Flughafen Leipzig/Halle Flughafen Leipzig/Halle: Russen fliegen deutsche Waffen

Schkeuditz - 90 Meter lang, 90 Meter breit und 30 Meter hoch: Am Rand der Nordbahn des Flughafens Leipzig/Halle befindet sich ein riesiger Flugzeughangar der russischen Fluggesellschaft Volga-Dnepr. Von der Autobahn 14 ist das 2012 fertiggestellte Wartungszentrum gut sichtbar. Fast täglich parken auf dem Vorfeld die Riesenflieger Antonow 124 (AN). Es ist das größte in Serie gebaute Frachtflugzeug der Welt. Bereits seit 2006 fliegt die Gesellschaft im Auftrag des Militärbündnisses Nato auch deutsches Kriegsgerät etwa nach Afghanistan vom mitteldeutschen Flughafen aus. Jährlich gibt es etwa 100 Transporte für das Bündnis. Unumstritten waren diese Flüge noch nie, doch mit der Ukraine-Krise werden sie zum Politikum.
Transall ist viel zu klein
Ende August hatte die Bundesregierung entschieden, der Bitte von Massud Barsani zu entsprechen und dem Präsidenten der kurdischen Autonomieregion im Nordirak nicht nur humanitäre Hilfsgüter zu liefern, sondern auch Waffen für den Kampf der Peschmerga gegen die Terrormilizen des IS. Von Leipzig/Halle sollen voraussichtlich ab morgen 4 000 Sturmgewehre vom Typ G3, 4 000 Pistolen vom Typ P1, 20 Panzerabwehrwaffen Milan, 120 Panzerfäuste und 20 Maschinengewehre auf die Reise geschickt werden.
Die Flüge übernimmt das russisch-ukrainische Konsortium Ruslan Salis, was Politikern aus der Koalition und Opposition sowie der Bürgerinitiative „IG Nachtflugverbot“ sauer aufstößt. „Wir können nicht Sanktionen auf der einen Seite entsprechend formulieren, und auf der anderen Seite Geschäfte weiterhin pflegen und damit auch militärisches Gerät in entsprechende Räume transportieren“, sagte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende und frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung dem MDR. Auch der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour kritisierte die Kooperation mit dem Unternehmen Ruslan Salis, das von den russischen Volga-Dnepr Airlines und dem ukrainischen Antonow Airlines gegründet wurde.
Soll Deutschland Waffen von Unternehmen mit russischem Personal und Gesellschaftern fliegen lassen? Lesen Sie mehr dazu auf Seite 2.
Soll Deutschland Waffen von Unternehmen mit russischem Personal und Gesellschaftern fliegen lassen? Nach Auffassung des Verteidigungsministeriums spricht nichts dagegen. „Die im europäischen Konsens getroffenen Sanktionen gegen Russland schließen die weitergehende vertragliche Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen unter Leitung eines russischen Geschäftsführers nicht aus“, sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums. Ruslan Salis hat seinen Sitz in Leipzig.
Die ukrainische Armee bereitet nach Angaben eines Sprechers die Räumung der mit den Separatisten vereinbarten Pufferzone in der Ostukraine vor. Die Angriffe seien abgeflaut. Das ermögliche es, schweres Kriegsgerät aus dem Gebiet abzuziehen, sagte der Militärsprecher gestern. Zwar seien trotz des Anfang des Monats vereinbarten Waffenstillstands in den vergangenen 24 Stunden zwei Soldaten getötet worden. Der Artilleriebeschuss der Rebellen habe aber weiter abgenommen, und von russischer Seite gebe es keinen Beschuss mehr.
Am Freitag hatten sich die ukrainische Regierung und die Rebellen auf eine 30 Kilometer breite demilitarisierte Zone zwischen den Konfliktparteien verständigt. Am Wochenende erklärte das Militär, es werde weiter beschossen, und lehnte den Abzug von Artillerie und gepanzerten Fahrzeugen noch ab.
