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Flanschenwerk Bebitz Flanschenwerk Bebitz: Mieter wehren sich gegen Abriss der Betriebssiedlung

Von MARKO JESCHOR 04.03.2012, 20:11

BEBITZ/MZ. - Manfred Lehmann sitzt auf der grünen Eckbank seiner Küche. Sein Blick geht durch das Fenster, direkt auf den kleinen See, der während des Sonnenaufgangs immer so schön glitzert. Vor ihm steht der gedeckte Frühstückstisch, links neben ihm läuft der Kaffee durch die Maschine. Eigentlich ist alles wie immer. Und doch fühlen sich Momente wie an diesem Morgen für den 62-Jährigen anders an. Lehmann, nach einem Unfall Frührentner, weiß seit ein paar Wochen, dass er seinen Lebensabend womöglich nicht hier, nicht mit dem Blick auf den See, verbringen kann. "Seitdem spüre ich nur noch eine Leere in mir."

Lehmanns Wohnung liegt in der Betriebssiedlung des Flanschenwerkes Bebitz im Salzlandkreis. Der Ort mit seinen 50 Wohnungen hat sich seit Jahrzehnten kaum verändert. Einige Häuser haben zwar neue Ziegel auf den Dächern, die meisten Hauswände sind aber so grau wie auf den schwarz-weiß Aufnahmen, die Lehmann in jüngeren Tagen zeigen. Hier scheint die Zeit still zu stehen. Selbst die Mietverträge stammen zum großen Teil noch aus DDR-Zeiten.

Doch die Idylle trügt - spätestens seit Mitte Januar. Das Flanschenwerk, Eigentümer der Häuser, kündigte damals an, die Siedlung abreißen zu wollen. Stattdessen soll dort eine neue Lagerhalle entstehen. Und daher sollen Lehmann und die anderen 80 Bewohner die Siedlung bis Jahresende verlassen.

Dass die Lagerhalle ausgerechnet dort errichtet werden soll, wo die Bewohner seit Jahrzehnten leben, hat vor allem wirtschaftliche Gründe. Das Flanschenwerk müsste nach eigenen Angaben etwa drei Millionen Euro investieren, um die Wohnungen auf Vordermann zu bringen. Das rechne sich aber nicht. Außerdem würde das Gebiet wegen seiner unmittelbaren Lage zu den Gleisen benötigt, heißt es aus dem Werk.

Keine 50 Meter liegen zwischen den Werkstoren und der Zufahrt zur Betriebssiedlung. Seitdem die Mieter auf einer Versammlung im Januar über die Pläne informiert worden sind, können die Werksmitarbeiter jeden Tag lesen, was man in der Siedlung davon hält: "Wir lassen uns nicht vertreiben", steht etwa an jedem zweiten Baum geschrieben. Oder: "Abrissbirne nicht mit uns", prangt auf einem weißen Laken über der Zufahrt.

Trotz des massiven Widerstands hält das Werk an den Abrissplänen fest. Das Unternehmen sei weder Kommune noch Immobiliengesellschaft, sondern habe die Aufgabe, sich "am internationalen Markt zu platzieren und Jobs zu schaffen", betonte Werksprokurist Jürgen Bach. "Es muss doch heute möglich sein, zwei Kilometer wegzuziehen. Dann befinden wir uns immer noch in Deutschland, nicht in Timbuktu", sagte er damals auf einer Pressekonferenz. Seitdem äußert er sich nicht mehr öffentlich.

Tatsächlich hat sich das Flanschenwerk unter der Führung des indischen Investors Dhruv Kochhar von einem insolventen Betrieb zu einem konkurrenzfähigen Unternehmen entwickelt. Die Mitarbeiterzahlen sind seit 2004 von 120 auf 210 gestiegen. Zwar lagerte der Inder gleichzeitig einen Teil der Produktion aus, in diesem Jahr soll der Umsatz trotzdem erstmals auf 100 Millionen Euro steigen.

