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Redakteur wird Stammzellen spenden Redakteur wird Stammzellen spenden: "Körper mit Adrenalin geflutet" Mein Blut für Mr. X

Von Harald Boltze 20.11.2019, 09:48
Periphere Stammzellenabgabe: Drei bis fünf Stunden wird die Spende wohl dauern. Was sie bewirkt, erfährt Harald Boltze erst Monate später.
Periphere Stammzellenabgabe: Drei bis fünf Stunden wird die Spende wohl dauern. Was sie bewirkt, erfährt Harald Boltze erst Monate später. DKMS

Naumburg - Krebs sorgt für Leid, Angst und Trauer. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass auch Sie das im Familien- oder Freundeskreis schon erlebt haben. Mich hat es übel getroffen. Der Krebs sorgte dafür, dass ich mich an meine Oma, die am anderen Ende der damaligen Meissnerstraße wohnte, kaum erinnern kann. Er ist verantwortlich dafür, dass mein so lebensfroher Onkel keine Witze mehr machen kann. Wegen seines unheilbaren Krebses musste mein Vater mehrere Chemotherapien durchstehen. Er konnte dem Tod bislang erfolgreich die Stirn bieten. Und schließlich: Krebs ist schuld, dass ich im Juli 2017 weinend am Grab meiner Mutter stand.

Hoffen, beten, umsonst hoffen: Das habe ich im Leben bisher als meinen Beitrag gegen diesen Feind leisten können. Und das ist wenig. Sehr wenig.

Anruf neun Jahre später

Deswegen wird man es verstehen, dass der 24. September ein besonderer Tag für mich ist. Aus heiterem Himmel bekomme ich einen Anruf der DKMS - einer der deutschen Knochenmarkspenderdateien. Seit 2009 bin ich dort durch einen Wangenabstrich per Wattestäbchen registriert. Es ist wie ein Organspende-Ausweis. Man hat es, ohne dran zu denken.

Dann aber der DKMS-Anruf aus Tübingen. Sechs meiner Gewebemerkmale passen zu einem an Blutkrebs erkrankten Patienten. Ob ich noch immer bereit wäre, Stammzellen zu spenden, werde ich gefragt. Und, ob ich eine Blutprobe abgebe, um zu sehen, ob bloß einige Merkmale passen oder ob wir tatsächlich „genetische Zwillinge“ sind. „Ja, klar, natürlich bin ich bereit“, platzt es aus mir heraus. Mein Körper ist mit Adrenalin geflutet.

Ich fülle online sofort einen medizinischen Fragebogen aus. Drei Tage später sitze ich beim Hausarzt und lasse mir Blut abnehmen, das ich noch am selben Tag ins Labor schicke. Die Röhrchen, das Porto, jegliche Infos: alles liefert die DKMS. Freundlich, schnell, kompetent. Ich fühle mich sehr gut aufgehoben. Nur eines sagt man mir nicht.

Vielleicht haben Sie sich gewundert, warum in diesem Text bisher 13 Mal „ich“ vorkam und noch kein Wort über den wichtigsten, den Erkrankten. Doch die Erklärung ist einfach. Ich weiß nichts über ihn. Nicht mal, ob es nicht eine „sie“ ist. Wie alt er/sie ist, auf welchem Erdteil zu Hause. Die Spende ist mindestens zwei Jahre lang anonym.

Anfang Oktober heißt es für mich: warten. Die Chance, dass ich ausgewählt werde, liegt trotz erster Übereinstimmung bei nur 25 Prozent, sagt man mir. Seit 1991 haben sich über 90000 Sachsen-Anhalter registrieren lassen, nur 700 wurden Spender.

Nach zwei Wochen der nächste Anruf. Weitere Werte stimmen überein. Man will wissen, wann ich in den kommenden Monaten Urlaub geplant habe. Darauf könne man - so es der Zustand des Patienten erlaubt - Rücksicht nehmen. Ich soll mich bis Januar bereithalten. Doch so lange muss ich gar nicht warten.

Auslagen werden bezahlt

Schon Ende Oktober kommt Anruf Nummer drei. Es steht fest. Ich werde Spender. Schon im November. Was noch dazwischenkommen kann? Eine akute Veränderung des Patientenzustands. Oder, dass ich durch den abschließenden medizinischen Test falle. Für diesen fahre ich nach Dresden. Dort und in Köln liegen die zwei größten Partnerkliniken der DKMS. Drei bis vier Stunden soll ich einplanen. Fahrtkosten und Hotel übernimmt die DKMS genau wie eine Dienstausfallentschädigung für meinen Arbeitgeber. Ich verzichte darauf. Unser Zeitungsverlag auch. Das Geld wird für die Typisierung weiterer Spender besser gebraucht.

Nun also Dresden. Mir wird Blut abgenommen, es folgen EKG und Ultraschall. Nix Wildes. Und mal ehrlich: Wann wird man schon mal ohne akute Beschwerden so durchgecheckt? Im Wartezimmer läuft ein Infofilm. Ein Mann mittleren Alters sagt, er kenne den schon auswendig. Er kommt aus dem Süden der Republik und begleitet seine Frau. Sie hatte vor zehn Jahren einem zweifachen Familienvater das Leben gerettet. Man lernte sich kennen. Tränenreich. Blieb in Kontakt. Weihnachten, zum Geburtstag, zum „zweiten Geburtstag“, dem Tag der Transplantation. Als ich anfange zu fragen „Und warum ...“ begreife ich es schon selbst. Rückfall. Zehn Jahre später. Wieder wird die Hilfe des „genetischen Zwillings“ gebraucht. Ich bekomme Gänsehaut. Für seine Frau ist es ganz klar, dass sie wieder spendet.

Auf der Rückfahrt erscheint in meinem Kopf das Bild, wie ein Arzt übermorgen in Chicago, Sao Paulo oder Buxtehude einem Patienten überglücklich berichtet, dass ein Spender gefunden ist. Mir laufen die Tränen herunter.

Vier Tage Spritzenkur

Ich bestehe den Test. Nächste Woche ist es soweit. Ich bin aufgeregt. An vier Tagen zuvor werde ich mir ein Medikament in die Bauchfalte spritzen, das meine Stammzellen mobilisieren wird. Dieses kann womöglich grippeartige Symptome hervorrufen. Egal.

Rein rechtlich dürfte ich noch einen Rückzieher machen. Aber für „meinen“ Patienten, dessen Immunsystem gerade heruntergefahren wird, damit es die fremden Zellen nicht abstößt, wäre mein Rückzieher fatal.

Nächste Woche werde ich also drei bis fünf Stunden in Dresden auf einem Klinikstuhl sitzen und mir durch eine Maschine Stammzellen aus meinem Blut filtern lassen. Zellen, die womöglich einem Menschen das Leben retten. Darauf muss ich hoffen. Wieder mal: hoffen. Doch ohne den Wangenabstrich im Jahr 2009 wäre für „meinen“ Patienten wohl nicht mal mehr das möglich.

Die Typisierung per Wangenabstrich ist kinderleicht. Man kann sie online anfordern. Große Firmen oder Vereine können auch die DKMS zu Events einladen.
Die Typisierung per Wangenabstrich ist kinderleicht. Man kann sie online anfordern. Große Firmen oder Vereine können auch die DKMS zu Events einladen.
DkMS