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Schüsse und ein Schönheitskönig Schüsse und ein Schönheitskönig: Die wichtigsten Fragen im Prozess um Adrian Ursache

Von Steffen Könau 05.09.2018, 07:00
Nach der Schießerei im August vor zwei Jahren in Reuden in der Elsteraue: Sanitäter versorgen den verwundeten Adrian Ursache, SEK-Beamte beobachten die Szene.
Nach der Schießerei im August vor zwei Jahren in Reuden in der Elsteraue: Sanitäter versorgen den verwundeten Adrian Ursache, SEK-Beamte beobachten die Szene. Polizei Sachsen-Anhalt / Youtube

Halle (Saale) - Ganz großer Bahnhof am 9.  Oktober vor einem Jahr. Das Landgericht Halle ist in den Hochsicherheitssaal des Justizzentrums umgezogen. Schwerbewaffnete wachen vor der Tür, Sicherheitskontrollen, Polizeiwagen überall.

Aus ganz Deutschland ist die Presse angereist, um die Eröffnung eines spektakulären Prozesses zu beschreiben. Ein Ex-Schönheitskönig, verheiratet mit einer Ex-Schönheitskönigin, ist zum „Reichsbürger“ geworden, der seinen eigenen „Staat“ gründet und bereit ist, dieses Fantasieprodukt aus Gartenzaun und selbstgemalter Fahne mit der Waffe zu verteidigen.

Adrian Virgil Ursache, 42, geboren in Rumänien, aufgewachsen in Süddeutschland und der Liebe ins Burgenland hinterhergezogen, fühlt sich im Recht, als er im August 2016 mit einem Revolver in der Hand SEK-Männern entgegentritt, die die gerichtlich verfügte Räumung des Familiengrundstückes sichern sollen.

Ursache, ein sportlicher und attraktiver Mann, stellt sich den Beamten entgegen. Nach vier Minuten, in denen die Beamten versuchen, ihn zum Aufgeben zu bewegen, habe Ursache, Vater, Fußballtorwart und Hobbymusiker, dann „gezielt auf den Kopf eines der Polizisten geschossen“, so der Staatsanwalt. Nur seiner Einsatzkleidung habe der Mann mit der Dienstnummer ST 325 sein Leben zu verdanken. Aus Sicherheitsgründen werden die Beamten mit Kürzeln anonymisiert.

Versuchter Mord, nennt das die Anklage, die im Verfahren, das inzwischen 37 Prozesstage andauert, acht Jahre Haft wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, versuchten Mordes, Körperverletzung und Verstoßes gegen das Waffengesetz gefordert hat. Im Plädoyer zeigte sich der Staatsanwalt überzeugt, dass Ursache „seine Wut auf das System“ mit der illegal beschafften Waffe gegen einen SEK-Mann gerichtet habe. „Das war vorbereitetes Handeln“, so der Ankläger, „das Auslösen des Schusses erfolgte nicht von Geisterhand.“

Doch so einfach sich das anhört, ist es nicht. Je länger das Verfahren dauerte, das mittlerweile in einem gewöhnlichen Verhandlungssaal am Stammsitz des Landgerichtes stattfindet und an diesem Mittwoch fortgesetzt wird, umso mehr verschwammen die Details. Und umso mehr Fragen tauchen auf, die vor einem Urteil beantwortet werden müssten. Die MZ beleuchtet die wichtigsten Punkte rund um die vier Minuten im August 2016, deren Aufarbeitung vor Gericht nun schon elf Monate andauert.

Wer hat zuerst geschossen?

Das ist durch die Tonspur zweier Polizeivideos bewiesen. Die ersten beiden Schüsse gab der Beamte ST 321 ab, der nach vier Minuten fruchtlosen Geschreis von Ursache („Erschießt mich“) und seinen Kollegen („Leg die Waffe nieder!“) eine Lösung der „bedrohlichen Situation“ herbeiführen wollte, wie er sagte. Nach eigenen Angaben wartete ST 321, bis sich Ursache, der ihm und drei weiteren SEK-Leuten mit vorgehaltener Waffe gegenüberstand, sich von ihm wegdrehte. Dann habe er zweimal auf dessen Arm gezielt und abgedrückt, jedoch „keine Reaktion“ wahrgenommen.

Wenn die Polizei zuerst schoss, durfte sich Ursache dann nicht verteidigen?

Nein. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat, nur die Polizeibeamten, so die Staatsanwaltschaft, hatten das Recht, gegen den sie bedrohenden Ursache zur Notwehr zu greifen. Ursache selbst verteidigt sich nicht mit dem Notwehr-Argument. Er gibt an, bei ihm seien bereits nach dem ersten Schuss, der ihn in den Brustkorb getroffen habe, „die Lichter ausgegangen“. Er behauptet weiter, erst nach Eintritt der Bewusstlosigkeit könne sich - vielleicht - der Schuss aus seiner Waffe gelöst haben, der nach Berechnungen des LKA Brandenburg 0,2 Sekunden nach dem zweiten SEK-Schuss zu hören ist. Auf Ursache werden daraufhin sofort weitere drei Schüsse abgegeben, zwei davon kommen wieder von ST 321, einer von ST 322. Nur ST 321 trifft, Adrian Ursache stürzt schwer verletzt zu Boden. Der gesamte Ablauf hat keine vier Sekunden gedauert.

Hat die Anklage den gezielten Schuss von Ursache auf den Polizisten bewiesen?

