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Helfende Hände in Magdeburger Seniorenheimen Helfende Hände in Magdeburger Seniorenheimen: Chinesische Pflegekräfte gegen Fachkräftemangel

Von Bärbel Böttcher 10.02.2016, 08:52
Lijia Gou (links) und Yinying Hou bewirten Petra Ottmar, Elvira Gabriel und Edith Asche (von links).
Lijia Gou (links) und Yinying Hou bewirten Petra Ottmar, Elvira Gabriel und Edith Asche (von links). Uli Lücke Lizenz

Magdeburg - Eigentlich wollte Lijia Gou neben der englischen die japanische Sprache erlernen. Doch die heute 25-jährige Chinesin hörte auf ihre Mutter. Die hatte ihr gesagt: „Lern’ deutsch. Europa bietet dir viele Chancen.“ Eine davon kam schneller als gedacht. In ihrem Deutschkurs hörte Lijia Gou von der Möglichkeit, in Deutschland als Pflegerin zu arbeiten. Sie zögerte nicht und kam so mit drei weiteren jungen Frauen sowie einem jungen Mann vor ziemlich genau einem Jahr nach Magdeburg. Hier traten die fünf ihren Dienst in zwei Alten- und Pflegeheimen der Arbeiterwohlfahrt (Awo) an.

Chinesischer Abschluss wird in Deutschland nicht anerkannt

Lijia Gou arbeitet gemeinsam mit Yinying Hou im „Hermann Beims Haus“ des Awo-Seniorenzentrums Kannenstieg. Im Moment noch als Pflegeassistenten. Das heißt, sie helfen den alten Menschen bei der Körperpflege, beim Ankleiden und Essen, übernehmen aber auch kleinere pflegerische Arbeiten wie das Blutdruckmessen. Die beiden sind zwar ausgebildete Krankenschwestern. Aber ihr Abschluss wird in Deutschland nicht ohne weiteres anerkannt. Also mussten Lijia Gou und Yinying Hou, ebenfalls 25 Jahre alt, in den vergangenen Monaten neben ihrer Arbeit die Schulbank drücken und Praktika absolvieren - etwa im Awo-Krankenhaus Calbe/Saale. Ende 2015 standen die fachlichen Prüfungen an. „Die haben sie mit Bravour bestanden“, sagt Dagmar Schröter, die Leiterin des „Hermann Beims Hauses“. Jetzt sind beide anerkannte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und ihren deutschen Fachkollegen gleichgestellt.

Die Bewohner des Seniorenzentrums hatten die Chinesinnen jedoch von Anfang an ins Herz geschlossen. Nicht nur wegen ihres Lächelns. „Lijia ist sehr aufmerksam. Sie sieht sofort, wo sie zugreifen muss“, sagt die 86-jährige Edith Asche. Auch die 80-jährige Elvira Gabriel, die auf den Rollstuhl angewiesen ist, lobt die Hilfsbereitschaft der jungen Frauen.

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Dass viele alte Menschen in Pflegeeinrichtungen leben, war für die Chinesinnen neu. Yinying Hou erzählt, dass in ihrer Heimat die Pflege in der Regel von der Familie übernommen wird. Meist lebten mehrere Generationen unter einem Dach zusammen. Der Zusammenhalt sei sehr groß. Wobei Lijia Gou durchaus die Vorteile des Seniorenzentrums sieht. „Zu Hause fehlt es bei der Pflege oft an Fachwissen“, sagt sie. Und die Familienangehörigen müssten ja auch arbeiten. Da gebe es schon Probleme.

Nun, an Fachwissen hat es den beiden jungen Frauen nicht gefehlt. Schwieriger war es, sich trotz der in China absolvierten Deutschkurse mit den alten Leuten zu verständigen. Lijia Gou erzählt, dass sie anfangs so manchen Bewohner nicht verstehen konnten. „Einige sind dement und können sich nur schwer artikulieren“, sagt sie. Das machte es zusätzlich schwer. Andere Bewohner wiederum unterstützten die beiden beim Deutschlernen. Elvira Gabriel sagt, dass sie in der ersten Zeit die Wörter öfter wiederholt habe. Und langsam habe sie gesprochen - „aber niemals Kinderkauderwelsch benutzt“, wie sie betont.

Übrigens war das Sprachenlernen gegenseitig. „Heute werden wir von einigen Bewohnern und Kollegen mit ni hao begrüßt“, sagt Lijia Gou. Das bedeutet im chinesischen so viel wie Hallo.

