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Deutsche Bahn Deutsche Bahn: Im Tarifdschungel der Fahrkartenautomaten

Von Alexander Schierholz 30.07.2012, 18:51

Leipzig/Halle (Saale)/MZ. - Neulich hat Heike Söhn es wieder getan. Sie hat Fahrgäste an einem Ticket-Automaten der Deutschen Bahn beobachtet. In Hamburg, wo sie dienstlich war. Irgendwann haben die beiden älteren Damen Heike Söhn um Hilfe gebeten, weil sie nicht weiter wussten. Und hinterher haben sie festgestellt: "Ist doch gar nicht so schwer!" Heike Söhn freut sich, wenn sie so etwas hört.

Automaten begutachten, das ist so etwas wie eine Berufskrankheit der Ingenieurin für Verkehrskybernetik. Für viele Bahnkunden, vor allem für jene, die nicht häufig fahren, sind die mit Elektronik vollgestopften Kästen ein ewiges Mysterium. Heike Söhn hat sogar zwei davon im Büro stehen. Na ja, fast: in einem Beratungsraum gleich nebenan. Zu Testzwecken.

Söhn, 49, ist Teamleiterin des Tarifdatenzentrums der Bahn in Leipzig. Ein gutes Dutzend Mitarbeiter füttert dort Fahrkartenautomaten der DB sowie die mobilen Verkaufsgeräte der Schaffner mit Daten - damit die am Ende das richtige Ticket zum richtigen Preis ausspucken. Zum Beispiel im Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV): Im Großraum Halle / Leipzig steigen ab 1. August die Fahrpreise für Busse und Bahnen, es gibt einige neue Fahrscheine. Die Automaten müssen das wissen.

Von Zone zu Zone

Verkehrsverbund? Da stellen wir uns mal ganz dumm, um die "Feuerzangenbowle" zu zitieren: Der MDV erstreckt sich über Halle, Leipzig, den Saalekreis, den Burgenlandkreis, den Kreis Nordsachsen, den Kreis Leipzig und den Kreis Altenburger Land in Thüringen. In diesem Gebiet gelten Fahrkarten für den Nahverkehr in Zügen, Bussen und Straßenbahnen gleichermaßen. Wer umsteigt, braucht also kein neues Ticket mehr lösen. Das Prinzip: Das Gebiet ist in sogenannte Tarifzonen eingeteilt. Je mehr Zonen durchfahren werden - von Halle nach Leipzig etwa sind es fünf -, desto teurer ist der Fahrschein. An die 80 solcher Gebilde gibt es in Deutschland, in ihnen haben sich Kommunen und Betreiber von Bussen und Bahnen zusammengeschlossen. Heike Söhn und ihr Team betreuen von Leipzig aus alle Verbünde.

Der MDV zum Beispiel verkauft ab morgen neue Tageskarten: für eine oder mehrere Personen, im Preis entsprechend gestaffelt. Der Fahrgast kann wählen. Auch an den Automaten der Bahn. Maik Schubert ist der Mann, der die Technik darauf vorbereitet. Der Wirtschaftsinformatiker, 35, klappt seinen Laptop auf. Zu sehen ist, was man von einem Fahrkartenautomaten kennt - die Oberfläche mit verschiedenen Buttons, die man drücken muss, um an das richtige Ticket zu kommen. "Automaten-Simulation" heißt die Software.

"Ich definiere, wie es am Ende aussehen soll auf dem Automaten-Bildschirm", sagt Schubert. Beispiel Tageskarte: Wer sie kaufen will, muss ab morgen die Zahl der Mitfahrer bestimmen, indem er in einem Auswahlmenü eine Ziffer zwischen eins und fünf drückt. Das Werk von Maik Schubert. Und von einem Programmierer, der nach Schuberts Vorgaben die Software dazu schreibt.

Das Problem daran: Schubert muss immer wieder so tun, als wäre er ein Bahnkunde, der - im schlimmsten Fall - noch nie einen Ticketautomaten bedient hat. Mitunter sei das schwierig, sagt er: "Man steckt manchmal zu tief drin." Dabei müsse alles so kundenfreundlich wie möglich sein.

Das klappt nicht immer. Vor zwei Jahren hat die Bahn die Software ihrer Automaten umgestellt. Bundesweit. Die Folge waren lange Schlangen an den Geräten, weil die Kunden mit der neuen Menüführung nicht klar kamen. Dabei sollte sie logischer und einfacher sein. Manche Fahrscheine, etwa das Hopper-Ticket, waren aber schwieriger zu finden als vorher. Maik Schubert und seine Kollegen in Leipzig, das sei zu deren Ehrenrettung gesagt, waren für die Panne nicht verantwortlich.

Reisende, ratlos

Mittlerweile hat die Bahn nachgebessert. Viele Kunden sind die Bedienung gewöhnt. Dennoch stehen immer wieder Reisende ratlos vor Fahrkartenautomaten. Wie neulich in Hamburg die beiden älteren Damen, denen Heike Söhn schließlich helfen konnte. "Man kann die Automaten noch so bedienfreundlich gestalten" sagt sie, "die Tarife sind komplex." Sie sagt: Tarife. Sie meint: Tarifdschungel.

In dem ist das Hopper-Ticket nur ein zartes Pflänzchen. Nehmen wir den MDV: 57 Tarifzonen lassen rund 17 000 Fahrtkombinationen im Großraum Halle-Leipzig zu, haben sie beim Verbund ausgerechnet. Eine riesige Datenmenge für die Ticketautomaten der Bahn. Maik Schubert und seine Kollegen bekommen sie als Datei direkt vom MDV. In jedem Jahr. Weil es in jedem Jahr neue - in der Regel höhere - Fahrpreise gibt. Dann fangen sie an zu tüfteln.

In der Nacht zu Mittwoch werden die neuen Tarife auf die DB-Automaten im Verbundgebiet aufgespielt - rund 200 Geräte auf Bahnhöfen, 180 in Zügen. Das Update übernimmt zentral DB-Systel, die Systemtechniktochter der Bahn in Frankfurt am Main. Dort wird vorher auch getestet, ob alles funktioniert. An echten Automaten. Die Geräte im Beratungsraum neben dem Büro von Heike Söhn in Leipzig dienen Tests während der Software-Entwicklung. Damit Söhn und ihre Kollegen nicht nur auf ihre Simulationsprogramme angewiesen sind.

Die Fahrgäste, also wir, simulieren schließlich auch nicht.

Ab 1. August teurer: S-Bahn-Fahrt Halle-Leipzig.
Ab 1. August teurer: S-Bahn-Fahrt Halle-Leipzig.
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