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Rocklegende beim Mitteldeutschen Kultursommer Gottvater Iggy Pop: Angriff des alten Eisens

Der US-Amerikaner Iggy Pop hat vor einem halben Jahrhundert die Punkmusik erfunden. Bei seinem Konzert auf der Peißnitz in Halle wurde der 78-Jährige von Tausenden gefeiert.

Von Steffen Könau 22.06.2025, 12:04
Iggy Pop beim Konzert auf der halleschen Peißnitzinsel: Von Tausenden Fans gefeiert.
Iggy Pop beim Konzert auf der halleschen Peißnitzinsel: Von Tausenden Fans gefeiert. Foto: Steffen Könau

Halle/MZ. - Es dauert nicht länger als zwei, drei Sekunden, dann hat James Osterberg sich konzertfein gemacht. Die schwarze Anzugweste, getragen ohne Hemd, fliegt in die Ecke. Osterberg, besser bekannt als Iggy Pop, steht nun am Mikrophon wie immer: Schwarze Hose, bloßer Oberkörper, das Gesicht zur Faust geballt. „T.V. Eye“, spielt seine Band, die seit 58 Jahren The Stooges heißt, obwohl keiner der Musiker älter als Mitte 30 ist. Der Song stammt aus dem Jahr 1970, als Iggy Pop zusammen mit drei Freunden den Punk erfand.

Die Kollegen von damals sind alle gestorben. Iggy Pop aber ist immer noch da. Der kleine Mann mit der Lederhaut, wegen eines verkürzten Beines und einer Wirbelsäulenverkrümmung hinkend und humpelnd, fegt über die Freilichtbühne auf der halleschen Peißnitzinsel, als sei er nicht 78, sondern allerhöchstens 48 Jahre alt wie damals, als er zum ersten Mal hier gastierte, gemeinsam mit David Bowie. Die beiden früheren Westberliner WG-Kollegen galten damals als altes Eisen, Künstler aus der Steinzeit der Rockmusik. Die Open-Air-Arena war nur spärlich gefüllt. Die Euphorie deutlich kleiner als die großen Namen.

Ausverkaufte Arena

Iggy Pop aber hat es geschafft. Bei seinem zweiten Besuch in Sachsen-Anhalt stehen entlang der Anmarschwege Fans mit „Ticket gesucht“-Schildern. Und schon beim Auftritt der Rostocker Punkband Dritte Wahl feiern von weither angereiste Altpunks mit Iro, Metal-Fans, Zeitzeugen des Auftritts mit Bowie und erstaunlich viele junge Leute vor der Bühne, als ahnten sie, dass Großes geschehen wird.

Pop enttäuscht sie nicht. Wie ein Raubtier tigert er über die Rampe, während er Klassiker wie „Raw Power“ und „Gimme Danger“ singt. Keins dieser Lieder, gezimmert aus groben Gitarrenakkorden und harten Beats, war jemals ein Hit. Alle aber sind inzwischen wüste, wilde Klassiker, denen Iggy Pop seinen Beinamen des „Gottvater des Punk“ verdankt.

Großvater wäre passender. Irgendwo aus seinem spindeldürren Körper holt der kleine Mann mit dem dünnen Blondhaar die Energie, seine Lieder zu präsentieren, als gehe es bei jedem einzelnen um alles. Keine Atempause, Musikgeschichte wird gemacht. Mit hochgerissenen Händen dirigiert Iggy Pop den Publikumschor in den Refrain von „The Passenger“, der Ballade im Pop-Universum, die vom Taxifahren durch die Großstadt, dem blankgeputzten Himmel und den Sternen erzählt. „La la laa la la la laa la la“ singen Tausende und Pop strahlt unter der imposanten Faltenlandschaft, die er als Gesicht benutzt.

Euphorisch gefeiert: der 78-jährige Iggy Pop auf der Peißnitzinsel
Euphorisch gefeiert: der 78-jährige Iggy Pop auf der Peißnitzinsel
Foto: teffen Könau

Was für ein Unterschied zum letzten Mal auf dieser Bühne. Schlechtgelaunt hatte der Künstler Bierbecher ins Publikum geworfen und Mikroständer zertrümmert. Heute schmunzelt er, als begeisterte Fans bei „Lust for Life“ Becher nach vorn werfen. Bei „I wanna be your Dog“, geschrieben in dem Jahr der Mondlandung, kann er sich gelassen zurücklehnen. Den Gesang besorgen seine Anhänger für ihn. Ein Wald aus Armen wiegt sich über den Köpfen.

Angetrieben von „Special Water“

Nach einer Stunde setzt sich Iggy Pop zum ersten Mal an den Rand der Bühne, um die Geschichte seines Liedes „I’m sick of you“ zu erzählen. Vermeintlich erzählt es von seiner Trennung von einer „Betsy. Eigentlich gemeint aber sei, sagt Pop, sein Heimatland, die USA, das ihn krankgemacht habe. Darauf noch ein Schluck „Special Water“, hereingereicht in kleinen schwarzen Kunststoffflaschen. Und schon steht er wieder, wegen der kaputten Hüfte schräg zum S gekrümmt, aber bereit für die nächste Runde menschengemachtem Feuerwerk mit kratzigen Klassikern wie „Some Weird Sin“, „L.A.Blues“ und „Real Wild Thing“.

Die siebenköpfige Band hinter dem pausenlos umherspringenden Zeremonienmeister am Mikrophon spielt unauffällig und verlässlich. Zwei Gitarristen hat Pop mitgebracht, zwei Bläser, dazu Keyboarder, Bassist und Schlagzeuger. Gitarristin Sarah Lipstate dirigiert die bunte Truppe, Iggy Pop hat dadurch alle Freiheiten, sich und die Narben eines langen Lebens mit Sex und Drogen und Rock’n’Roll vorzuzeigen.

Ein glücklicher Star

Beschädigt, aber ungebeugt, schwitzend, aber glücklich, steht der 78-Jährige im Scheinwerferlicht, das Knittergesicht mittlerweile dauerhaft in Lachfalten gelegt. „Ich hoffe, das ist nicht Putin“, ruft er, als das Schlagzeug hinter ihm wieder ruppig losstampft. Die Stimme wie eine Klaviersaite gespannt, tanzt Iggy Pop zu „Funtime“ von der Bühne. Er winkt und ruft „Danke, Halle!“, und kommt gleich noch einmal zurück, um noch einmal zu winken, ehe er wirklich verschwindet.

„Der Mann ist 78“, sagt einer der alten Fans unten, als der letzte Ton verklungen ist: „Also ich habe jetzt keine Angst mehr vor dem Alter.“