Sprachliche Sicherheit als Voraussetzung

Deutsche Sprache stand allerdings auch auf dem offiziellen Stundenplan der Weiterbildung. Und die Sprachkundigenprüfung B2, die am Ende abgelegt werden musste, haben die beiden ohne Probleme bestanden. „Trotzdem“, sagt Yinying Hou, „lernen wir immer weiter.“ Größere sprachliche Sicherheit ist denn auch die Voraussetzung dafür, dass die frischgebackenen Fachkräfte als solche eingesetzt werden können. Sie beobachteten gut uns packten zu, wo immer es nötig sei. Ihre Formulierungen in der Pflegedokumentation seien ganz ausgezeichnet. Aber eine kleine Hürde gebe es doch noch, sagt Dagmar Schröter. Besonders das Telefonieren etwa mit Ärzten oder dem Krankenhaus falle ihnen schwer. Deshalb ist eine etwa achtwöchige Einarbeitungszeit vorgesehen. „Es ist wichtig, dass beide Seiten das Gefühl haben, es klappt alles, wenn sie selbstständig arbeiten“, betont die Einrichtungsleiterin. „Eine Fachkraft trägt nun einmal eine sehr hohe Verantwortung.“

Erst einmal aber sind Lijia Gou und Yinying Hou in die Heimat gereist, um ihre Familien zu besuchen und mit ihnen in dieser Woche das chinesische Neujahrsfest, zu feiern. Mutter, Vater und die Brüder, die in der Fünf-Millionen-Stadt Pingdingshan (Provinz Henan) leben, wurden sehr vermisst - auch wenn regelmäßig lange Telefonate per Skype das Heimweh etwas gemildert haben. Doch der Rückflug nach Deutschland Ende dieses Monats ist schon gebucht. Und die beiden jungen Frauen haben bereits Pläne, für die Zeit nach ihrem Urlaub. Lijia Gou möchte in Magdeburg mal in die Oper gehen. Und Yinying Hou hat in der Nähe des „Hermann Beims Hauses“ ein Sportstudio entdeckt, wo die beiden sich anmelden möchte. „Wir brauchen Kraft, denn die Arbeit ist körperlich manchmal sehr schwer“, sagt die zierliche Frau. Und beide wollen vielleicht mal durch Europa reisen.

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Dagmar Schröter freut sich derweil über den Zuwachs an Fachpersonal. Denn es ist nicht leicht, solches zu finden. In Sachsen-Anhalt sind derzeit etwa 92.000 Menschen pflegebedürftig. Diese Zahl wird angesichts der älter werdenden Bevölkerung weiter wachsen. Entsprechend steigt der Bedarf an Pflegefachkräften. Bundesweit fehlen Schätzungen zufolge bereits mehr als 30.000.

Pflege als Jobmotor

„Der Fachkräftemangel trifft zunehmend auch die Einrichtungen der AWO“, sagt Landesgeschäftsführer Wolfgang Schuth. Die Pflege sei ein Jobmotor. Denn erschwerend hinzu komme, dass Sachsen-Anhalt bundesweit das älteste Pflegepersonal hat. Viele der Fachkräfte stünden vor der Rente und müssten in absehbarer Zeit ersetzt werden. Die Awo fährt dabei mehrgleisig. „Den vorhandenen Personalstamm durch Qualifizierung stärken, Nachwuchskräfte ausbilden und gezielte Integration ausländischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das ist die Strategie der Awo, um auch künftig den Fachkräftebedarf abzudecken“, erklärt Wolfgang Schuth. Die Arbeit mit den fünf chinesischen Krankenpflegekräften war ein Pilotprojekt. Das gilt als erfolgreich abgeschlossen. Nicht nur Lijia Gou und Yinying Hou haben die fachlichen und sprachlichen Prüfungen bestanden, sondern auch die anderen drei Chinesen, die mit ihnen nach Deutschland gekommen sind. Nun soll im Herbst in Kooperation mit der Awo Akademie Mitteldeutschland die Ausbildung von vietnamesischen Pflegeschülern starten.

Lijia Gou und Yinying Hou planen zunächst erst einmal für die nächsten drei bis fünf Jahre. So lange wollen sie mindestens in Deutschland bleiben. Und dann? „Meine Mutter sagt, du musst irgendwann heiraten - in China“, sagt Lijia Gou. Und auf ihre Mutter hört die junge Frau ja bekanntlich. (mz)