In den monatelangen Kämpfen haben die ukrainischen Regierungstruppen große Materialverluste erlitten. Präsident Petro Poroschenko sagte, im ostukrainischen Kampfgebiet seien bis zu 65 Prozent der Armee-Ausrüstung zerstört worden.
Nato-Mitglied Polen erklärte sich zu Waffenverkäufen an das Nachbarland bereit. Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak sagte dem Privatsender Zet, wenn die Ukraine Waffen kaufen wolle, sei Polens Rüstungsindustrie nur zu gerne bereit, diese zu liefern. Die Nato als Organisation will die Ukraine nicht mit Waffen versorgen. Ihren Mitgliedsländern hat die Allianz aber Lieferungen freigestellt.
Doch selbst wenn die Bundeswehr wollte, könnte sie auf die logistische Hilfe von Volga-Dnepr nur schwer verzichten. Die insgesamt zehn AN 124 der russischen Gesellschaft und weitere sieben von Antonow Airlines können je bis zu 150 Tonnen Fracht aufnehmen. Die der Bundeswehr derzeit zur Verfügung stehenden Militärtransporter vom Typ Transall können nur acht Tonnen Fracht tragen. Das Verteidigungsministerium teilte auf MZ-Anfrage etwas umständlich mit: „Die äußerst begrenzte Verfügbarkeit von vergleichbaren Luftfahrzeugmustern auf dem Weltmarkt, welche für übergroße Fracht geeignet sind, der erst in 2014 beginnende Zulauf des Airbus A400M sowie die bisher durchgängig guten Erfahrungen (Verlässlichkeit, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit) mit dem Auftragnehmer sind die maßgeblichen Gründe für die fortgeführte Nutzung der Salis-Kooperation.“
Kurz: Man hat keine anderen Flieger und war bisher zufrieden. Die ersten Militärtransporter vom Typ A400M stehen der Bundeswehr im November zur Verfügung. Doch auch sie können maximal 30 Tonnen Fracht laden. Volga-Dnepr-Sprecher Vitaly Shmelkov sagte der MZ, man verhandle mit den Auftraggebern über die Verlängerung der Verträge.
Warum eine Bürgerinitiative von Terrorgefahr spricht, lesen Sie auf Seite 3.
Nach Angaben von Shmelkov ist der Präsident der Volga-Dnepr-Gruppe, Alexey Isaikin, gleichzeitig Mehrheitseigner. Die Gesellschaft sei nicht staatlich kontrolliert. Volga-Dnepr fliege etwa von Leipzig/Halle aus auch U-Bahnen, Bohrgeräte und Satelliten für private Auftraggeber. 150 bis 200 Flüge mit der AN-124 seien es im Jahr. Dass ein solch wichtiges Logistik-Unternehmen frei von politischem Einfluss ist, bezweifeln Branchenkenner allerdings.
Auch am Flughafen Leipzig/Halle regt sich Widerstand. Die Bürgerinitiative IG Nachtflugverbot, die die Militärtransporte seit Jahren kritisiert, spricht von „Terror-Gefahr“. Der zivile Flughafen könnte Anschlagsziel werden. Im Verteidigungsministerium hält man die Gefahr offenbar für gering. Die Alternative, die Antonow von einem Militärflugplatz starten zu lassen, ist zudem nicht so einfach umzusetzen. Zur Abwicklung benötigt ein Flughafen Zertifizierungen, die Militärflughäfen nicht haben.
Ein Bein könnte sich in Zukunft das russisch-ukrainische Konsortium allerdings selbst stellen. Laut Medienberichten sind die Gesellschafter nicht zuletzt wegen des Ukraine-Konflikts zerstritten. Volga-Dnepr-Sprecher Shmelkov will davon nichts wissen: „Die Arbeit läuft ganz normal.“ Nach Angaben von Insidern treten die Vertreter der Gesellschaften am Airport Leipzig/Halle seit geraumer Zeit aber nur noch getrennt auf. Nach Harmonie sieht das nicht aus. (mz)