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Frustriert von Merkels Politik Frustriert von Merkels Politik: Wie Gottfried Backhaus aus Mücheln zur AfD kam

Von Bernhard Honnigfort 05.04.2016, 19:03
Gottfried Backhaus auf seinem Hof. Warum er in der AfD ist? Da geht es viel um alte Geschichten.
Gottfried Backhaus auf seinem Hof. Warum er in der AfD ist? Da geht es viel um alte Geschichten. Bernhard Honnigfort

Merseburg/Mücheln - „Nun ist es aber mal gut“, platzt Claudia Backhaus mitten rein in einen langen Satz, den ihr Mann spricht. „Sag doch, dass du seit einem Jahr Hartz IV bekommst. Sag doch, dass das mit dem Orgelbau und der Fahrschule nicht mehr richtig funktioniert. Sag das doch. Ist doch nicht schlimm.“ Ihr Mann schluckt kurz. „Ja, das ist so“, sagt er dann. „Ein Segen ist das mit der Wahl“, ruft seine Frau wieder dazwischen. „Ein Segen, wie das jetzt gekommen ist.“

Wenn Claudia Backhaus nicht als Mensch auf die Welt gekommen wäre, sondern als Naturphänomen, dann vielleicht als ein Vulkan, der schon lange bebt und mit lautem Knall ausbricht. Claudia Backhaus ist 55 Jahre alt, Mutter von vier erwachsenen Kindern, sie lebt mit ihrem Mann Gottfried in einem Ortsteil von Mücheln (Saalekreis). Gottfried Fritz Backhaus, 57 Jahre alt, hat bei der Landtagswahl 9 670 Stimmen für die AfD geholt, 33,1 Prozent, absolut die meisten, Direktmandat, bestes Ergebnis. Im Wahlkreis 40 mit 0,8 Prozent Ausländeranteil. Mehr Stimmen als der Landesvorsitzende André Poggenburg. „Der hat gerade mal 8.000.“

AfD als Ventil für Unzufriedenheit

Die beiden sitzen in ihrem großen Wohnzimmer, altes, renovierungsbedürftiges Bauernhaus von 1882, ihr Familienbesitz, schwere Möbel, eine Statue, eine Frau, die ein Kind in den Armen hält, kein Fernseher. Gottfried Backhaus will gerade etwas zu Flüchtlingen sagen. Er ist ein gemütlich wirkender Mann mit Rauschebart, Heimatkundler, er spricht in langen Sätzen, die sich oft verzweigen, er will sagen, dass nicht alle Flüchtlinge echte Flüchtlinge seien, als seine Frau ihm dazwischenfährt: „Hinten und vorne kriegen die es reingesteckt. Und wir kriegen nichts. Die kriegen Deutschkurse, Möbel, Praktika, dürfen sich in Supermärkten bedienen, die Polizei tut nichts.“

Er spricht breit angelegt und in Windungen, sie knallt die Dinge auf den Punkt. Fragte man die beiden, warum sie heute in der AfD sind, warum die Leute im Ort AfD wählen, dann bricht ein Orkan los. Vieles muss raus, es geht um die ewige Unzufriedenheit im Ort, im Kreis, im ganzen Land. Da kommt dann eins zu anderen, alte und uralte Geschichten, Zorn, der lange unter der Oberfläche brodelte, alles vermischt sich zu einer großen Geschichte, in der immer irgendetwas schief gelaufen ist und immer andere an etwas schuld sind.

Früher war man verdrossen und still und wählte nicht. Heute gibt es ein Ventil, die AfD. Aus Frust werden Stimmen, aus Gottfried Backhaus, Orgelbauer, Fahrlehrer und später Hartz IV, wurde ein Abgeordneter mit fortan 5.655 Euro Diäten plus 1.600 Euro Aufwandspauschalen.

Backhaus lässt kein gutes Haar an der DDR und SED

Er erzählt, wie er zweimal zwangsumgesiedelt wurde wegen der Braunkohle. Da war er zehn und 16 Jahre alt. Sie erzählt, wie nach dem Krieg der Hof enteignet wurde, die Bodenreform, ein „Trauma“, das die Familie nie loswurde. Das Haus haben sie wieder, aber keine Entschädigung für das Land. Das Geld könnten sie gut in ihr Haus stecken. „Da ist einiges zu machen“, sagt er. Er erzählt von der „scheiß SED“, die heute noch das Sagen habe in der Gegend. Dass er - obwohl Klassenbester - kein Abitur machen durfte, weil er engagierter evangelischer Christ war - und es heute noch ist. Backhaus erzählt vom Berufsleben: Feinmechaniker im Chemiekombinat, 1990 Schluss, dann als Orgelbauer gearbeitet, selber beigebracht, und später eine richtige Prüfung gemacht. Und nebenbei Fahrlehrer, weil man allein vom Orgelnreparieren nicht leben kann. Und dann zogen die jungen Leute in den Westen und mit der Fahrschule lief es schlechter und schlechter und 2012 war Schluss.

