Thomas Fritzsch aus Freyburg Thomas Fritzsch aus Freyburg: Der Detektiv der Gambe

Köthen - Dieser Köthener war einer der größten Popstars seiner Zeit: Carl Friedrich Abel (1723 - 1787). Er war nicht nur ein brillanter Gambenspieler. Für Thomas Fritzsch aus Freyburg, heute selbst ein Gambist von Weltrang, ist Abel einer der größten Komponisten des 18. Jahrhunderts. Damals war die Verehrung so gigantisch, dass Zeitgenossen sagten: „Es gab eine Zeit, in der alles ,abelisch’ war.“ Der Mann dominierte Europa.
Die Viola da Gamba – eine Art Riesengeige, zwischen die Beine geklemmt – war eines der beliebtesten Instrumente der Zeit. Es sind dermaßen viele Stücke für Gambe überliefert, dass ein Menschenleben nicht ausreichte, sie alle zu spielen. Allerdings: Konzerte für Gambe mit einer Orchesterbegleitung sind selten. Bislang sind weltweit nur 16 überliefert. Das 17. Konzert, eines von einst unzählig vielen verschollenen, wird an diesem Freitagabend zum ersten Mal wieder aufgeführt: im Spiegelsaal des Köthener Schlosses. Die Saiten streicht Thomas Fritzsch. Der 57-Jährige hat den Schatz geborgen - mit viel Geduld und noch mehr Scharfsinn.
Das Problem war: Das Werk ist nicht als Konzert für Gambe überliefert, nicht einmal in der richtigen Tonart. Dazu kam: Dieses eine Werk fand sich in verschiedener Form in zwei Manuskripten wieder: als Konzert für Cello, das in den Tiefen der Berliner Staatsbibliothek lagerte, und als Konzert für Flöte, das in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe ruhte.
Klar war immerhin: Der Komponist war der berühmte Köthener Abel. Und: „Die Substanz war identisch. Aber wir müssen davon ausgehen, dass zwei verschiedene Bearbeiter ganz getrennt voneinander auf diese ursprüngliche Fassung zugegriffen haben“, sagt Fritzsch. So wie das heute auch passiert, wenn jemand ein Lied bearbeitet, neudeutsch: „covert“. Schon im 18. Jahrhundert war das üblich – es gibt berühmte Violinkonzerte von Johann Sebastian Bach, die lange Zeit nur als Cembalo-Konzert bekannt waren.
Wie Näharbeiten
„Das ist ein bisschen, wie wenn jemand aus einem Textilstück etwas Neues macht. Der Fachmann stellt dann sofort fest: Hier ist die Naht aufgetrennt, hier hat einer was dazugenäht“, erklärt Fritzsch. Auch der Fachmann aus Freyburg merkte schnell: Diese beiden Konzerte hat Abel weder für Flöte noch für Cello geschrieben. Fritzsch bemerkte das zum Beispiel daran, wenn plötzlich ein Notenlauf zu Ende war und der Lauf plötzlich weit unten oder oben weitergeht – dann nämlich, wenn die Töne, die eigentlich gekommen wären, für die Flöte oder das Cello zu hoch oder zu tief sind. „Man weiß dann zum Beispiel: Bei der Flöte ist hier Schluss“, sagt Fritzsch.
Fritzsch vermutet, dass Abel das Ur-Stück als junger Mann am Dresdner Hof in den 1740er-Jahren komponierte. Darauf deutetet unter anderem die Orchesterbesetzung hin. „Am Dresdner Hof bestand diese in der Regel nur aus Streichern“, sagt Fritzsch. An diesem Freitag in Köthen übernimmt den Streicherpart die Merseburger Hofmusik. Die letzte Sicherheit, dass er es mit einem Gambenkonzert zu tun hat, gab ihm die Unverschämtheit eines berühmten Vorgängers: Der weltbekannte Gambist Christian Klug hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eigenhändig vier Takte im Karlsruher Flötenkonzert ergänzt – und diese vier Takte waren identisch mit vier Takten aus dem Berliner Cellokonzert
Auf derselben Spur
Dass es Christian Klug war, der auch schon davon ausging, dass diese beiden Konzerte in Wahrheit mal eines waren, ist leicht erkennbar: Mit Bleistift hat er sein Namenskürzel an die eingesetzten Takte gesetzt: „C. Klug“. Die Flickarbeit war nötig, weil die beiden „neuen“ Konzerte ziemlich lausig umgeschrieben waren - es fehlten ganze Takte.
Aber einfach so mit Bleistift in ein Jahrhunderte altes Dokument kritzeln? „Wer das heute macht, der würde geächtet werden“, sagt Fritzsch. Doch das wurde früher nicht so streng gesehen. „Ich hatte Glück, dass er das gemacht hat“, sagt Fritzsch, der damit erkannte, dass Christian Klug auf derselben Spur war. Und der kannte sich mit Abel aus. 1937 gab er im Spiegelsaal des Köthener Schlosses ein Konzert zum 150. Todestag des Superstars.
Es gibt noch Karten zum Preis für 25 Euro an der Abendkasse und 23 Euro im Vorverkauf in der Köthen-Info im Schloss, Telefon 03496/70 09 92 60, sowie in der Veranstaltungskasse im Halleschen Turm, 03496/40 57 75.