Die Staatsanwaltschaft glaubt, nachgewiesen zu haben, dass Ursache „alles getan hat, um ein Tötungsverbrechen zu begehen“ und zudem „in der Absicht schoss, ST 325 zu erschießen“. Die Verteidigung hat versucht, medizinische Gutachter laden zu lassen, die bestätigen sollten, dass Ursache schon nach dem ersten Treffer mit mannstoppender Polizei-Munition nicht mehr handlungsfähig war. Das Gericht lehnte das mit Blick auf die Angaben eines Sachverständigen ab. Der hatte eine Handlungsunfähigkeit nicht ausschließen wollen, aber ebenso nicht, dass Ursache noch bewusst, gezielt und in Tötungsabsicht schießen konnte.

Warum ging es im Prozess um eine kuriose Geschoss-Flugbahn?

Ein Kuriosum. Der SEK-Schütze ST 321 stand in der Tat von Ursache aus gesehen ganz links. Ursache selbst drehte sich nach seinen Angaben nach rechts, also von ST 321 weg. Dennoch trafen drei von vier Kugeln aus der Waffe von ST 321 Ursache von der rechten Seite in die rechte Körperhälfte. Um so treffen zu können, hätte der Schütze von rechts aus oder durch Ursache hindurchschießen müssen. Wie es zu den Verletzungen kam, wurde im Verfahren nicht geklärt. Auch die Staatsanwaltschaft hat das Paradoxon in ihrem Plädoyer nicht aufgelöst.

Wo und wie wurde der verletzte SEK-Mann getroffen?

ST 325, ganz rechts in der Reihe der vier SEK-Männer stehend, spürte nach eigenen Angaben einen stechenden Schmerz am Hals, seltsamerweise aber schon, bevor der erste Schuss fiel. Während er mit der Hand nach oben gelangt habe, um festzustellen, ob Blut fließe, habe der Schusswechsel begonnen, so ST 325. Nach dessen Ende fand ein Kollege ein Stück Kugel an der Innenseite des Halstuchs von ST 325. Es handelte sich dabei um 1,7 Gramm eines zwei Gramm wiegenden Bleigeschosses. Dessen Herkunft aus Ursaches Revolver konnte ein LKA-Experte nicht ausschließen, aber auch nicht zweifelsfrei feststellen.

Wieso schrumpfte die Kugel?

Dass die Kugel auf einer Flugstrecke von vier Metern rund 20 Prozent ihrer Masse verloren hatte, war in der Anklageschrift mit einem Aufprallen auf den Helm von ST 325 erklärt worden. Von dort sei ein Teil an den Hals des Verletzten weitergeflogen. Weil jedoch am Helm weder Schmauch noch Bleiabrieb nachgewiesen werden konnten, ist die Staatsanwaltschaft nun überzeugt, dass die Kugel vom Schutzpanzer des Beamten abprallte. Problem: Der wurde nie untersucht, so dass unklar ist, ob sich Spuren der Kugel an ihm finden. Zudem unaufgeklärt: „Wie konnte das Geschoss in das Halstuch gelangen, ohne ein Loch hineinzureißen?“, fragt Ursaches Anwalt Dirk Magerl.

Wie soll Ursaches Revolver als Beweis dafür dienen, dass aus ihm nicht geschossen wurde?

Eines der zentralen Rätsel. Bei einem Revolver mit „Double Action“-Funktion dreht sich die Trommel nach dem Schuss weitere, so dass sich die abgeschossene Patrone rechts neben dem Lauf befindet und die nächste volle hinter dem Lauf. In Ursaches Fall aber war die Kammer, in der die abgeschossene Patrone hätte stecken müssen, leer; links daneben befand sich eine volle Patrone und erst eine Kammer weiter steckte ein leere Hülse. Der Schusswaffenexperte des LKA befand: „Da stimmt irgendetwas nicht.“ Fakt sei, dass der Revolver Marke Arminus in diesem Zustand nicht gerade abgefeuert worden sein könne. Ausgeschlossen sei jedoch eine Manipulation der Waffe am Tatort. „Die Leute von der Tatortgruppe wissen ja, was sie tun, die drehen nicht an der Trommel.“

Adrian Ursache als selbsternannter Staatsgründer

Noch zwei Jahre vor dem Polizeieinsatz auf seinem - zu diesem Zeitpunkt schon zwangsversteigerten - Grundstück in Reuden in der Elsteraue galt Adrian Ursache als Erfolgsmensch. Er war „Mister Germany“, Telefonverkäufer und Solarunternehmer, glücklich verheiratet mit einer früheren „Miss Germany“ und Vater zweier Söhne. Dann der Knacks. Nach einer Festnahme wegen eines angeblichen sexuellen Übergriffs bricht die Beispielbiografie auseinander. Ursache fühlt sich für seinen Versuch abgestraft, einen Betriebsrat zu gründen.

Er beginnt, Fachliteratur über Straf- und Völkerrecht zu lesen, er beschäftigt sich mit dem Euro und der Geldschöpfung und gründet seinen eigenen Fantasiestaat „Ur“, in dem nur noch seine eigenen Gesetze gelten sollen. Rechnungen bezahlt er nun mit selbstgemachten Schuldscheinen, Polizei und Gerichtsvollzieher lässt er nicht mehr ein. Seine eloquente Art, seine Intelligenz und der Mangel an Respekt vor Institutionen machen Adrian Ursache zu einem Star in der Szene der Selbstverwalter und Reichsbürger. Er selbst genießt die Anerkennung und versichert, dass er für seine Aufgabe, dem „System“ die Maske vom Gesicht zu reißen, auch zu sterben bereit sei. (mz)

Tiefer Sturz: Bis vor vier Jahren galt Adrian Ursache als gutbürgerlich lebender Familienvater.
Tiefer Sturz: Bis vor vier Jahren galt Adrian Ursache als gutbürgerlich lebender Familienvater.
Steffen Könau