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Ein begabtes Kind das anders ist Ein begabtes Kind das anders ist: Mutter eines Jungen mit Tourette-Syndrom gründet Selbsthilfegruppe

Von Constanze Matthes 02.09.2014, 07:37
Michaela Heidemann und ihr sechsjähriger Sohn Jamie.
Michaela Heidemann und ihr sechsjähriger Sohn Jamie. Matthes Lizenz

Apolda/naumburg - Nicht nur sein Geburtsdatum zeigt, dass Jamie ein besonderes Kind ist. Geboren in einem Schaltjahr am 29. Februar ist der Sechsjährige das dritte Kind von Michaela Heidemann. „Schon als Baby war er anders, anders als andere Kinder, anders als meine beiden älteren Söhne“, erzählt die Mutter.

Jamie ist ein stilles Kind und in sich gekehrt. Seine motorische Entwicklung setzt spät und zögerlich ein. Dagegen scheint er von geistigen Fähigkeiten reich gesegnet zu sein. „Er kannte jedes Autologo, konnte Tüten aus dem Supermarkt den einzelnen Firmen zuordnen. Da war er gerade mal eineinhalb Jahre alt“, erinnert sich Michaela Heidemann, die aus Naumburg stammt, in Herrengosserstedt aufgewachsen ist und nun im thüringischen Apolda mit ihrer Familie lebt.

Schon früh beginnt Jamie zu sprechen, heute kann der Sechsjährige bereits lesen. Am Wochenende feiern die Heidemanns seine Einschulung. Außerdem mag der Junge Ordnung, dass die Dinge stets an ihrem Platz sind. Fremden gegenüber, vor allem Frauen, zeigt er sich ängstlich und scheu.

Die ersten Vermutungen der Eltern, ihr jüngster Sohn sei hochbegabt oder leide unter einer Form des Autismus, des sogenannten Asperger-Syndroms, erweisen sich jedoch als falsch. Nach einem zwölfwöchigen teilstationären Aufenthalt in der Kinderpsychiatrie in Jena erfahren sie im vergangenen Jahr die Diagnose. Jamie hat das Tourette-Syndrom. „Wir waren überrascht und geschockt. Ich kannte es bisher nur aus dem Fernsehen“, sagt die 39-jährige Apoldaerin. Zum Verhalten des Kindes gehören nämlich auch sogenannte Tics. Manchmal sagt Jamie die Worte „Pupser“ oder „Rülpser“, ab und an bewegt er hektisch seine Hände.

Wie die Öffentlichkeit auf das Tourette-Syndrom reagiert, lesen Sie auf Seite 2.

Nach der Diagnose beginnt Michaela Heidemann selbst zu recherchieren. Im Internet stößt sie auf Videos und Betroffene. In Frankfurt/Main besucht sie eine Tagung zum Thema. All das, um auch Hilfe und Beistand zu finden. Denn in der Zeit vor und nach der Diagnose fühlte sich die Mutter hilflos. Vor einigen Monaten rief sie eine Selbsthilfegruppe ins Leben. Das erste Treffen fand Ende Juni in Apolda statt. Die Reaktionen sind jedoch bisher eher spärlich. Dabei ist sich Michaela Heidemann sicher, dass es in der Region Betroffene gibt. „Die Dunkelziffer ist recht hoch. Denn viele verstecken sich“, meint die dreifache Mutter. Außerdem soll es Betroffene geben, die von ihrer Erkrankung noch nichts wissen.

Die Öffentlichkeit reagiert meist mit Ablehnung auf das Verhalten der Touretter. Solche Reaktionen haben Mutter und Sohn bisher nur in einem speziellen Fall bemerkt. „Noch sehen Fremde Jamies Verhalten vielleicht als lustig und niedlich an. Er ist ja noch ein Kind“, meint Michaela Heidemann. Angst vor den kommenden Jahren hat sie trotzdem - wenn Jamie die Schule besucht, erwachsen wird. Wird er sich durchsetzen können, wird er gehänselt? Welche Tics kommen womöglich noch hinzu? Das sind die Fragen der Eltern.

Mutter und Vater haben sich entschieden, dass ihr Kind eine normale Grundschule besucht. Dem Schulleiter haben sie von Jamies Verhalten erzählt. Allgemein hat Michaela Heidemann einen großen Wunsch: „Dass die Menschen mit Tourette-Syndrom in der Öffentlichkeit akzeptiert werden.“

Die Tourette-Syndrom-Selbsthilfe-Gruppe Thüringer Tandem trifft sich an jedem vierten Sonnabend im Monat ab 14 Uhr in der Niederroßlaerstraße 1 in Apolda.

Erreichbar ist die Gruppe unter:[email protected]