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Heinz-Dieter Kallbach Heinz-Dieter Kallbach: Stiller Held der Fliegereigeschichte

Von Alexander Schierholz 13.07.2012, 15:41
Heinz-Dieter Kallbach im Cockpit - in seinem Element. 
Heinz-Dieter Kallbach im Cockpit - in seinem Element.  Andreas Stedtler

Halle (Saale)/MZ. - Wie viele Flugstunden er an Bord verbracht hat? Heinz-Dieter Kallbach runzelt die Stirn. 5 000, sagt er schließlich, 5 000 könnten es schon sein. Nur auf der Iljuschin-18. Mehr als ein Jahrzehnt ist er mit dem Passagierjet russischer Produktion um die Welt geflogen, hat als Chefausbilder der Interflug die Piloten für die Maschine ausgebildet und geprüft. Nun haben sie auf dem Flughafen Leipzig / Halle aus seiner Iljuschin ein kleines Museum gemacht.

Heinz-Dieter Kallbach, 71 Jahre alt, klein, drahtig, weiße sorgfältig nach hinten gekämmte Haare, hat Platz genommen im Cockpit der viermotorigen Maschine, Baujahr 1960. Er lächelt, er dreht am Steuerknüppel. Er erklärt, dass das Gerät in der Mitte über den Instrumenten kein Fernglas ist, sondern das Radargerät. Er ist in seinem Element.

Am 25. Mai 1966 fliegt Kallbach das nun in Leipzig / Halle ausgestellte Flugzeug zum ersten Mal: von Berlin-Schönefeld nach Moskau und zurück. Es ist die Maschine, die 1960 als erste IL-18 an die Deutsche Lufthansa der DDR ausgeliefert wird. Drei Jahre vorher, als 17-Jähriger, hat Kallbach seine fliegerische Karriere als Armeetransportflieger bei der NVA begonnen. Er will Jagdflieger werden, doch der Staat lässt ihn nicht, wegen seiner Westverwandtschaft. Notgedrungen wechselt er zur zivilen Luftfahrt.

Die IL-18, um die sich in seiner Laufbahn bald alles dreht, revolutioniert den Luftverkehr. "Damit hat eine neue Etappe begonnen", schwärmt Kallbach noch heute. Dank einer neuartigen Konstruktion kann die Turbopropmaschine - mit einer Kombination aus Turbine und Propeller beim Antrieb - eine Reiseflughöhe von 8 000 Metern erreichen: Sie verfügt über eine Druckkabine. Kallbach: "Sensationell für die 60er Jahre!" Das Flugzeug leistet auch mehr als seine Vorgänger - 5 400 Kilometer Reichweite, für damalige Verhältnisse eine Langstreckenmaschine. Von Berlin nach Moskau geht es nun in nur noch drei Stunden, vorher waren es fünf.

Heinz-Dieter Kallbach bringt Urlauber an die Schwarzmeerküste und Hilfsgüter in befreundete sozialistische Staaten in Afrika. Was er erlebt auf den Flughäfen und den Pisten dieser Welt, es reicht für ein Buch. "Mayday über Saragossa" heißt es, seine Biographie. Sie handelt von kuriosen Zwischenfällen, technischen Pannen, schrecklichen Unglücken, politischen Verwicklungen. 1985, Senegal: In Dakar wandern Kallbach und seine Crew für drei Tage in die Arrestzelle. 1976, Tschad: In N'djamena stirbt ein Flughafenangestellter, als er in den sich drehenden Propeller läuft. 1975, Obervolta (heute Burkina Faso): In Ouagadougou blockiert ein Hausschwein die Startbahn, erst beim dritten Versucht gelingt es, die Piste freizuhalten. 1972, Berlin-Schönefeld: Während des Starts gerät ein Triebwerk in Brand. "Wir haben das Feuer gelöscht, das Triebwerk abgeschaltet, sind gelandet und haben die Maschine gewechselt." Er erzählt das so lakonisch, als hätte die Waschmaschine gestreikt.

Die IL-18 also prägt das Pilotenleben von Heinz-Dieter Kallbach. Doch berühmt wird der Mann aus der Lausitz mit zwei anderen Flugzeugtypen. 1989, am 23. Oktober, bringt ihm eine spektakuläre Landung einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde ein: Kallbach setzt eine Iljuschin-62 punktgenau auf eine 900 Meter lange Wiese beim Dörfchen Stölln im Havelland. Eine heikle Mission, denn eigentlich benötigt die Linienmaschine russischer Produktion eine zweieinhalb Kilometer lange Landebahn - ohne Grasbelag. Das ganze Dorf ist auf den Beinen, das Fernsehen ist da und natürlich Kallbachs Ehefrau Hannelore. "Als sie gesehen hat, wo wir landen wollen, war sie hellauf entsetzt." Doch alles geht gut, Feuerwehr und Rettungswagen werden am Ende nicht gebraucht: Eingehüllt in eine riesige Staubwolke, kommt der Jet sicher zum Stehen. In Stölln war 1896 der Luftfahrtpionier Otto Lilienthal tödlich verunglückt. Die Gemeinde will ihm mit der IL-62 ein Denkmal setzen.

Auf den Ruhm, den ihm am 28. März 2000 ein Flug in einer Boeing 737 über Spanien einbringt, hätte Heinz-Dieter Kallbach wohl lieber verzichtet. Der erfahrene Kapitän, mittlerweile in den Diensten der Charter-Airline Germania, muss sich gegen einen Selbstmörder zur Wehr setzen, der ins Cockpit eingedrungen ist und Kallbach angegriffen hat. In 12 000 Metern Höhe tobt ein Kampf auf Leben und Tod. Nach sechs endlosen Minuten gelingt es, den Attentäter zu überwältigen. Kallbach kann die Maschine sicher landen, den 148 Menschen an Bord rettet er das Leben. Trotz dieser Verdienste suspendiert ihn die Germania 2005 vom Dienst, kurz bevor er regulär in Rente geht. Kallbach hatte sich in einem Interview kritisch über die aus seiner Sicht unzureichenden Arbeitsbedingungen bei Billig-Fluglinien geäußert. Heute fliegt der 71-Jährige noch privat und als Werkspilot für einen Unternehmer.

Jetzt dreht er sich im Cockpit der IL-18 in Leipzig / Halle noch einmal um, für die Fotografen. Dann bitten sie ihn hinaus in den Rumpf, der leergeräumt und mit einem Glasboden versehen ist, damit man das Innenleben des Flugzeugs betrachten kann - Kabel, Rohrleitungen, Sauerstoffbehälter, Landeklappen. Kallbach geht nach hinten ins Heck und stellt sich in Positur. Ein stolzer Mann und seine Maschine.

Günter H. Münzberg: "Mayday über Saragossa", Salierverlag, 22,90 Euro