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Das Drama von Insel

Von Hendrik Kranert-Rydzy 04.11.2011, 20:11

Insel/MZ. - Auf dem Weg von Stendal ins Altmark-Dorf Insel liegt eine Art Supermarkt, in dem Alexander von Bismarck die heile Welt verkauft. Ganzjährig. In dem bunt illuminierten Gebäude lässt sich Weihnachtsschnickschnack bereits zu Ostern erwerben. Nur zwei Kilometer weiter erlischt jedoch der Schein der heilen Welt.

Am Feuerwehrdepot von Insel trommelt und bläst die Einwohnerschaft nicht nur gegen die Kälte des Novemberabends an. Vier Wochen lang hatten sie die Transparente eingerollt, hatte es auf Geheiß ihres Ortsbürgermeisters von Bismarck keine Demonstrationen gegen die seit Monaten in Insel lebenden, aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Sexualstraftäter gegeben. Es war eine nur mühsam aufrecht gehaltene Ruhe. In Insel gärt es, erst recht an diesem Donnerstagabend, an dem sich erstmals zwei Vertreter der Landesregierung in den 400-Seelen-Ort wagen. Auf die Staatssekretäre Eberhard Schmidt-Elsaeßer (Justiz, SPD) und Ulf Gundlach (Innen, CDU) wartet der Volkszorn.

Auf Krawall gebürstet

Dafür, dass dieser nicht erlischt, sorgt Alexander von Bismarck. Der Sproß einer Nebenlinie aus dem Geschlecht des ersten deutschen Reichskanzlers hat vor der Einwohnerversammlung ein Gespräch mit Gundlach und Schmidt-Elsaeßer gehabt. Ergebnislos. "Von Bismarck ist auf Krawall gebürstet", grummelt Schmidt-Elsaeßer, als er den Versammlungsraum betritt. Er ist von seiner Chefin, Justizministerin Angela Kolb (SPD), zum Feuerlöschen nach Insel geschickt worden. Doch der Staatssekretär hat nicht mal eine Decke dabei, um die Flammen zu ersticken. In Insel wollen sie nur eines - einen Umzugstermin. Doch den kann Schmidt-Elsaeßer nicht bieten.

Von Bismarck müht sich zunächst, die Rolle des Brandstifters abzuschütteln. Er gibt sich jovial, lobt zunächst den Besuch der Ministerialen, der "zeigt, dass man die Situation in Insel ernst nimmt". Er bekommt immer wieder Beifall. Vor allem, als er auf "die Politiker" zu sprechen kommt, von denen man enttäuscht sei, weil sie nicht täten, was man verlange. "Obwohl sie von uns bezahlt werden", sagt von Bismarck. Er tut dies lächelnd, ohne merklich die Stimme zu heben. Und doch mit genügend Verve, um die Stimmung immer knapp am Siedepunkt zu halten. Das bekommen die wenigen zu spüren, die Kritik am Vorgehen gegenüber den beiden Männern wagen. Als eine kleine, zierliche Frau von Bismarck hinterfragt, zischt Dolchstoß gleich ein Zwischenruf hervor: "Du kannst deine olle Fresse halten!" Die Frau, die dies hervor presst, steht neben einer, die auf den Punkt bringt, was wohl viele im Feuerwehrdepot über die beiden Männer denken, die keine 500 Meter entfernt Tag und Nacht von der Polizei bewacht werden müssen. "Kastrieren und dann ab", poltert die Dame und verschränkt demonstrativ die Arme. Von Bismarck greift nicht ein, sondern sitzt auf seinem Stuhl und scheint sich zu amüsieren. Er zieht Grimassen, er grinst, er schlägt die Hände vors Gesicht. Als säße er in einer mitreißenden Komödie. Und nicht in einem Drama, dessen Regisseur er ist.

Schmidt-Elsaeßer müht sich unterdessen, die Geschichte der in Insel unerwünschten Sexualstraftäter nachzuzeichnen. Dass das Land sie nicht nach Insel geholt habe. Dass man deren Wunsch, nach Insel zu ziehen, auch nicht habe verhindern können: "Das sind zwei freie Männer, die können gehen, wohin sie wollen." Der Saal johlt. Es nützt auch nichts, dass Schmidt-Elsaeßer mehrfach darauf hinweist, dass sich die beiden seit einem Jahr akribisch an alle Auflagen halten. Wer das denn kontrolliere, das ginge doch gar nicht. Wenn Schmidt-Elsaeßer und Gundlach bis jetzt nicht wussten, dass sie zu spät gekommen sind - jetzt wissen sie es.

Der rechte Zeitpunkt wäre wohl jener Tag gewesen, als von Bismarck die Namen der Männer öffentlich machte und nur Stunden später in einer Einwohnerversammlung verkündete, wer da bislang unbemerkt im Dorf wohnte. Stattdessen wartete die Landesregierung ab. Sah sich zweimal wöchentlich die Nachrichten von den Demos in Insel an. Und schaltete sich erst ein, als von Bismarck einen Trupp Neonazis als "Gäste" begrüßte. Das Signal nach außen war doppelt verheerend: Ein CDU-Mann, der die Teilnahme auch von Rechtsextremisten zumindest billigend in Kauf nahm. Und eine Landesregierung, die den Eindruck hinterließ, erst dann zu reagieren, wenn es lichterloh brennt.

In der Defensive

Der Justizstaatssekretär räumt Fehler ein - und gerät zusehends in die Defensive. Er stellt sich nicht vor den Bewährungshelfer, den von Bismarck mit vergiftetem Lob und Vorwürfen an die Wand drückt. Nur mühsam weist er den Bürgermeister in die Schranken, als der erklärt: "Bitten Sie Ihre Ministerin, draußen mal den Mund zu halten." Schmidt-Elsaeßer fürchtet wohl, die Lage könnte eskalieren, wenn er kritischer wird. So beschränkt er sich darauf, um Ruhe zu bitten - damit die Suche nach einer neuen Bleibe für die Männer gelingt. Heißt: keine neuen Demos. Ein frommer Wunsch. Von Bismarck sagt, was er davon hält: "Die Bürger sind der Meinung, dass sie sich nicht zurückziehen dürfen, sonst bleiben die Männer hier."

Hans-Jochen Tschiche, der alt gewordene Bürgerrechtler, zündet sich vor der Tür nach eineinhalb Stunden mit zittrigen Händen eine Zigarette an. Er bemüht sich um die Männer, hat versucht, mit einem Flugblatt die Stimmung zu besänftigen. Dafür wird er massiv attackiert. Er solle sich was schämen, schäumt einer. Die Polizei steht in Habacht. Und Tschiche versagt die Stimme.