Halberstadt Halberstadt: Die Stadt, die Nazis und die Angst
Halberstadt/MZ. - Auf dem Tisch von Ute Huch stapeln sich Ausdrucke von E-Mails. Post aus Hamburg, Berlin, Zürich oder Chikago. Ihre Verfasser meiden Halberstadt. Gruppen haben Reisen abgesagt, eine Firma hat eine Tagung storniert, seit am Wochenende eine Theatergruppe von Rechtsradikalen überfallen worden ist. "Da kann man sich strecken wie man will", sagt die städtische Pressesprecherin, "so etwas macht alles kaputt."
Seit dem Überfall diskutiert Halberstadt einmal mehr über den richtigen Umgang mit Neonazis - unter den Augen der Welt. Oberbürgermeister Andreas Henke (Linkspartei.PDS) sorgt sich in einer offiziellen Stellungnahme um das Image seiner Stadt. Aber er sagt auch: "Ohne Zweifel haben wir ein rechtes Problem."
Neonazis sind präsent im Stadtbild. Das äußere Erscheinungsbild junger Rechter hat sich vielfach geändert, aber hier tragen sie häufig noch Bomberjacke, Springerstiefel und haben raspelkurze Haare. Mario Schieck von der Opferberatung Halle beziffert den harten Kern auf etwa 40 Leute. Sie treffen sich an Tankstellen, in kleinen Parks. "Es gibt Ecken", sagt Rainer Neugebauer, "da muss man nachts Angst haben, wenn man eine Punkfrisur hat oder einfach anders aussieht. Da habe selbst ich kein gutes Gefühl."
Neugebauer ist ein hagerer hochaufgeschossener Mann, der Jeans, T-Shirt und einen grauen leicht zotteligen Vollbart trägt. Der 53-Jährige, im Hauptberuf Professor für Sozialwissenschaften an der Hochschule Harz, ist Mitglied im "Bürgerbündnis für ein gewaltfreies Halberstadt" - und hat in dieser Eigenschaft dieser Tage eine Menge zu tun. Am Dienstagabend haben sie die Kreuzung blockiert, an der die Schauspieler am frühen Samstagmorgen brutal verprügelt worden waren. Mehrere hundert Leute kamen (die MZ berichtete). "Wir wollten deutlich machen, dass wir den Neonazis den Raum nicht überlassen", sagt Neugebauer. Sie haben Flugblätter verteilt mit einem Aufruf zu Zivilcourage.
Am Samstag hatten viele weggeschaut, als die Rechten drauflosprügelten - der Türsteher einer Kneipe, mehrere Taxifahrer. Vielleicht, weil sie zu denen gehören, die rechte Exzesse "klammheimlich dulden", wie Neugebauer meint. Vielleicht aus Angst. "Die Angst, selber Opfer zu werden, ist bei vielen groß", sagt Oberbürgermeister Henke, der sich um seine Bürger sorgt: "Im ganzen Stadtgebiet sind nachts drei Streifenwagen
unterwegs. Das reicht nicht, um ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln, geschweige denn um Gewalttaten zu verhindern." Neugebauer erzählt von Einzelhändlern, die sich im vorigen Jahr geweigert hatten, Plakate für ein "Bürgerfest" des Bündnisses aufzuhängen. Das Fest sollte ein Gegengewicht sein zu einer rechten Demo.
Harald Kunze fragt sich derweil, wie sich Zivilcourage stärken lässt. Der evangelische Pfarrer zählt auf: Vor gut einem Jahr hatte die Kreisverwaltung dem Liedermacher Konstantin Wecker auf Druck der NPD ein Konzert in einer Schule verwehrt. Die rechtsextreme Partei hatte gedroht zu klagen und so auch rechte Konzerte in öffentlichen Gebäuden durchzusetzen. Im Herbst genehmigte der Kreis zum Besuch des israelischen Botschafters Shimon Stein eine Demo der NPD. Viele verstanden das nicht. "So kann man den Leuten keinen Mut machen", ärgert sich Kunze. Auch er gehört zu denen, die am Dienstagabend am Tatort dazu auffordern, nicht wegzuschauen.
Hundert Meter entfernt und eine Stunde später diskutieren Kommunalpolitiker und Künstler im Theater. Es geht um die Zukunft der Kultur im Harz, später am Abend geht es aber auch noch um den Überfall, die Stadt und die Rechten. Der Moderator beklagt den "großen Imageschaden", der entstanden sei. "Halberstadt", sagt er, "ist nicht braun, sondern eine bunte Stadt mit viel Kultur."
Wenn sie das in der "Zora" hören, können sie nur mit dem Kopf schütteln. "Bunt statt braun" sei ein falsches Motto, meint ein Mitarbeiter des alternativen Jugendzentrums, das regelmäßig Angriffen von Neonazis ausgesetzt ist. "Alle müssen begreifen, dass es in Halberstadt eine rechte Bedrohung gibt."