Gerichtsvollzieher Gerichtsvollzieher: Einzelkämpfer der Justiz sind überlastet
Halle/Wernigerode/MZ. - Nach erfolglosen Protesten im halleschen Amtsgericht,bei der Präsidentin des Naumburger Oberlandesgerichtessowie im Magdeburger Justizministerium hatAnwalt Benkelberg nun an MinisterpräsidentReinhard Höppner (SPD) geschrieben und bissiggefragt: "Was würden Sie von Ihrer Landesverwaltunghalten, wenn Ihnen Ihr Gehalt aus Juni 2000erst im Mai 2002 überwiesen würde, nur weildas Finanzministeriums meint, das sei in diesemLand nicht anders möglich?" Höppner hat eine"umgehende Antwort" zugesichert.
Dem Justizministerium bereitet dieses Themanicht erst seit heute "Kummer in den Schwerpunktgebieten",wie Sprecherin Marion van der Kraats einräumt.Besonders in größeren Städten wie Halle erhöhesich die Zahl der Vollstreckungsaufträge derJustizbehörden sowie die Abgabe eidesstattlicherVersicherungen erheblich. Die Gerichtsvollziehermüssten mitunter zwei, drei mal zu den Schuldnern.So steige die Arbeitsbelastung ständig, auchwenn der Bestand an Vollstreckungssachen insgesamtleicht rückläufig sei - von 58650 VerfahrenEnde letzten Jahres auf 54000 im August 2001."Der Aufwand hat sich nur thematisch verschoben",meint van der Kraats. So hätten die "Vollstrecker"im letzten Jahr über 67 Millionen Mark Bußgeldereingetrieben.
Dennoch: Von den vorhandenen 170 Planstellenim Land sind zwar 165 namentlich besetzt,aber aktiv sind nur 141 Gerichtsvollzieher.Der Rest befindet sich in Ausbildung oderElternzeit, ist krank, zwischenzeitlich verstorbenund es laufen sogar Ermittlungsverfahren wegenBestechlichkeit.
Gerhard Hennig, Vorstand des Landesverbandesder Gerichtsvollzieher, kann davon ein Liedsingen. In seinem Arbeitsbereich Wernigerodesind von vier Gerichtsvollziehern nur zweiim Einsatz. Einer sei vom Dienst suspendiertworden und einer habe sich aufgehängt. "Seitzehn Jahren haben wir in Sachsen-Anhalt zuwenig Personal", meint der Obergerichtsvollzieher,der schon in Bernburg und Quedlinburg im Einsatzwar. "Mittlerweile liegt der Bestand unterdem Limit."
Seine Wortwahl spricht Bände:"Extrem hohe Ausfallquoten", "extreme Rückstände","extreme Fluktuation", "extreme Arbeitszeiten".In Bernburg dauere ein Vollstreckungsauftragim Durchschnitt rund zwei Monate, in Quedlinburgetwas weniger. Das Magdeburger Amtsgerichtglänze mit zwei Monaten Bearbeitungszeit,die Hallenser hinkten wegen "geringerer Ausstattung"mit neun Monaten hinterher. Und in Wernigerodehabe es bis vor kurzem noch etwa ein Jahrbis zur Erledigung eines Falles gedauert."Wir haben gerade die Rückstände aufgearbeitet.Jetzt liegen wir bei einer Bearbeitungszeitvon vier Monaten", sagt Hennig. "Aber nurbei einer Sieben-Tage-Arbeitswoche. Krankdürfen Sie als Einzelkämpfer der Justiz nichtwerden."
In der "extremen Belastung" bei geringer Vergütungals in Westdeutschland sieht Gerhard Hennigauch eine Ursache dafür, dass sich aus dermittleren Justizverwaltung niemand für diesenunattraktiven Job begeistern wolle. Dazu reichlichDienstaufsichtsbeschwerden wegen zu langsamenVollzugs. Keine Werbung für diesen Beruf.Keine Seiteneinsteiger, keine Rechtspfleger,die zugelassen würden, beklagt der Obergerichtsvollzieher.Und an Ausbildungsstellen hapere es auch.So bleibt Hennig nur eine Vision: "Die Gerichtsvollziehermüssten ausgegliedert werden wie die Notareund sich selbst finanzieren, ohne Landesmittel."