Theaterspaziergang in Naumburg Theaterspaziergang in Naumburg: Vorhang auf für eine Stadt

Naumburg - Keine bequemen Sessel, keine Bühne. Die ersten Gäste nehmen auf den harten Treppenstufen im Foyer des Oberlandesgerichts (OLG) Platz. Weitere Besucher treten ein. Die Sicherheitsschranke ist ausgeschaltet, kein schrilles Piep ertönt. Vielmehr lässt Intendant und Regisseur Stefan Neugebauer ein Glöckchen erklingen. Begleitet und auch begrüßt von zwei Gestalten, die in ihrer weißen Kluft an eine Mischung aus Imker, Fechter und Astronaut erinnern, setzt sich die Gästeschar zum ersten Naumburger Theaterspaziergang in Bewegung. Erste Station: Gerichtssaal 400. Zwei Herren, jeweils im schwarzen Anzug gekleidet, sitzen vis-à-vis. Die Schauspieler Tom Baldauf und Michael Naroditski rezitieren aus Briefen, die sich Verleger Per H. Lauke und Herbert Rosendorfer geschrieben haben. Letzterem ist dieser Theaterspaziergang gewidmet, mit dem an den Autor und Juristen und dessen Texte erinnert wird. Rosendorfer war mehrere Jahre als Richter am hiesigen Oberlandesgericht tätig (siehe auch Beitrag „Fakten“).
An den Porträts einstiger OLG-Präsidenten und Zeugnissen der ehrwürdigen Geschichte des Hauses vorbei gelangt die Schar schließlich in die Bibliothek, ein Schmuckstück. Der bekannte schwere Duft von Büchern liegt in der Luft. An einem Tisch sitzt Schauspielerin Katja Preuß, die in einem Monolog über den fast vergessenen Operettenkomponisten Oscar Straus (1870 - 1954), der von Johannes Brahms einst entdeckt und von Walzerkönig Johann Strauss gefördert wurde, spricht. Aus einem grasgrünen Koffer-Grammofon ertönt ein Walzer des unbekannteren Straus.
Während für die Besucher nach der ersten Station die Tour per pedes durch die Domstadt beginnt, stehen die Schauspieler des Naumburger Theaters vor einem Abend der Verwandlungen. Doch sie schlüpfen nicht nur in andere Kostüme und Rollen. Mit der zweiten Station, die in einem bedächtigen Tempo über Neuengüter und Michaelisstraße erreicht wird, zeigen Baldauf und Naroditski ihre Wandlungsfähigkeit und Hingabe für skurrile Rollen. In der Arztpraxis präsentieren sie sich als Frauen, die sich über ihre Wehwehchen austauschen, die in nahezu keinem Körperteil fehlen dürfen. Worüber sollte man sich denn sonst unterhalten. Bis ein Mann, gespielt von Patricia Windhab, eine der Frauen zu einem gesundheitsfördernden Zug an der Zigarette verführt. Für diese herrlich-komische, an Loriot erinnernde Szene gibt es Vorschusslorbeeren in Form eines kräftigen Applauses. Die Kapelle am Hospital ist das nächste Ziel. Ab und an für Proben des Theaters genutzt, wird sie nun zur „richtigen“ Bühne. Die Zuschauer werden Beobachter eines himmlischen Spektakels, bei dem ein jüngst verstorbener Jurist (Tom Baldauf) vom Engel (Katja Preuß) und der Heiligkeit (Michael Naroditski) in die Gesetze und Gepflogenheiten des überirdischen Reiches eingeweiht wird; inklusive eines Blicks auf die eigene Beerdigung. Wer glaubt, dass es hier ohne gewissenhafte Bürokratie und Frage-Antwort-Bogen zugeht, der irrt. Auch Erotik kommt ins Spiel, was den sittsamen Juristen im weißen Totenhemd etwas verstört.
Bis zum Abschluss des ersten Theaterspaziergangs sind es schließlich nur noch wenige Schritte. Im Theater-Foyer gibt Patricia Windhab als Gasthaus-Bedienung die kesse Plapperliese, die sich über den bierseligen Stammgast und den reisefreudigen Liebhaber auslässt. Auch für Pia Merkel und Nikita Konicenko, Mitglieder der Theatergruppe „Domartisten“ des Naumburger Domgymnasiums, geht hier die Premiere zu Ende. In albanischer Imker-Kleidung gewandet, sprechen sie die letzten Worte des rosendorferschen Stückes „Mein Name ist Urlappi“. „Die speziellen Kostüme stammen aus meinem Fundus und kamen bereits vor einigen Jahren bei einem Stück in Albanien zum Einsatz“, erklärt Intendant Stefan Neugebauer. „Sie sollen den absurden Dialog verstärken.“ Unter den Besuchern ist auch Heiko Griesel. Der einstige Dramaturg des Theaters Naumburg unterstützt die Theater-AG. „Wir haben für den Theaterspaziergang parallel zu unserem eigenen neuen Stück geprobt“, erzählt Griesel. Die Premiere von „Anstalten“ steht für Mai an, auch weitere Aufführungen, so zu den Schultheatertagen und den Straßentheatertagen in Naumburg, sind geplant. „Für die Schüler ist es eine schöne Erfahrung, das Ensemble zu unterstützen“, so Griesel. Am Ende ernten nicht nur die Schauspieler, sondern auch die Nachwuchsmusiker Elisa Dutz und Julius Seidl, die sowohl im OLG als auch im Theaterfoyer musiziert haben, langanhaltenden Beifall.
Wenig später treten Donata Romizi aus Wien und Jochen König aus Heidelberg die Fortsetzung des Spaziergangs in Richtung Hotel an. Die praktischen Philosophen zählen zu Teilnehmern einer Tagung. „Ich bin begeistert. Das Format war mir bisher noch nicht bekannt“, sagt König mit Verweis auf die Verbindung von Stadtrundgang und Theater. Donata Romizi haben hingegen vor allem auch die Orte gefallen: „Sie strahlten jeweils ein ganz eigenes Flair aus“, sagt sie.