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Der Weg nach oben Der Weg nach oben: Argentinierin nutzt Halle als Karriere-Sprungbrett

Von Katrin Löwe 04.08.2014, 05:35
Selma Gago-Zachert forscht am Leibniz-Institut in Halle.
Selma Gago-Zachert forscht am Leibniz-Institut in Halle. Silvio Kison Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Es ist auch so etwas wie eine Rückkehr zu den Wurzeln: Nach dem Ersten Weltkrieg sind ihre Großeltern mütterlicherseits aus Deutschland ausgewandert, sind in Argentinien in einer 180.000 Einwohner-Stadt im Norden gelandet, in der Selma Gago-Zachert Jahrzehnte später groß geworden ist. „Mit ihnen habe ich als Kind immer deutsch gesprochen“, sagt die 45-Jährige. Das hat geholfen, als sie nach langem Zwischenstopp im spanischen Valencia vor drei Jahren nach Deutschland kam. Seitdem forscht die Biologin am Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie (IPB) in Halle. Es ist ein Ort, an dem sie bleiben und an dem sie noch Karriere machen möchte.

Ehrgeiz und Qualifikation

Gago-Zachert ist eine von rund 20 bundesweit ausgewählten Wissenschaftlerinnen, die über ein Mentoring-Programm für eine Spitzenposition in der Leibniz-Gemeinschaft fit gemacht werden sollen. Der Anteil von Frauen in der Führungsebene, schrieben Teilnehmerinnen eines Pilotprojekts vor zwei Jahren, solle so bis 2016 auf 20 Prozent erhöht werden. 2012 noch waren nur knapp elf Prozent der Direktorenstellen in den 89 Einrichtungen der Wissenschaftsgemeinschaft weiblich besetzt gewesen. Nach dem zweijährigen Pilotprojekt ist das Mentoring-Programm 2013 erstmals bundesweit gestartet, Ende dieses Jahres beginnt die zweite Runde. Seminare, vor allem aber die Kontakte zu erfahrenen Mentoren sollen den Teilnehmern helfen, ihre eigene Karriere zu planen, wissenschaftliche Netzwerke auszubauen, Führungsstrategien zu entwickeln und dabei „so selbstbewusst und mitreißend wie Männer aufzutreten“, wie IPB-Sprecherin Sylvia Pieplow sagt. „Frauen neigen ja dazu, bescheiden zu sein.“

Den nötigen Ehrgeiz und die fachliche Qualifikation bringen Wissenschaftlerinnen wie Gago-Zachert mit. Noch in Argentinien hat sie ihre Doktorarbeit zu einem Pflanzenvirus geschrieben, der bereits 1925 eine Epidemie unter Zitrusgewächsen in Südamerika ausgelöst hat. Neun Jahre hat sie anschließend in Spanien gearbeitet, bis die Wirtschaftskrise dort die Etats für Forschung immer mehr zusammenschrumpfen ließ.

Wie reagieren Pflanzen auf Stress?

„Ich wollte nochmal wechseln“, sagt Gago-Zachert. Dabei wären theoretisch ihre Karrierechancen auch in der argentinischen Heimat nicht schlecht gewesen. Der Frauenanteil in der Wissenschaft ist dort relativ hoch, erzählt sie, weil die Männer dazu neigen, in die wesentlich besser bezahlte Industrie zu gehen. „Aber Forschen in Argentinien ist kompliziert.“ Die derzeitige Regierung habe zwar wieder etwas mehr Geld bereitgestellt. Stabil sei die Situation für Wissenschaftler aber nicht.

Was die Argentinierin an Halle besonders mag, lesen Sie auf Seite 2.

Anders, so ihr Eindruck, als in Deutschland. Gago-Zachert mag nicht nur Halle, eine Stadt, die sie für ihre frische Luft (im Gegensatz zur benzingeruch-geschwängerten in ihrer Heimat) und ihr vieles Grün lobt und in der sie sich als Barockmusik-Fan dank Händel richtig wohl fühlt. Sie mag auch ihren Job. Die 45-Jährige ist am IPB Leiterin einer Arbeitsgruppe, die mit vier Studenten daran forscht, wie genau Pflanzen unter Stress bestimmte Gene aktivieren oder deaktivieren können, um sich gegen Trockenheit, Krankheiten oder Fraßfeinde zu wehren. Getestet wird das im Labor an Tabakpflanzen und einem Unkraut: der Ackerschmalwand. „Mir gefällt sehr, was ich mache“, sagt sie. Krönen ließe sich das aber immer noch: mit einem Professorenstuhl oder einer permanenten Gruppenleitung.

„Ich bin sehr dankbar“

Gago-Zachert erhofft sich dafür einiges von dem Mentoring-Programm. Nicht grundlos, wie eine ihrer halleschen Kolleginnen berichtet. Postdoktorandin Carolin Delker ist noch bis Oktober in der ersten Runde des Leibniz-Mentorings dabei. „Ich bin sehr dankbar, weil es mir viel gebracht hat“, sagt sie schon jetzt. Gefallen hat ihr nicht nur der Kontakt zu den 25 anderen „Mentees“ - Teilnehmern aus ganz verschiedenen Fachrichtungen. Aus dem intensiven Kontakt mit ihrer Mentorin habe sie etliche Hinweise mitgenommen, wo sie sich als Wissenschaftlerin engagieren, wie sie sich und ihre Arbeit „sichtbarer“ machen kann. Und wann und wo es Sinn macht, Drittmittel für die eigene Forschung einzuwerben. „Das sind ja auch ein bisschen Insiderinformationen, die so nirgends festgeschrieben sind“, sagt Delker, die in Halle zu Temperaturstress bei Pflanzen forscht.

Manchen Tipp hat sie auch aus Seminaren des Programms geholt, zum Beispiel aus einem Kommunikationstraining. „Dass man Gespräche systematisch planen kann, darüber habe ich vorher nie nachgedacht. Das kam bei mir immer aus dem Bauch heraus“, sagt sie. Heute weiß die Wissenschaftlerin zum Beispiel: Bringt sie eine Kritik nicht mit „du machst immer...“, sondern mit „ich habe das Gefühl, dass du...“ an, ist sie für den Gegenüber oft leichter anzunehmen. „Wir werden als Wissenschaftler ausgebildet, aber nicht in Führungsqualität“, sagt Delkert - das habe das Mentoring geändert.

Selma Gago-Zachert startet im November in das Programm, ihre Mentorin wird eine renommierte Professorin der halleschen Martin-Luther-Universität sein. Vorher geht es für die Argentinierin noch auf kurzen Heimaturlaub. Dann wird sie ihre Eltern sehen, mit denen sie derzeit zweimal wöchentlich über Internet telefoniert. Und wieder einmal täglich ihr geliebtes Steak essen. So schön Halle auch ist: „Rindfleisch ist hier richtig teuer und schmeckt auch anders“, sagt sie.