Warum Backhaus in der AfD ist und warum Björn Höcke ganz nett ist?

„Erzähl die Geschichte mit dem Motorrad“, drängt ihn seine Frau. Das Fahrschulmotorrad, Yamaha 600, wurde ihm mitsamt Anhänger vom Hof geklaut. Später fand es die Polizei in Naumburg, zu Schrott gefahren, 6.000 Euro Schaden. Der Täter war ein Weißrusse. Er wurde angeblich nie belangt. „Und ich bekam eine Rechnung über den Polizeieinsatz“, schimpft Backhaus. „Ich, nicht der andere.“

Deswegen seien die Leute hier unzufrieden, sagt er irgendwann. Weil das überall so sei und es allen Leuten so gehe. Seit Jahren schon. Ein Stau aus alten Geschichten, die sich vermutlich früher vor Ort die Politiker der Linken und PDS angehört hatten, als es sie noch mehr gab. Seit einiger Zeit aber tut es wohl keiner mehr. Nun bricht sich alles Bahn. „Niemand tut etwas für uns hier. Für Familien, für Kinder. Stattdessen holt sich Merkel ein neues Volk.“

Es werde geklaut, überall, an der ICE-Trasse, im Supermarkt. Die Straße zum Ort sei eine furchtbare Katastrophe, und in Mücheln, da hätten sie Leute aus einem Haus gekündigt, die dort seit DDR-Zeiten gewohnt hätten. Und nun habe der Vermieter die Wohnung fürs Doppelte weitervermietet. „Jetzt wohnen da Flüchtlinge. Das ist die Wahrheit“, sagt Backhaus.

Geschichten, alte, neue, Jahrzehnte unverdautes Zeug. Seine Frau erzählt, wie nach 1989 die Apotheke geschlossen wurde, wo sie arbeitete. Im Dorf wurde getratscht, sie habe dicht gemacht werden müssen, weil Claudia Backhaus nicht weiterarbeiten wollte. „Rufmord ist das. Bis heute hängt mir das nach und Leute wechseln die Gehwegseite.“ Sie erzählt vom Sohn, der „hochbegabt“ sei, dennoch sein Abi nicht auf Anhieb habe machen können, angeblich, weil der damalige Schulleiter „eine rote Socke“ war und weil man selbst im Elternrat aktiv war und öfter mal widersprochen hatte.

Ist hier nichts verjährt? Was hat das alles mit der Landtagswahl am 13. März 2016 zu tun? „Na alles“, sagt sie. „Das geht doch nicht nur uns so. Hier kommt alles, alles zusammen.“ Nie wollte Gottfried Backhaus in eine Partei. CDU nicht, SPD nicht, er gründete 1989 das Neue Forum am Ort mit, er war Lokalpolitiker, aber eine Partei? „Nie. Nein.“

Backhaus: Journalisten berichten nicht die Wahrheit

Er ist in der evangelischen Kirche, war früher bei den Treffen der Posaunenchöre, er organisiert jetzt im Sommer ein christliches Treffen auf einem Thüringer Campingplatz mit ungefähr 2.000 Teilnehmern. Sie ist in der Kirchgemeinde aktiv als Lektorin. Er liest die Mitteldeutsche Zeitung, hört Deutschlandfunk, ist auf Facebook unterwegs.

Aber kein Fernsehen, dem MDR misstraut er, die GEZ müsse weg, meint er, wegen der Intendantengehälter und weil die Journalisten nicht die Wahrheit berichteten. „Wieso dafür zahlen?“

Seit Sommer 2013 sind sie bei der Alternative für Deutschland. Weil man da offen reden könne. „Warum denn nicht. Wir sind doch keine Nazis.“ In einer Partei mit Björn Höcke, der völkisch-rassistisches Zeug daher redet? „Der ist doch ganz nett“, sagt der Abgeordnete Backhaus. (mz)