Corona-Epidemie trifft die Ärmsten Corona-Epidemie trifft die Ärmsten: Die Tafeln fühlen sich zunehmend allein gelassen

Weißenfels - Dass hier jetzt eine besondere Sicherheitsstufe herrscht, sehen Tafel-Kunden in Weißenfels auf den ersten Blick. Jeder Mitarbeiter trägt an diesem Dienstag Schutzhandschuhe aus Plastik, an der Ausgabe liegen vorsichtshalber schon die Atemschutzmasken bereit. Wer hier Lebensmittelpakete abholt, muss jetzt durch eine Plexiglasscheibe sprechen, die jüngst angebracht wurde.
„Spuckschutz“ nennen sie das hier ganz unfein. Hauptsache, es gibt Sicherheit vor dem neuen Coronavirus: Sicherheit für alle Bedürftigen, die bei der Tafel gespendete Lebensmittel günstig kaufen wollen und müssen. Und Sicherheit für die Mitarbeiter.
Schließung der Tafel auch in Halle
„Die Coronakrise bekommt jetzt wirklich jeder zu spüren“, sagt Martina Mehlhorn, Mitarbeiterin der Weißenfelser Tafel. Besonders hart könnte es aber die Bedürftigen in Sachsen-Anhalt treffen. Nämlich dann, wenn reihenweise Tafeln aufgrund der Virusgefahr schließen müssten - und somit der Verkauf günstiger Lebensmittel in Teilen des Landes wegbrechen würde. „Wir hoffen, dass wir so lange wie möglich offen bleiben können“, sagt Mehlhorn am Dienstag. „Darauf sind viele angewiesen.“ Auch deshalb gibt es in Weißenfels jetzt so viele Sicherheitsmaßnahmen.
Die ersten Tafeln im Land haben bereits dicht gemacht. Zuerst traf es Quedlinburg, Halberstadt und Wernigerode. Mittlerweile ist aber klar: Nicht nur der Harz ist von Schließungen betroffen, auch in Halle hat die Stadtmission am Montag die Ausgabe der Tafel eingestellt. „Auch das ist eine Vorsichtsmaßnahme, um Risikogruppen zu schützen“, sagt Andreas Steppuhn, Landesvorsitzender der Tafeln. In Halle arbeiten unter anderem Menschen mit Behinderung bei der Tafel - sie gehören zu den gefährdeten Risikogruppen. Im Harz heißt es, vor allem ältere Tafelkunden sollen vor der Verbreitung des Virus geschützt werden. „Das ist zu akzeptieren“, sagt Steppuhn. Und warnt bereits: „Es könnte zu weiteren Einschränkungen kommen“ - auch wenn er hofft, dass Schließungen Einzelfälle bleiben.
Allerdings: Dazu müssten auch weiterhin genügend Lebensmittel gespendet werden. Steppuhn warnt: Die Spenden gehen aktuell schon spürbar zurück. „Die Tafeln bekommen derzeit ungefähr 15 bis 20 Prozent weniger Lebensmittel geliefert“, schätzt er. Die Einrichtungen arbeiten mit Supermärkten und Discountern zusammen, bekommen von dort unverkaufte Waren. „Einige Tafeln melden bereits Engpässe“, sagt Steppuhn. Besonders stark sei der Rückgang aktuell bei Obst- und Gemüsespenden. „Einiges davon kommt normalerweise aus dem Ausland - man spürt, wo mittlerweile überall die Ressourcen fehlen.“
In der Weißenfelser Tafel bestätigt Martina Mehlhorn: „Wir merken ganz deutlich, dass sich das Einkaufsverhalten in den Supermärkten derzeit verändert.“ Aus ihrer Sicht fehlen vor allem, Eier, Milch, Joghurt und - natürlich - Nudeln. „Wir haben allerdings ein paar Reserven, die wir jetzt ausgeben können“, sagt sie. „Das sind Konserven, aber eben auch Nudelprodukte.“
Wie nötig die Arbeit der Tafel ist, zeigte sich trotz allgegenwärtiger Infektionsgefahr aktuell in Weißenfels. Etwa 30 bis 40 Personen seien in den vergangenen Tagen zur Lebensmittelausgabe erschienen, sagt Mehlhorn. Eine Seniorin, die am Dienstag vorbeikommt, sagt: „Die Tafel muss weiter arbeiten, sonst haben wir ein Problem.“ Für jene älteren Menschen, die sich aufgrund der Coronagefahr nur ungern aus dem Haus trauen, gibt es deshalb auch einen Lieferservice, sagt Mehlhorn. „Er fährt zweimal in der Woche.“ Nötig sei dafür lediglich ein Anruf. Allerdings gilt auch: Seit die Lebensmittelspenden in der Viruskrise knapper werden, nimmt die Tafel in Weißenfels keine neuen Bedürftigen mehr in den Kundenstamm auf.
Bitte um Spenden
Plexiglas, Plastikhandschuhe und Atemschutz: Mit Blick auf das Krisenmanagement bei den Tafeln gibt es mittlerweile auch Kritik an den Behörden. „Wir fühlten uns da teilweise alleingelassen“, sagt Tafelchef Mathias Gröbner. „Bei den Gesundheits- und Ordnungsämtern haben wir in den ersten Tagen teils nicht mal jemanden ans Telefon bekommen.“ Indes hat sich die Tafel in Weißenfels eine weitere Einschränkung selbst auferlegt: Die Begegnungsstuben, in denen mittags warme Mahlzeiten ausgegeben werden, sind ab Mittwoch geschlossen. „Wir möchten die Leute nicht noch ermuntern, zusammenzusitzen“, sagt Gröbner.
32 Tafeln gibt es in Sachsen-Anhalt, etwa 60.000 Bedürftige nehmen ihre Hilfe in Anspruch. Etwa ein Viertel dieser Kunden sind Senioren. Allein 2019 gaben die Tafeln im Bundesland 9.000 Tonnen Lebensmittel und andere Produkte an Bedürftige weiter. „Jetzt brauchen die Tafeln Hilfe“, sagt Steppuhn. „Hier geht es ganz konkret um die Solidarität, die immer so angemahnt wird.“ (mz)