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Eltern-Kind-Gespräch zur Einheit Eltern-Kind-Gespräch zur Einheit: Arbeiten in Ägypten als Bürger der DDR

Von Tilo Krippendorf 02.10.2015, 15:04
MZ-Volontär Tilo Krippendorf im Gespräch mit seinem Vater.
MZ-Volontär Tilo Krippendorf im Gespräch mit seinem Vater. Andreas Steadtler Lizenz

Halle (Saale) - Tilo Krippendorf:Für unsere Familie hat die Einheit viele Veränderungen gebracht. Wir lebten damals in Ägypten, waren wir privilegiert?

Dietrich Krippendorf: Das war etwas besonderes für einen DDR-Menschen im „Nicht Sozialistischen Wirtschaftsgebiet“ zu arbeiten. Wobei man den Aufenthalt schnell nicht mehr als Privileg empfunden hat, es war Alltag. Aber die Zeit hat Spuren hinterlassen, weil wir immer selbstständig Entscheidungen treffen mussten.

Also gab es da im Ausland keine richtige Planwirtschaft? Hier in der DDR gab es doch immer irgendwelche neuen Planvorgaben...

..oder Einsparziele...

...oder so etwas. Aber dort warst du auf dich selber gestellt?

In der jeweiligen Aufgabe schon - ob als Berater zu Instandhaltungsfragen in Syrien und im Irak, oder später beim Bau von Umspannwerken in Ägypten. Diese Freiheit, das selbst vor Ort zu organisieren, hätte ich hier sicher so nicht gehabt.

Hättest du denn auch ohne die Einheit Karriere machen können?

Wer weiß das schon? In der DDR hätten andere für mich einen Karriereplan gemacht. Das wäre aber auch mit Engagement in der Partei verbunden gewesen. Das war überhaupt nicht mein Ding.

Warum nicht?

Weil ich diese ideologischen Kleinkariertheit nicht wollte.

Also hat dich die Parteipolitik damals doch gestört?

Nein, das hat mit Politik nichts zu tun, sondern mit dieser Hohlheit von Parteiapparaten, die dort existierten. Also diese Ideologie, der Apparat und die Apparatschiks waren mir zuwider. Das konnte man natürlich nicht so offen sagen.

Wir waren doch bis Juli 1990 in Ägypten, da muss doch die ganze DDR-Organisation wie ein Kartenhaus zusammen gefallen sein, oder?

Ist sie auch, da gab es plötzlich keinen Parteisekretär mehr und viele Mitarbeiter der Botschaft waren weg. Manche haben sich vielleicht nach einem neuen Job umgesehen, oder sind untergetaucht. Da waren bestimmt auch Stasi-Leute dabei.

War die Stasi dort im Ausland besonders aktiv?

Mit Sicherheit. Neben einigen bekannten hauptamtlichen Stasi-Leuten, gab es bestimmt auch mehrere IM’s, aber das steht nicht jedem auf der Stirn geschrieben. Ich habe mir hinterher nicht die Mühe gemacht, das zu ergründen. 20 Jahre später habe ich dann doch noch meine Stasi-Akte angefordert, aber da war nichts tolles vermerkt. Es stehen nur lapidare Dinge drin. Wobei ich aber nicht weiß, ob die Akte nicht schon mal aussortiert worden ist.

...du willst es gar nicht so genau wissen?

Genau, auch weil ich nicht den Eindruck habe, dass es mir persönlich irgendwie geschadet hat.

Wäre die Stasi aus damaliger Sicht nicht auch ein Karrieresprungbrett gewesen?

Ich will nicht sagen, dass ich vollkommen immun gewesen wäre, aber mich hat niemand angesprochen. Ich habe offensichtlich nicht ins Raster gepasst. Vielleicht hätte ich da am Ende auch irgendwas unterschrieben, wenn man erpresst hätte und sagt: entweder, du unterschreibst, oder deine Karriere ist vorbei. Ich bin zum Glück nie in diese Verlegenheit gekommen.

Und wäre es nicht eine Option gewesen, die Seiten zu wechseln?

Nein, das war keine Option. Unsere Familie war hier und unsere Wurzeln in Mitteldeutschland. Wir haben nie mit dem Gedanken gespielt. Dabei wäre es recht leicht gewesen. Vielleicht waren wir da zu kleinbürgerlich. Wir hatten hier unseren Schrebergarten, der Trabi stand hochgebockt in der Garage, wir hatten eine eingerichtete Wohnung in Halle-Neustadt. Außerdem drohten ja mögliche Repressionen für den Rest der Familie.

