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Drama auf Übungsfahrt Drama auf Übungsfahrt: Retter weinen am Unfallort

Von Oliver Schlicht und Regina Malsch 20.06.2006, 18:23

Glindenberg. - "Wir hatten uns schon seit Tagen auf die Übung gefreut. Und nun diese Katastrophe direkt vor unseren Augen." Lisa Jette (13) und Ines Bartels (17) sind Mitglieder der Jugendfeuerwehr in Glindenberg. Beide wohnen in der Nähe des Unglücksortes.

Als am Montag um 18.30 Uhr die Sirene ertönt, postiert sich Lisa Jette am Fenster. Sie weiß, dass die Feuerwehr eine Übung in der Kindertagesstätte "Kleine Elbstrolche" hat und dazu Wolmirstedter Kameraden angefordert wurden. Nach ein paar Minuten kommt das erste Löschfahrzeug mit Blaulicht und Martinshorn. Zur gleichen Zeit nähert sich auf der abbiegenden Hauptstraße von rechts ein Mercedes - der Wagen hätte Vorfahrt. Auf der Kreuzung prallen beide Fahrzeuge zusammen.

"Ich hab gesehen, wie sich das Löschfahrzeug mehrmals überschlagen hat und mit Wucht gegen den Baum gestoßen ist", sagt Lisa mit Tränen in den Augen. Wolmirstedts Wehrleiter Dirk Bischoff wartet zu der Zeit schon vor der Kita. Da ertönt der Funkspruch: "Schwerer Unfall in Glindenberg".

Die Übung wird abgebrochen. Auf der Kreuzung bietet sich ein Bild des Schreckens. Wolmirstedter Wehrleute aus einem zweiten Fahrzeug sind dabei, die Opfer mit Motorsägen herauszuschneiden. Viele Helfer weinen herzzerreißend, machen sich gegenseitig Mut. "Wir müssen jetzt stark sein", ruft eine Feuerwehrfrau.

Wenig später sitzen erschöpfte Retter am Straßenrand, starren vor sich hin. Landrat Thomas Webel trifft ein, spricht sein Mitgefühl aus, dankt den Helfern. Als die ersten Angehörigen kommen, beginnen erschütternde Szenen. Weinende Menschen stehen auf der Kreuzung. Ein Pfarrer wird um Seelsorge gebeten. "Es ist ganz wichtig, dass man sich um die Angehörigen kümmert. Auch die Feuerwehrleute, die hier Entsetzliches erlebt haben, brauchen Beistand", sagt eine Frau. Wolmirstedts Bürgermeister Hans-Jürgen Zander kündigt an, dass sich Fachleute nicht nur am Montag, sondern auch in den kommenden Tagen um die Einsatzkräfte und die Jugendfeuerwehren kümmern.

"Die Stadt wird für die Familien, die ihre Söhne verloren haben, die Kosten für eine würdige Beisetzung übernehmen", so Zander. Am Tag nach dem Unglück gibt es bereits erste Spenden. Der Thüringer Feuerwehrverband hat für Hinterbliebene ein Konto eingerichtet. Auch der hiesige Verband kündigte Spendenaktionen an. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) sprach den Angehörigen sein Beileid aus.

In Wolmirstedt hängen die Fahnen auf Halbmast. Hier wird man noch einige Zeit brauchen, sich von dem Schock zu erholen. Vier Feuerwehrleute im Alter zwischen 20 und 22 Jahren leben nicht mehr. Zwei von ihnen waren erst zu Jahresbeginn zum Hauptfeuerwehrmann befördert worden, ein dritter war Jugendwart. Schwer verletzt wurden neben der Pkw-Fahrerin Brandbekämpfer im Alter von 19, 26 und 33 Jahren sowie die 35-jährige Maschinistin am Steuer. Sie ist langjähriges Mitglied der Feuerwehr, gilt als erfahrene Fahrerin. Nach Augenzeugenberichten soll das Fahrzeug am Unfallort mit Blaulicht, Signalhorn und hohem Tempo unterwegs gewesen sein.

Polizeiangaben, wonach die Feuerwehrleute nicht wussten, dass es sich um eine Übung handelte, widersprach unterdessen der Leiter des Katastrophenamtes im Ohrekreis. Wehrleiter Bischoff warnt aber vor Vorverurteilung: "Die Situation am Unfallort ist kompliziert und unübersichtlich. Erst müssen alle Untersuchungen abgewartet werden."

Die Autoren sind Mitarbeiter der Volksstimme Magdeburg.