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Flüchtlinge in Magdeburg Flüchtlinge in Magdeburg: Aktivisten behindern Abschiebung friedlich

Von Julius Lukas 15.07.2015, 13:17
Nach zwei Stunden löst sich die Blockade der Abschiebung des Eritreers Adhanom Gebrehet auf. Die Polizei nimmt ihn daraufhin mit.
Nach zwei Stunden löst sich die Blockade der Abschiebung des Eritreers Adhanom Gebrehet auf. Die Polizei nimmt ihn daraufhin mit. Julius Lukas Lizenz

Magdeburg - Eng zusammengedrängt steht die Gruppe an der Bushaltestelle vor der Flüchtlingsunterkunft Alt Westerhüsen. Es ist Mittwochnacht, kurz nach halb eins, Magdeburger Stadtrand. Etwa 60 Menschen haben sich versammelt. Junge Leute, vor allem Schüler und Studenten. Schwarze Kleidung dominiert, manche haben sich ihre Kapuzen und Pullover ins Gesicht gezogen. Eine Gaslaterne taucht die Szenerie in orangefarbenes Licht.

In der Mitte der Gruppe, abgeschirmt von allen Seiten, steht Adhanom Gebrehet. In der Hand hält er einen Koffer und einem Beutel. Er kam vergangenem Herbst nach Deutschland. Zuvor war er aus seinem Heimatland Eritrea geflohen - einer der restriktivsten Diktaturen Afrikas. Über das Mittelmeer gelangte er nach Italien. In dieser Nacht soll er dorthin zurück. Die Menschen um ihn herum wollen das verhindern. Sie wollen seine Abschiebung blockieren.

Blockade war dreimal erfolgreich

Vielleicht fünf Meter von der Gruppe entfernt steht eine Frau vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Sie trägt eine braune Jacke, hat kurze, blonde Haare. Um sie herum stehen Mitarbeiter und Polizisten. „Herr Gebrehet, befinden Sie sich in diesem Bereich“, ruft die Frau. Auf ihre Worte folgen lautes Husten, Räuspern und andere Geräusche. Sie setzt erneut an, aber kaum etwas ist zu verstehen. Auch ein Übersetzer neben ihr sagt etwas. Wieder: Husten, Räuspern. Nach zwei Minuten, dann gibt die Frau vom BAMF auf - vorerst. „Das war die erste Aufforderung“, sagt sie. In zehn Minuten soll die zweite folgen.

Es ist, was die Aktivisten erwartet haben und worauf sie sich vorbereiteten. Sie alle gehören zu „Refugees Welcome“ („Flüchtlinge Willkommen“), einer losen Gruppierung aus Magdeburg, die in den vergangenen Monaten bereits vier Abschiebungen blockierte. Einmal, Ende Juni, löste die Polizei die Versammlung auf. Die Aktivisten sprachen damals von einer Eskalation - die Polizei hingegen von „einfacher körperlicher Gewalt“.

Dreimal war die Blockade jedoch erfolgreich. Das Muster ist dabei immer gleich: Sobald die Behörden vor Ort sind, umzingeln die Aktivisten den Flüchtling. Sie singen, unterhalten sich, sind laut. Das Ziel: Dem Flüchtling soll es unmöglich gemacht werden, den Aufforderungen der Behörde nachzukommen. Er muss aber so tun, als wolle er es. Mittwochnacht entsteht so ein paradoxes Schauspiel. 0.52 Uhr startet der zweite Versuch der Frau vom Bundesamt. Diesmal leuchten Polizisten in das Knäuel um Gebrehet. Sie wollen sehen, wie er sich verhält. Probiert er nicht, der Umzingelung zu entkommen, ist das strafbar. „Machen sie es nicht noch schwerer, als es eh schon ist“, appeliert die Frau vom BAMF. Sie gibt weitere zehn Minuten.

Dass Gebrehet nach Italien rücküberstellt wird, hängt mit einer EU-Vorordnung zusammen. Danach müssen Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen, in dem sie erstmals europäischen Boden betraten. Bevor die Behördenmitarbeiter Mittwochnacht eintreffen, gibt es kurz die Möglichkeit für ein Gespräch mit dem Eritreer. Er versteht nur Tigrin, die Sprache seines Heimatlandes. Per Telefon hilft ein Übersetzer.

Gebrehet erzählt von seiner Zeit in Italien, dass er auf der Straße lebte, nicht ärztlich versorgt worden ist. Seit seiner Überfahrt aus Afrika habe er extreme Rückenschmerzen. In Deutschland wird er behandelt. „Ich habe Angst, dass es mir in Italien wieder schlechter geht“, zitiert ihn der Übersetzer. Gebrehet wirkt angespannt. „Die Situation ist sehr anstrengend für ihn“, sagt ein Aktivist, der den Eritreer schon länger kennt.

„Notfalls auch mit Zwang“

Um 1.10 Uhr folgt die dritte Aufforderung. An der Situation ändert sich nichts. Die Frau vom Bundesamt entscheidet, an die Polizei zu übergeben. Zehn Minuten später spricht der Einsatzleiter das erste Mal mit den Aktivisten. „Ich appelliere an ihre Vernunft“, sagt er. Dann macht er deutlich: „Wir werden die Maßnahme notfalls auch mit Zwang durchsetzen.“

Auch nach Aufforderung zwei des Einsatzleiters verharren die Aktivisten in ihrem Kreis um Gebrehet. Es ist kurz vor zwei Uhr. Mehrere Mannschaftswagen der Polizei fahren vor. Sie umzingeln die Gruppe. Rund 40 Polizisten steigen aus. Stellen sich auf. Aufforderung drei folgt. Dann: Mehrere aus der Gruppe rufen laut „Exit“. Es ist das Code-Wort zum Auflösen der Blockade. Die Menschenmenge geht auseinander. Gebrehet wird von der Polizei mitgenommen.

„Er hat den Wunsch geäußert, die Blockade aufzulösen, damit niemand verletzt wird“, sagt eine Sprecherin von „Refugees Welcome“ später. Der Eritreer wird zu einem silbergrauen Van gebracht. Er legt seine Sachen in den Kofferraum, steigt ein. Dann, um 2.17 Uhr, fährt das Auto los - nach Berlin, zum Flugzeug, das Gebrehet nach Italien bringt. (mz)

Vertreter von Flüchtlingsorganisationen mit einem Plakat «Abschiebung Nein!»
Vertreter von Flüchtlingsorganisationen mit einem Plakat «Abschiebung Nein!»
dpa Lizenz