1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Kirgisistan: Kirgisistan: Ferne fossile Schatzkammer

Kirgisistan Kirgisistan: Ferne fossile Schatzkammer

Von Katrin Löwe 11.12.2006, 20:53

Halle/MZ. - Sorgsam trägt Juri Buchantschenko den Karton wie eine Schatzkiste vor sich her. Öffnet ihn vorsichtig, wickelt die in Küchenkrepp verpackten Funde aus und legt sie wie ein Puzzle zusammen. "Sehen Sie, der Kopf, der Hals ...", beschreibt der 49-Jährige stolz, während er mit dem Finger knapp über dem Gestein entlangfährt. Vor ihm liegt ein Fossil, ein mehr als 200 Millionen Jahre altes Reptil, möglicherweise eine Neuentdeckung. "Es ist das dritte Reptil, das an der Ausgrabungsstelle gefunden wurde. Und es ist noch nicht bekannt", sagt der Geologe der halleschen Martin-Luther-Universität.

Noch hat das Tier, dessen Schuppenstruktur gut erhalten ist, nur einen vorläufigen Namen: "Reptilius Madygensis". Gefunden hat Buchantschenko es an seinem letzten Tag auf einer Expedition in der Madygen-Senke im zentralasiatischen Kirgisistan. Und auch wenn die wissenschaftliche Einordnung aussteht, die Frage nach der Einzigartigkeit offen ist, ist klar: Es war der Hauptfund bei einer Reise, die im Zusammenhang mit einer anderen möglichen Sensation stand.

Eigentlich sind Paläontologe Dr. Sebastian Voigt und Diplomgeologe Buchantschenko auf der Spur des mysteriösen Fossils "Longisquama insignis". Die 20 Zentimeter lange Echse könnte die bisherige Evolutionsforschung auf den Kopf stellen, wonach der rund 145 Millionen Jahre alte Saurier Archeopterix als Urvogel gilt.

Die kirgisische Echse wurde bereits 1968 ausgegraben und lagerte Jahrzehnte unbeachtet in einem Moskauer Archiv. Als sie dann vor einigen Jahren ausgestellt wurde, versetzte das Fossil weltweit Wissenschaftler in Aufregung. Amerikanische Forscher wollten an der 220 Millionen Jahre alten Echse Federn erkannt haben. "Die Mindest-Entdeckung ist, dass Federn nicht an Vögeln entstanden sind", sagte US-Zoologe John Ruben. Bestätigt sich eines Tages die Deutung, wäre auch die Frage nach der Abstammung des Vogels von Dinosauriern neu zu stellen: Logisquama insignis lebte, als sich die Saurier gerade erst zu entwickeln begannen.

Im Frühjahr 2005 waren die Hallenser dann die ersten, die den Originalfundort des Fossils ausmachten. Buchantschenko und sein Kollege hofften auf weitere Funde, vor allem auf Knochen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert ein zweijähriges Forschungsprojekt. Gerade ist die dritte Expedition beendet, von der die Forscher ihre Neuentdeckung mitbrachten. "Im nächsten Jahr werden wir erneut nach Madygen fahren", sagt Buchantschenko.

Den halleschen Geologen beschäftigen indes nicht nur die Zeugnisse der Vergangenheit. Derzeit ist er auf der Suche nach einer Hilfsorganisation, die den in Madygen lebenden Siedlern zu einem Traktor verhilft. 25 Kilometer von der nächsten Stadt entfernt haben sich rund 70 Menschen in der kargen Berglandschaft niedergelassen. "Sie leben von dem, was sie selbst anbauen, arbeiten hart", erzählt Buchantschenko. "Ein Traktor würde ihnen sehr helfen."

Acht Jahre hat der selbst aus dem Nordkaukasus stammende Hallenser schon in Kirgisistan gearbeitet - hat Beziehungen aufgebaut, die heute auch dem Forschungsteam zu Gute kommen. "Wir haben dort sehr freundliche Nachbarn. Sie helfen uns, wir ihnen", sagt er und zeigt Fotos, auf denen die Forscher mit einem Auto eine im Sumpfloch versunkene Kuh retten.

Manchmal bezeichnet Buchantschenko die Senke von Madygen als "verlorene Welt" - in der nachts Wölfe heulen, der nächste Arzt nur mit einem 25-Kilometer-Fußmarsch zu erreichen ist. "Luxus ist aber keine Frage von Geld, sondern eine der inneren Einstellung", sagt er und zollt den Einheimischen Respekt. Wenn er ihnen das nächste Mal in der "fossilen Schatzkammer" begegnet, hofft er, dies mit guten Nachrichten zu tun.