Handwerk Handwerk: Bautarif ärgert Unternehmer
Schkopau/MZ. - Seinen Start ins Rentenleben hatte er sich anders vorgestellt. Mit etwas mehr von seinem Angesparten, vielleicht mit einem neuen statt des zwölf Jahre alten Autos. 15 Jahre war Dieter Pillert aus Schkopau (Saalekreis) selbstständig, hat als Unternehmer Arbeitslose von der Straße geholt, wie er sagt. Heute, seit Januar Rentner, sitzt er am Wohnzimmertisch und breitet wütend Akten mit Rechnungen und einem Gerichtsurteil vor sich aus. Dass er sich nicht für einen Bauunternehmer hielt, tarifrechtlich aber plötzlich doch einer war, kostet ihn jetzt nachträglich mehr als 40 000 Euro.
Ausgleich für Branchennachteile
Das Gericht wirft ihm seine Unwissenheit vor. Er selbst, sagt Pillert, fühlt sich eher so hilflos wie ein altes Mütterchen, dem auf dem Weihnachtsmarkt die Geldbörse stibitzt wird. "Sie können sich nicht wehren." Im Zentrum seiner Kritik: die Sozialkasse (Soka) Bau. Die gemeinsame Einrichtung vom Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, vom Prinzip her seit 1949 existent, gleicht Nachteile aus, die Arbeitern speziell im Bau entstehen: kurze Beschäftigungszeiten, häufige Arbeitgeberwechsel, Ausfälle im Winter. An sich, wenn auch nicht mehr unumstritten, eine gute Sache. Allerdings werden offenbar zig Firmen, die nicht einem der Verbände angehören, davon überrascht, dass sie Beiträge in deren Sozialkasse zahlen müssen. Im Osten 16 Prozent der Bruttolohnsumme, im Westen 20.
Pillert, von Hause aus Elektroingenieur, wird nach der Wende beim Abbruch der Karbidfabriken in Buna eingesetzt. Als 1996 das Aus dieses Jobs bevorsteht, macht er sich selbstständig mit Demontage und Abbruch. Mit vier bis sechs Mitarbeitern zuletzt und im kleinen Stil, wie er betont. "Es ist doch ein Unterschied, ob Sie in Halle-Neustadt ein Hochhaus einreißen oder einem Angestellten einen Vorschlaghammer in die Hand drücken, damit er auf einer Raststätte alte Toilettenbecken zerschlägt." Seine Firma habe Boschhämmer, Winkelschleifer, anderes Kleinwerkzeug gehabt, keinen Bagger, Kran oder Lkw. Sie war hier und da bei Wohnungssanierungen eingesetzt, hat auch Spielplätze hergerichtet oder Zäune für die Gemeinde gezogen. "Ich habe mich nie als Baubetrieb empfunden", sagt er. Um die Jahrtausendwende fragt Pillert dennoch mehrfach bei der Soka nach, ob er beitragspflichtig ist. Auch sein Steuerbüro, das die Lohnangelegenheiten managt.
Eine offizielle Antwort sei nie gekommen, dafür am Telefon die Aussage, dass er als Abbruchunternehmer nicht zahlen müsse. Die Soka suche sich ihre Beitragszahler - so habe er die Aussage in Erinnerung, sagt der 65-Jährige. "Also haben wir weitergewurschtelt." Dass der Tarifvertrag, der die Beitragspflicht für die Soka regelt, 2006 geändert wird, bekommt er nicht mit.
Pillert ist entspannt, als sein Betrieb 2011 von der Rentenversicherung geprüft wird. Er kannte das, nie habe es Probleme gegeben, sagt er. Diesmal schon: Seit 2006 hätte er Beiträge an die Soka zahlen müssen, wird festgestellt - Nachforderungen kommen prompt. 57 000 Euro, einen Teil davon bekommt er als Leistung der Soka zurück. Inklusive Nachzahlungen für Sozialversicherung und Anwaltsgebühr bleiben rund 43 000 Euro Kosten.
Pillert ist kein Einzelfall, wie Wolf Reuter erzählt - ein Berliner Rechtsanwalt, der sich intensiv mit der Sozialkasse Bau beschäftigt. "Das ist ein Massenphänomen." Allein am Arbeitsgericht Wiesbaden - zuständig für Sozialkassen-Verfahren in den alten Bundesländern - gebe es jährlich 20 000 bis 30 000 neue Verfahren, der größte Teil nach seiner Schätzung von der Soka Bau. Ein Problem sei die Abgrenzung der betroffenen Betriebe im Tarifvertrag. "Der Graubereich ist riesengroß", viele Firmen würden von der Beitragspflicht kalt erwischt. Ein anderes Problem sei mangelnde Öffentlichkeitsarbeit der Soka.
Die Pflichten eines Chefs
Die Kasse selbst verteidigt sich. Sie informiere Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern sowie Steuer- und Lohnbüros, so Sprecher Michael Delmhorst. "Allerdings muss auch von einem Betriebsinhaber erwartet werden, dass er sich über alle mit seinem Betrieb zusammenhängenden gesetzlichen und tariflichen Verpflichtungen informiert."
So argumentiert auch das Arbeitsgericht Berlin im Verfahren gegen Pillert. "Ist richtig", sagt der Rentner - und nein, das sei nicht ironisch. Aber: Zehn Stunden täglich hat er gearbeitet, um Aufträge zu sichern. Da blieb kaum Zeit für Recherchen, die selbst Anwalt Reuter als kompliziert bezeichnet. "Wir fliegen zum Mond, aber die Soka kann mich nicht informieren, obwohl sie meine Anschrift hat", sagt Pillert kopfschüttelnd. Hätte er von seiner Beitragspflicht gewusst, hätte er gezahlt, betont er - und seine Firmenkalkulation darauf eingerichtet. So hat es ihn zur Rente erwischt, ohne Chance, wieder etwas hereinzuholen.
Zähneknirschend hat sich der Schkopauer nun damit abgefunden. Was er wenigstens tun will, ist eines: Andere aufmerksam machen, damit sie nicht auch eines Tages die böse Überraschung ereilt.