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Jörg Berger Jörg Berger: Ein Mann redet Klartext

Von ANDREAS MONTAG 05.03.2009, 19:55

HALLE/MZ. - Aber erst muss die Frage nach der Gesundheit gestellt werden. Vor sechs Jahren hat Berger, der für kurze Zeit, 1974, auch beim Halleschen Fußballclub Chemie als Trainer tätig war, den Kampf gegen den Krebs aufgenommen.

Die Nachricht war "ein ungeheurer Schock" für ihn. Aber einer wie Berger steckt nicht auf: Als Draufgänger und Freund klarer Worte bekannt, als "Feuerwehrmann" unter den Bundesligatrainern geschätzt. Einer, den man ruft, wenn der Verein scheinbar nicht mehr vor dem Abstieg zu retten ist. Einer, der "immer positiv denkt". Sonst, sagt Jörg Berger, "hätte ich das nicht geschafft". Er hat trotz der Krankheit Alemannia Aachen weiter betreut und Hansa Rostock trainiert. "Ich habe meine Einstellung zum Leben verändert, nicht mein Leben", sagt er. Und: "Ich schaue nach vorn, nicht zurück".

Was für den Mut, die Krankheit zu besiegen, gilt - es ist Bergers Maxime überhaupt. Auch wenn er jetzt, 30 Jahre nach seiner Flucht in den Westen, natürlich auch zurückblicken muss. Eine deutsch-deutsche Geschichte hat er schreiben wollen, das ist ihm gelungen. Der Zeitpunkt passt genau: Zum runden Jahrestag seiner "Republikflucht" gesellt sich das 20. Jubiläum des Mauerfalls.

Jetzt, sagt der 64-Jährige, habe er das Alter - und die Gelassenheit, sein Leben zu besichtigen: "Ohne allzu große Emotionen. Vor 20 Jahren wäre das anders gewesen". Da waren die Bedrängnisse des Ostens noch näher, die Wut über Bevormundung und Unfreiheit. Und auch die Sorge wegen der Verfolgung durch das DDR-Ministerium für Staatssicherheit, dessen Arm bis in den Westen reichte. Berger hat es erfahren - durch Observation und Kontaktversuche. Auch eine mysteriöse Schwermetallvergiftung, die ihn in Mitte der 80er Jahre zeitweise lähmte, habe seinen Verdacht in Richtung Stasi bestätigt.

Dass seine Flucht im Frühjahr 1979 die zuständigen Genossen nicht nur im DDR-Fußballverband ungeheuer aufgebracht hat, lässt sich denken. Berger, der sich bei einer Jugoslawien-Reise des von ihm betreuten Jugendteams mit Unterstützung der bundesdeutschen Botschaft in Belgrad gen Westen abgesetzt hatte, war immerhin als Hoffnungsträger und möglicher späterer Nationalcoach der DDR-Mannschaft gehandelt worden.

"Die Zeit war reif", sagt Berger zum Motiv seiner Flucht - vor der er sich des Risikos, das er damit eingehen würde, bewusst war: Die Reise hätte auch im Zuchthaus von Bautzen enden können. Er wollte weg, rosige Karriere-Aussichten und die Privilegien, die er schon seit seiner Zeit als Jugendnationalspieler genossen hatte, seien ihm egal gewesen. Wichtiger war ihm, der Gängelei, der Beobachtung, den Vorschriften, wie er zu leben hätte, zu entkommen.

Den Auslöser hatte Mitte der 70er ein Reiseverbot geliefert: Berger, der geschieden war, galt deshalb als unsicherer Kandidat für West-Aufenthalte. Er sollte wieder heiraten, dann wäre alles gut gewesen. Aber Berger, der als Kind zu großer Selbstständigkeit erzogen worden war, hatte seinen Kopf für sich. Eine Eigenschaft, die ihm später sehr geholfen hat, im Haifischbecken Bundesliga Respekt und Ansehen zu erwerben.

Was sein Buch, das er mit Unterstützung von Regina Carstensen geschrieben hat, so sympathisch macht, ist Bergers Offenheit - auch gegenüber sich selbst. Schön auch die warmherzigen Erinnerungen namentlich an die Mutter, die den Säugling glücklich aus Gotenhaften (Gdynia) heraus und nach Sachsen brachte, wo er aufgewachsen ist - ab 1949 in Leipzig. Dass die Mutter die Tickets für die "Gustloff", die dann nach einem russischen Torpedotreffer tausende Flüchtlinge in die eisige Ostsee riss, in letzter Minute doch nicht benutzen wollte, sondern mit dem Zug fuhr, ist ein Glücksfall für sich.

Bei aller Gelassenheit aber, die sich Berger selbst attestiert: Kommt das Thema Stasi zur Sprache, redet er unerbittlich Klartext, Auch die Namen zweier enger Freunde aus DDR-Tagen, einer davon der frühere Nationaltrainer Bernd Stange, hat er in seinen Akten gefunden. Dabei, sagt Berger, wisse er wohl zu unterscheiden zwischen jenen, die zur Mitarbeit erpresst worden sind, die aus Überzeugung - oder um persönlicher Vorteile willen mitgemacht haben.

"Die Dritten sind die Schlimmsten", sagt Berger. Und schlimm sei auch, "mit welcher Oberflächlichkeit und Arroganz diese Leute das Kapitel heute abhaken". Der berühmte Satz, niemandem geschadet zu haben, bringt ihn auf die Palme: "Den Quatsch kann ich nicht mehr hören!" Ebenso verbittert ist er über jene alten Stasi-Offiziere, die heute geltend machen wollten, sie hätten "alles nur für den Frieden getan".

Damit will sich Jörg Berger nicht abfinden, überhaupt sieht er viel zu wenig Wissen um die jüngere deutsche Geschichte, in Ost wie West. Auch deshalb hat er das Buch geschrieben: "Ich will nicht abrechnen, es geht mir um Aufklärung".