Auf der nächsten Seite: "Karriereplanung kannten wir früher nicht." Über die Wirtschaft im Osten.

Empfindest du die Zeit der Wiedervereinigung als Zäsur im Leben?

Nein, für uns war das keine Zäsur, weil wir immer mit Veränderungen gelebt haben, im Ausland mussten wir uns ständig anpassen. Und als wir zurück kamen, waren wieder Veränderungen angesagt.

Warum konnten sich viele aber nicht so schnell anpassen?

In der DDR war doch jeder vom Staat wohl behütet. Wenn er eine Lehre angefangen hat, hat er doch im Grunde gewusst, wie das bis zur Rente weitergeht. Veränderungen waren da nicht vorgesehen.

Gab es West-Kontakte im Ausland?

Klar, es gab ja da direkte Konkurrenz, auch zu den Westunternehmen, die alle bei den potenziellen Kunden etwas verkaufen wollten. Die DDR-Produkte waren zwar oft nicht besser, aber halt billiger. Und am Ende entscheidet immer die Kombination von Qualität, Preis und Service.

Dann hast du also auch deine Konkurrenz gekannt?

Natürlich. Teilweise haben wir ja mit westlichen Firmen kooperiert.

Das wusste ich nicht. Ich dachte, die DDR würde sich wirtschaftlich keinesfalls mit dem Westen einlassen und stattdessen vielleicht eher russische Technik nehmen.

Diese ideologische Grenze war bei den Handelsbeziehungen überhaupt nicht festzustellen. Natürlich wurde vorzugsweise mit den so genannten sozialistischen Bruderländern kooperiert, aber nicht alles war im Ausland akzeptiert. Manches hat auch nicht funktioniert, also gab es Kooperationen. Wenn es um das pure Geschäft geht, hört halt die Ideologie auf und es wird pragmatisch gehandelt.

Aber du hast vorhin das Wort Karriere erwähnt. Karriereplanung kannten wir früher nicht. Da haben sich die Dinge entwickelt und du wurdest für bestimmte Aufgaben angesprochen oder empfohlen. Insofern ist es ein riesiger Fortschritt, dass heute jeder über Karriere nachdenken kann. Das ist eines der wesentlichen Dinge, die sich verändert haben, neben demokratischen Grundrechten, und natürlich der Reisefreiheit.

Was denkst du denn zur aktuellen Situation im Nahen Osten, also gerade in Bezug auf Syrien?

Mir tut es wirklich weh, zu sehen, was heute dort passiert. Mit welcher Unverfrorenheit da Kriegshysterie betrieben wird und welche Flüchtlingsströme entstehen. Wir müssen das alle noch aushalten, also eher du und meine Enkel.

War der kalte Krieg eine friedliche Zeit für Syrien? Immerhin waren das ja damals beides Militärdiktaturen.

..was ist denn mit Saudi-Arabien? Ist das etwa keine Diktatur? Aber zu Syrien: Da haben früher alle friedlich miteinander gelebt. Für mich sind die heutigen Bürgerkriege von außen befeuerte Konflikte.

Noch mal zurück zu Deutschland: War es aus deiner Sicht denn überhaupt eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten?

Es war eine Übernahme. Und offiziell heißt es ja auch Beitritt. Bei einer Vereinigung hätte man manche Dinge neu ordnen und in einer Verfassung festhalten müssen.

Ist das Thema Ost-West für dich abgeschlossen?

Ich genieße es einfach, frei leben und überall mit Euro bezahlen zu können. Aber ich käme beispielsweise nicht auf die Idee, zu deiner Schwester nach Bayern zu ziehen. Ich werde dort das Gefühl nicht los, als Ostdeutscher von oben herab angesehen zu werden.

Was meinst du, wann Ost und West keine Rolle mehr spielen?

Das wird für jeden anders sein, aber insgesamt wird sich die Frage erst lösen, wenn es eine gemeinsame Herausforderung geben wird.

Was könnte das sein?

Ich denke zum Beispiel an die jetzige Völkerwanderung, die die Menschen in Ost und West in gleichem Maße herausfordert. Es gibt aber noch Unterschiede im Alltag. Und die werden ja auch gepflegt, von der Politik und den Medien.

War die Wiedervereinigung unter dem Strich erfolgreich?

Die Wiedervereinigung gehört zu den herausragenden positiven Ereignissen des letzten Jahrhunderts. Heute kann ich für mich sagen, dass diese Veränderung absolut positiv verlaufen ist. Für alle Menschen gilt das sicher nicht, aber für die Mehrheit sicher schon. (mz)