagt er. Mit ihm ärgern sich 260 Vereinsmitglieder, darunter auch der örtliche Jugendpfarrer Martin Zander.

Deshalb konnte überhaupt ein Teil des Sportplatzes verkauft werden

Auslöser des starken Gefühlsausbruchs ist ein Bauer aus dem Dorf, Herwig Bierstedt. Ihm gehört der Rasenstreifen und er will seinen Grund und Boden natürlich auch nutzen. Ein Zaun, das sei doch ganz normal heutzutage.

„Was soll eigentlich die ganze Aufregung“, wimmelt der 48-Jährige lästige Fragesteller ab. „Geschäft ist Geschäft.“ Er habe das Land gekauft und bezahlt, um darüber zu seinem Acker zu gelangen. Alles sei rechtens und geregelt.

Wenn er jetzt mit dem Traktor über den Sportplatz am Lateinerweg direkt zu seinen Feldern fahre könne, habe sich die Sache für ihn gelohnt und sei erledigt.

Das klingt sehr effizient und stur. Zumindest denkt der Landwirt gar nicht daran, den Kickern wieder die Bahn frei zu machen. Vielleicht, da überlegt der umtriebige Landwirt noch, sollte man auch Pferde auf dem saftigen Rasen weiden lassen.

Torwart Philipp Wißwedel kann und will sich so etwas nicht vorstellen. Ein Pferd am Anstoßpunkt - das sei eine Frechheit. Früher habe man beim Dorffest gesungen „Da steht ein Pferd auf dem Flur“, erinnert sich Sportwart Gerhard Mosel. Das ginge jetzt nicht mehr, angesichts des verlorenen Sportplatzes könne keiner mehr über die Liedzeile lachen.

Ob Zufahrt oder Pferdekoppel - ein Zufall ist die neue Bestimmung des Kicker-Areals aber nicht. Das Ganze reicht weit in die Vergangenheit zurück, nachzulesen im Grundbuch von Kusey.

Säuberlich ist dort notiert, wem die Flächen gehören. Den Sportplatz teilen sich demnach fünf private Eigentümer mit sechs Teilflächen.

„Das ist historisch alles so gewachsen“, meint Matthias Mann (CDU), Bürgermeister der Stadt Klötze, zu der Kusey gehört. Vier der Grundbesitzer erheben ihm zufolge keinerlei Ansprüche. „Sie wollen alles so belassen, wie es ist.“ Der Fünfte aber eben nicht - das ist das Problem.

Bauer kauft ein Stück Land

Und dafür gibt es eine durchaus logische Erklärung. Schließlich haben die Eigentümer den Sportplatz vor Jahrzehnten selbst mit angelegt. Auch Familie Bierstedt sei damals mit dabei gewesen, erinnert sich Wolfgang Mosel, der als Linker die Kuseyer im Stadtrat von Klötze vertritt.

„Wem was gehörte, spielte zu DDR-Zeiten nicht so die Rolle. Für das Dorf zählte der gute Zweck.“ Dass Bierstedt als bäuerlicher Wiedereinrichter genau rechnen müsse, könne man verstehen. Inakzeptabel sei aber, dass sich der Bauer auf keine andere, alternative Lösung einlasse.

Damit spricht der Mann, der tagsüber im Jobcenter arbeitet, vielen aus dem Herzen. 900 Einwohner zählt der Ort, der Aufruf für den Erhalt des Sportplatzes 800 Unterschriften.

2013 flattert der Kaufvertrag auf den Tisch der Stadtverwaltung. Dass sich jemand aus wirtschaftlichen Gründen auch für ein Stück des Sportplatzes interessieren kann, das liegt bis dahin offenbar außerhalb des Vorstellbaren.

Bürgermeister Mann: „Ich muss gestehen, das hat mich doch sehr überrascht.“ Zu diesem Zeitpunkt wähnt sich die Kommune auch noch klar im Vorteil, ignoriert die Gefahr. Die selbst verschriebene Beruhigungspille: Es gibt langjährige Pachtverträge mit den Eigentümern, die Anteile am Sportplatz halten. Niemand schaut ins Kleingedruckte.

So können die Kicker, glaubt man, sicher in alle Ewigkeit weiter über sämtliche Grundstückgrenzen hinweg spielen. Eine trügerische Hoffnung, wie sich bald herausstellt. Ein klares Eigentor, würden Sportreporter sagen.

Die Stadt will retten, was zu retten ist. Von sich aus bietet die Kommune verschiedene Wegerechte und Tauschflächen an. Bauer Bierstedt lässt das kalt. Dann versucht die Stadt, ihr Vorkaufsrecht einzuklagen. Auch das geht schief.

Entscheidung vor Gericht

Das Verwaltungsgericht erörtert Rechte und wirtschaftliche Bedürfnisse - und entscheidet anders, im Sinne des wackeren Landmannes. Alles andere ist dann nur eine Frage der Zeit. Dennoch ist das Entsetzen im Dorf groß, als Bierstedt mit schwerer Technik auf dem Sportplatz anrückt. Die Maschendraht-Sperre schafft vollendete Tatsachen.

Wie weiter? Die Spielraum ist eingeschränkt. Bürgermeister Mann erwägt nun aus den Sportplatzresten eine Anlage für Kleinfeld-Fußball zu machen. Ob das aber bis zum 60. Vereinsgeburtstag 2019 klappt - wegen der Finanzen ist das unsicher.

Dem verzweifelten TSV-Vize Mosel bleibt nur noch ein Rat an alle anderen Vereine im Land: Sportfreunde, schaut die Verträge genau an, schafft klare Verhältnisse! Ehe es zu spät ist. (mz)