Fair bringt mehr? Fair bringt mehr?: «Wer trickst, liegt vorn»
Halle (Saale)/MZ. - Was bringt mehr in der Schule, im Beruf, im Privatleben: Tricksen oder die Regeln beachten? "Fair bringt mehr" ist derzeit das Motto eines Wettbewerbs für Schüler und Jugendliche in Sachsen-Anhalt, den die Mitteldeutsche Zeitung unterstützt. Ein Schüler berichtet der MZ sehr detailliert und offen über seine Erlebnisse. Das liest sich spannend und gibt einen Einblick in einen wichtigen Bereich unserer Gesellschaft. Um den Autoren vor Auseinandersetzungen in der Schule oder im Freundeskreis zu schützen, veröffentlichen wir den Brief anonym
«Der Betrug an Schulen hat mit der Entwicklung von Technik und Informationsverbreitung eine andere Dimension angenommen. Man ist längst über das Abgucken von einzelnen Abschnitten und das Spicken auf kleinen Zetteln hinausgegangen. Durch das Handy - oder besser Smartphone - werden ganze Lateinklausuren von Übersetzungsseiten gelöst und eins zu eins übernommen.
In Fächern mit hohem Lernaufwand wie Geschichte oder Sozialkunde wird eine Vielzahl von Fakten vorher als Notiz auf dem Handy eingetippt und dann einfach abgelesen. Internetseiten tun ihr übriges. Das alles ist Ihnen sicherlich bekannt, allerdings nicht, wie der Umgang mit solchen Dingen an der Schule ist.
Einerseits ist das Verhalten der Schüler zu betrachten: Ehrliche Schüler oder auch einfach nur Schüler, die durch ein finanziell weniger ausgestattetes Elternhaus einfach nicht mit einem Smartphone und Internetzugang gesegnet sind, fühlen sich jedes Mal hintergangen, wenn Mitschüler auf diesem Wege gute Noten erzielen - und gleichzeitig unter Druck gesetzt, ebenfalls bei diesem falschen Spiel mitzumachen. Denn es wäre ja unfair, wenn die anderen spicken und man es selbst lässt und schlechtere Noten bekommt.
Der Teufelskreis setzt sich fort. Die Betrüger selbst haben längst keine Hemmschwelle: Egal, ob kleiner Test oder dreistündige Klausur: Wer sich die beste Technik und die passende Flatrate leisten und am besten betrügen kann, hat gewonnen. Gespräche über Fairness stoßen auf uneinsichtige Antworten.
Das Verhalten der Lehrer ist fatal: Diese Generation hat in Sachen Betrug nur Trivialitäten wie Spicken auf Zetteln oder Abgucken erlebt. Die Folgen hielten sich früher in Grenzen und die Ungerechtigkeit war relativ minimal. Dementsprechend sind heute auch ihre Vorstellungen von Betrug und ihr Umgang damit.
Mit der voranschreitenden Technisierung und dem anhaltenden Zugang zu Informationen hat sich die Situation allerdings grundlegend geändert. Richtig ist, dass Reden und Ansprachen über Teamgeist, Fairness und Werte wie Ehrlichkeit bei den betrügenden Schülern auf unfruchtbaren Boden fallen und leider eine Wirkung gleich null haben.
Leider sind die Lehrer beim Einhalten ihrer eigenen Regeln auch nicht sehr konsequent: Wenn ein Schüler während der Klausur mit einem Handy erwischt wird, gibt es oft nur eine kurze Ermahnung. Das Handy landet in der Hosentasche und wird im nächsten Moment wieder fleißig eingesetzt. Eine Sechs wird selten erteilt.
Abgesehen davon hat das Schülerhirn schon sehr viele Schlupfwinkel entdeckt, um ungestört betrügen zu können. Zudem gibt es viele Lehrer, denen ein Einsammeln der Handys vor jeder Arbeit viel zu mühsam und umständlich ist. Aber nur durch das Einführen konsequenter Regelungen - bei sehr wichtigen Arbeiten auch Leibesvisitationen bei jedem einzelnen Schüler - können die Bedingungen gerechter werden. Das hört sich sehr hart an, aber nur damit wird man dem Wandel der Zeit gerecht.»