Tagebau in Profen Umzug der Frösche kostet 750.000 Euro - Tausende Amphibien und Eidechsen werden umgesiedelt

Hohenmölsen - Jeden Morgen gegen 8 Uhr gehen Annett Bellmann oder ihr Kollege Martin Graichen den Amphibienzaun in Bösau ab. Dieser ist grün, etwa 20 Zentimeter hoch, reicht aber aus, um Teichmolch, Knoblauchkröte oder Zaun-Eidechse den Weg zum Weiher zu versperren.
Alle paar Meter befindet sich im Boden ein Eimer. Am Donnerstag lagen in einem dieser zwei Teichmolche. „Ein Männchen und ein Weibchen“, platzt es aus Graichen heraus. Er erkennt dies auf den ersten Blick, schließlich ist er so eine Art professioneller Amphibien-Retter.
Seit März sammeln die Mitarbeiter der Ökostation Borna-Birkenhain die Tiere ein. Die Ortschaft Bösau im Burgenlandkreis gibt es schon seit fast 20 Jahren nicht mehr. Damals verließen rund 800 Einwohner von Großgrimma und Bösau ihre Häuser und zogen in die Stadt Hohenmölsen um. Die Bauten sind längst abgerissen. Wo sie standen, soll in ein paar Jahren nach Kohle gebaggert werden. Der angrenzende Tagebau Profen der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft (Mibrag) wird ausgeweitet.
Jahrelang unter Beobachtung
Noch wirkt das kleine Tal idyllisch: Eichen, Wiesen, ein kleines Gewässer und Wald. Bevor die Bagger anrollen, müssen auch geschützte Tierarten umgesiedelt werden. „Das Bundesnaturschutzgesetz schreibt dies vor“, sagt Peter Jolas, Leiter Umweltschutz und Geotechnik bei der Mibrag. Auf Reise gehen nicht nur tausende Amphibien und hunderte Eidechsen, auch Ameisen und Orchideen bekommen einen neuen Lebensraum. Laut Jolas veranschlagt die Mibrag in diesem Jahr dafür 750.000 Euro. Da sich die Umsiedlungen und nachträgliche Beobachtungen über Jahre erstrecken, werden am Ende dafür mehrere Millionen Euro zu Buche stehen.
Aus Sicht von Naturschützerin Bellmann ist dies gerechtfertigt: „Für Vögel und Fledermäuse werden auch neue Habitate in der Umgebung geschaffen“, sagt sie. Diese würden die Tiere von allein besiedeln. Amphibien und Eidechsen können das nicht. Also helfen Bellmann und ihre Kollegen. Per Hand werden die Tiere aus den Eimern geholt und im Auto in die neue Heimat gefahren. Zauneidechsen sind eine besondere Herausforderung: Bei sonnigem Wetter werden sie mit Ruten, an denen „Eidechsenlassos“ befestigt sind, eingefangen.
Naturschutz ohne Verhältnismäßigkeit?
Auf dem Ersatz-Habitat, der Kippe Pirkau zwischen Hohenmölsen und Nonnewitz, kreucht und fleucht es schon seit dem vergangenen Jahr. Ein Tümpel ist von Orchideenwiesen umrahmt. Pirkau ist einst auch ein Kohleabbaufeld gewesen. Nach der Stilllegung wurde es mit Erdabraum aus dem Tagebau Profen aufgefüllt. Nach den Planungen der Mibrag soll es ein ökologisches Kleinod werden. Mibrag-Umweltchef Jolas zeigt auf kleine Stein- und Geröllberge: „Das sind strukturierte Aufschüttungen.“
Paradies für Echsen
Die Mibrag-Tochter Gala hat sie in den vergangenen Monaten angelegt. Neben großen Steinbrocken liegen dort Totholz, Sand und Kies. „In einem dieser Haufen leben mehrere hundert Zaun-Eidechsen“, sagt Graichen. Acht dieser Anlagen soll die Gala errichten. Das „Paradies für die Echsen“ kostet 30.000 Euro.
Ein paar Meter davor befindet sich eine Holzabsperrung, wie sie auch um junge Bäume gezogen wird. Doch diese beschützt Waldameisen, damit niemand unbedacht auf sie tritt. „Mit Schaufeln wurden diese eingesammelt und hier wieder ausgesetzt“, erklärt Graichen. Rund um den kleinen Teich hört man die Frösche schon quaken.
Verläuft die Umsiedlung erfolgreich? „Das können wir erst in ein paar Jahren feststellen“, so Graichen. Dazu würden Auswertungen vorgenommen. Wird die neue Umgebung nicht angenommen, müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden. Doch Graichen und Bellmann sind optimistisch. „Wir haben in den vergangenen 20 Jahren schon einige Erfahrungen gesammelt“, sagt Bellmann.
Doch vermutlich wird für jedes „gerettete“ Tier aus Bösau dort ein neues geboren. Denn dort, wo es Platz und Nahrung gibt, siedeln sich Tiere auch schnell wieder an. Bellmann kennt solche Einwände: „Uns geht es nicht darum, die einzelne Kröte am Leben zu erhalten, sondern die Population zu erhalten.“ In Deutschland sei durch Haus- und Straßenbau sowie Landwirtschaft der Platz für Tiere eng geworden. Die bestehenden Populationen müssten erhalten bleiben.
Was ist verhältnismäßig?
Um jeden Preis? Das Bundesnaturschutzgesetz kennt hier keine Verhältnismäßigkeit. Das wäre auch schwierig. Ist eine Kröte nun einen, zehn, 100, 1.000 oder gar 10.000 Euro wert? Anja-Katharina von der Hagen, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände, ist allerdings der Meinung, dass es Schmerzgrenzen bei Aufwand und Nutzen gibt. „Wo diese liegen, muss aber in jedem Einzelfall entscheiden werden.“
Die Kippe Pirkau, auf der heute auch Galloway-Rinder weiden, ist zumindest ein anschauliches Beispiel dafür, dass Kohlebergbau keine Mondlandschaften hinterlassen muss. Dort finden hunderte Tiere eine neue Heimat. Und Umweltschützer könnten schließlich auch eine weitere Zahl anführen. Die Mibrag macht durch den Kohleverkauf jährlich zweistellige Millionengewinne. (mz)