Einen Anteil an der positiven Entwicklung haben auch Arbeiter, die in der Betriebssiedlung wohnen. Dass sie nicht freiwillig umziehen wollen, liegt nicht nur an der Nähe zu ihrem Arbeitsplatz und dem Gefühl für ihre Heimat. Es sind vor allem die günstigen Mieten für die teilweise über 80 Jahre alten Wohnungen. Weil das Werk als Eigentümer nie etwas in die Sanierung gesteckt hat, liegt die Kaltmiete bei 2,50 pro Quadratmeter.

Lehmann, der selbst 22 Jahre im Flanschenwerk arbeitete, hat in den Jahren weit über 30 000 Euro in die Hand genommen, um sein kleines Haus am See vor dem Verfall zu schützen. Nun, fragt er, sollen all die Mühe und das Geld umsonst gewesen sein?

Nicht ganz. Prokurist Bach versucht den Mietern die Pläne finanziell zu versüßen. Wenn diese ihre Verträge bis Ende März freiwillig auflösen, so das Angebot, verzichte das Werk nicht nur auf die Miete für 2012, sondern zahle auch drei weitere Monatsmieten sowie die Kaution aus. Lehmann käme demnach auf etwas mehr als 2 100 Euro. "Viel zu wenig", wie er findet. "Das ist keine sozialverträgliche Lösung."

Die wollen sich Lehmann und die anderen Mieter nun vor Gericht erstreiten. Zu diesem Schritt hat nicht zuletzt Isolde Kirchberg vom Mieterbund in Bernburg geraten. "Sie sollten sich wehren, um das Maximale herauszuholen", sagte sie vor Wochen. Kirchberg machte aber wenig Hoffnung, dass die Bewohner den Abriss der Häuser verhindern können. Viele Urteile des Bundesgerichtshofes zu ähnlichen Fällen hätten eher die Rechte der Grundstückseigentümer gestärkt.

Trotz der vermeintlich eindeutigen Rechtslage geht der Widerstand in der Betriebssiedlung weiter, allerdings nicht mehr in der Größenordnung wie zu Beginn. Kurz, nachdem Bach öffentlich über die Pläne sprach, gingen fast alle in der Siedlung auf die Barrikaden. Es gab eine Unterschriftenliste, auf der sich fast alle Mieter eintrugen, und eine Mahnwache vor den Werkstoren.

Knapp einen Monat, bevor die Angebotsfrist endet, hat sich das Bild geändert. Die meisten Mieter haben bereits die Auflösungsverträge unterschrieben und suchen in der Nähe neue Wohnungen. Die, die entschlossen vor Gericht ziehen wollen, sind auf elf Mietparteien geschrumpft.

Das macht den Kampf gegen die Abrisspläne zwar nicht leichter. "Doch wir geben nicht auf", sagt Jessika Richter, die zur Wortführerin des Widerstandes geworden ist. Zum Beispiel sei die Eigentumsfrage noch nicht abschließend geklärt. "Wir hoffen, dass denen die Fläche nicht gehört", sagte sie kürzlich bei einer Versammlung. Bislang weiß Richter nur, dass das Gebiet im Flächennutzungsplan der Stadt Könnern als Mischgebiet auftaucht. Aus planerischer Sicht würde dem Bau der Lagerhalle also nichts entgegen stehen.

Während Richter Kontakt zu ihrem Anwalt aufnahm, schrieb Lehmann einen Brief an Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU). "Dass ich erleben muss, dass Menschen, die ihr Zuhause verlieren als Querulanten bezeichnet werden, wenn sie für ihre Rechte kämpfen, macht mich sehr traurig", heißt es in dem Schreiben. "Überall werden wegen seltener Regenwürmer Projekte gekippt oder es wird nach Alternativen gesucht. Aber wenn es um Menschen geht, sieht das alles anders aus."

Eine Antwort hat Lehmann bisher nicht bekommen. Haseloff ließ auf MZ-Nachfrage nur mitteilen, dass er sich nicht äußern könne, da es sich um eine privatrechtliche Angelegenheit handele. Auch vom Petitionsausschuss des Landtags, der ebenfalls Post bekam, werden die Mieter keine Hilfe erwarten können. Die Antwort vom Vorsitzenden Reinhard Mewes (Linke) klingt ähnlich - nicht zuständig.