Kartenspiel Kartenspiel: 40-Jährige gelten im Skat als Nachwuchsspieler
Halle (Saale)/MZ. - Zehn Karten, die das Glück bedeuten. So sehr, dass die Hand ein wenig zittert. Waldemar Schorsch muss nicht überlegen. Als Skat-Urgestein in Halle und Deutscher Senioren-Meister ist sich der 72-Jährige ganz sicher: "Das ist mein Spiel." Eine Minute und zwölf Sekunden vergehen. Dann kann der 72-Jährige den Triumph genießen. "Grand mit Vieren - unschlagbar." Einmal tief Luft holen, die nächste Runde.
An diesem Abend stehen wie jeden Donnerstag im "Dessauer Hof" jeweils 40 Spiele auf dem Plan. Punkt 18 Uhr wird zum ersten Mal gemischt. Vier Stunden später ist Zapfenstreich beim Sport-Skat. Kein Spiel ist wie das andere. Das strengt auch an. Kaum einer der zwölf Mitspieler ist jünger als 50, die meisten sind Rentner. Das ist typisch für die Skat-Szene in Sachsen-Anhalt. Wer erst um die 40 ist, gilt quasi als Nachwuchsspieler. Jahr für Jahr verlieren die Vereine fünf Prozent ihrer Mitglieder. Nur wenige Neulinge kommen dazu. Von 700 Sport-Skatspielern im Jahr 2000 sind ganze 470 übrig geblieben. Wenn nicht ein Wunder geschieht, ist das Ende für viele Vereine leicht auszurechnen.
Der Landesverband sucht nach Auswegen, zuletzt am Wochenende auf dem Verbandstag in Alsleben (Salzlandkreis). Weil es an Spielern mangelt, verzichtet man künftig bei Meisterschaften auf bisher übliche Vorrunden-Turniere. "Kleiner Nebeneffekt: Unsere Mitglieder sparen Fahrtkosten", so Landesvorsitzender Michael Bertram. In den Kassen der 37 Vereine sei nur wenig Geld.
Auf ein Drittel gesunken ist die Mitgliederzahl auch beim 1. Halleschen Skatverein "Schwarzer Herzog". Klaus Mann, Mitbegründer und Vorsitzender, leidet an diesem Abwärtstrend. Dass der "schönste Volkssport der Welt" eines Tages ausstirbt, können er und seine Mitstreiter sich jedoch nicht vorstellen. Und wenn, dann in Halle zuletzt: In der Stadt gibt es immerhin elf Klubs mit 120 Aktiven, mehr als sonst irgendwo im Land. Und überhaupt, erst einmal wollen die Hallenser das 200-jährige Jubiläum des Skatspiels feiern. Entstanden ist es in den Wirren der Völkerschlacht 1813 in Leipzig.
Für Vereinskassierer Edgar Fritsch, demnächst 80, bedeutet Skat vor allem Gehirn-Jogging. Schließlich biete das Spiel, behauptet er, sogar mehr Varianten und damit auch mehr Überraschungen als Schach. Wer wie er seit frühester Jugend diesem Kartenspiel frönt, muss nicht überzeugt werden, dafür 50 Abende im Jahr zu reservieren. Dennoch weiß der Mann, der früher sogar in der Skat-Bundesliga mitmischte, was die Stunde geschlagen hat. "Wenn die Jugend nicht mitspielt, ist es aus." Die Zeiten, als fast alle Jungen in den Schulpausen die Karten dreschen, seien leider vorbei. Und Gemütlichkeit in der Runde, bedauert der Senior, ziehe nicht mehr. Skat-Spieler und Wirt Sören Täsch meint: "Gegen das Internet ist ein Skat-Verein machtlos." Viele Jugendliche suchten individuell am Bildschirm ihr Glück im Spiel und nicht mehr im Verein um die Ecke.
Schicksalhafter Untergang - die "Schell-Luschen" in der früheren Skat-Hochburg Köthen sind ihm entkommen, unter Verlusten. Die ehemaligen Pokal-Gewinner spielen in diesem Jahr nur noch mit halber Kraft. Kleine Ursache - große Wirkung: ein Umzug. Vereinschef Roland Schulz: "Das neue Spiellokal ist gerade für unsere erfahrensten Spieler zu weit, denn sie sind hochbetagt und oft gesundheitlich angeschlagen." Abmeldungen sind die Folge. Statt mit zwei Teams in der Bundesliga zu punkten, ist nun nur noch die Landesliga drin. Wenn Schulz von einem Neuanfang spricht, schwingt viel Hoffnung mit.
Ob das Durchstarten gelingt, ist tatsächlich nicht gewiss. Schulz, der tagsüber Medikamenten-Kurier ist, würde jeden Interessenten mit offenen Armen empfangen. Gerade junge Mitspieler würden aber viel lieber - unabhängig von Zeit und Ort - die Skat-Portale im Internet nutzen. Zwar habe man versucht, mit Schulen ins Gespräch zu kommen. Aber das sei schwer bis unmöglich. "Viele Lehrer verstehen Skat als Zeitvertreib in der Kneipe." Dabei, so Schulz, handelt es sich um ein Strategiespiel nach logischen Regeln. "Das ist was für helle Köpfchen."
Nur in einer einzigen Kommune ist es bislang gelungen, eine Schüler-Arbeitsgemeinschaft "Skat" zu gründen - in Könnern (Salzlandkreis). Dort schaffte der ehemalige Berufsschullehrer Martin Ködelpeter das Kunststück, einen kleinen Schülerkreis für das Spiel mit Ass, Bube, König, Dame, Zehn und Lusche zu begeistern. Bundesweit soll es indes mehr als 100 solcher Gemeinschaften geben. Vor diesem Hintergrund fällt Sachsen-Anhalt mächtig ab. Nicole Habeck vom Deutschen Skatverband in Altenburg (Thüringen): "Die Situation ist kritisch." Es gebe praktisch keine Skat-Jugendarbeit. Während Bremen und Niedersachsen bei Jugendmeisterschaften und Bambini-Wettbewerben reihenweise Erfolge einfahren würden, glänze Sachsen-Anhalt mit Abwesenheit. Verbandspräsident Peter Tripmaker ruft deshalb dazu auf, stärker die Öffentlichkeit zu suchen. Bundesweit hätten die Sport-Skat-Vereine in den zurückliegenden zehn Jahren 8 000 Mitglieder verloren - nur 23 800 sind übrig.
Größere Aufmerksamkeit für den Sport erhofft sich der Skat-Verband von zahlreichen Aktionen im Jubiläumsjahr. So sind 200 Turniere geplant, eins davon mit Prominenten im September auf dem Altenburger Schloss. Wer genau dort die Karten dreschen wird, bleibt vorerst noch ein Geheimnis der Veranstalter. Vielleicht tauchen dort sogar Wahlkämpfer auf, heißt es. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch ihr Herausforderer von der SPD, Peer Steinbrück, sollen leidlich gut Skat spielen können.