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Lebensbilder Lebensbilder: Durch dick und dünn

Von Jana Kainz 16.12.2019, 07:38
Hinter den Hebammen Petra Pellner (l.) und Martina Seidel liegen 4400 beziehungsweise 3000 Kinder, denen sie auf die Welt geholfen haben.
Hinter den Hebammen Petra Pellner (l.) und Martina Seidel liegen 4400 beziehungsweise 3000 Kinder, denen sie auf die Welt geholfen haben. Jana Kainz

Naumburg - Die beiden dienstältesten Hebammen am Saale-Unstrut-Klinikum Naumburg ziehen sich dieser Tage aus der Freiberuflichkeit zurück in den wohlverdienten Ruhestand. Zwei dienstälteste Hebammen? Geht das überhaupt? Ja, das geht. Zumindest im Fall von Petra Pellner und Martina Seidel. Die beiden sind zwar nicht miteinander verwandt, aber dennoch ganz klar „genetische Zwillinge“, betont Martina Seidel lachend. Es ist eine ganz besondere Verwandtschaft, wohl eine Art Seelenverwandtschaft, die vor über vier Jahrzehnten in Halle begann.

Man schrieb das Jahr 1974, als sich Petra Pellner, die in Branderoda aufgewachsen ist, und Martina Seidel, eine gebürtige Naumburgerin, in der Händelstadt über den Weg liefen. Wobei „liefen“ nicht ganz korrekt ist. Sie saßen vielmehr - und zwar gemeinsam im Wartebereich. Es war der Bewerbungstag für eine Ausbildung zur Hebamme. Über das gemeinsame berufliche Interesse kamen sie ins Gespräch. Ihre Wege trennten sich nach diesem Tag wieder. Beide erfuhren wenig später, dass in Halle keine Hebammenklasse eröffnet werden könne - aus Mangel an Lehrlingen. Diejenigen unter den Bewerbern, die eine Lehrstelle bekommen sollten, wurden an die Dresdner Hebammenschule geschickt. Erst im dortigen Internat trafen die beiden, damals 18-jährig, wieder aufeinander. „Als ich in mein mir zugewiesenes Zimmer kam, saß Petra schon drin“, erzählt Martina Seidel. Beide schwatzten erst einmal. Eine Freundschaft fürs Leben wurde so besiegelt, in die sich später auch die Ehemänner wie selbstverständlich mit einfügten und auch die Kinder. Und wie konnte es anders sein, es waren Töchter, die da geboren wurden. Pellners zogen zwei groß, Seidels eine Tochter. Wenn es die Zeit erlaubte, ging es an den Wochenenden auf einen gemeinsamen Ausflug, etwa in den Thüringer Wald.

Nach der Lehre traten beide ihren Dienst am gleichen Krankenhaus an - am heutigen Saale-Unstrut-Klinikum Naumburg. An diesem halfen sie vielen Kindern auf die Welt. Petra Pellner blickt auf 4400 Entbindungen zurück, Martina Seidel auf 3000. Es wären bei ihr wohl auch einige mehr gewesen, wenn sie nicht acht Jahre lang die Wochenstation geleitet hätte.

Lediglich in Dingen Freizeitgestaltung gehen sie getrennte Wege. Petra Pellner, die auf die Eltern, Landwirte, hörte und nicht die brotlose Kunst der Musik studierte, widmet sich nun, da die Kinder aus dem Haus sind, ihrer Leidenschaft. In jungen Jahren hatte sie sich das Spiel auf der Gitarre und dem Akkordeon selbst beigebracht. Als Erwachsene greift sie nun zum Jagdhorn. Ja, sie sei auch Jägerin im Hegering Löbitz. „Ich weiß, viele sagen, das passt nicht zusammen, Hebamme und Jägerin. Aber bei beidem muss man beherzt sein können“, erklärt die 63-Jährige. Künftig wolle sie ihre Arbeit mit der Kinderbläsergruppe, die sie leitet, „energisch ausbauen“. Bei alledem verliert sie eines nicht aus den Augen: „Jetzt stehen die Enkel ganz oben auf der Prioritätenliste. Jetzt wird wieder gutgemacht, was ich bei meinen Töchtern versäumt habe“, sagt die fünffache Großmutter. Denn Familien von Hebammen müssen zurückstecken können. Da geht der Beruf vor, muss nicht nur der Mann alles mittragen. „Die ältere Tochter wurde zeitig selbstständig und hat oft auf ihre Geschwisterchen aufpassen müssen“, erzählt Petra Pellner.

Martina Seidel legt sich in den wärmeren Jahreszeiten, seit die Tochter ihr eigenes Leben lebt, mit ihrem Mann mächtig in die Riemen - beim Ruderverein Naumburg. Als Seidels 2008 zum Kirschfest über die Vogelwiese zogen, hatte es ihnen im Festzelt der Ruderer so gut gefallen, dass sie später beim Verein vorbeischauten und blieben. In der Saison sitzt die 64-Jährige mit ihrem Mann nun zweimal wöchentlich im Ruderboot. Und auch bei den Ruderurlaubsfahrten sind sie mit dabei. Und mehr noch, seither packt Martina Seidel zur Kirschfestzeit im Rudererzelt mit an. „Sie macht einen spitzen Speckkuchen“, schwärmt ihre Freundin.

Wenn sie auf ihrer beider Berufsleben zurückblicken, sind sie vor allem darüber glücklich, „dass wir keinen einzigen mütterlichen Todesfall hatten“, so Petra Pellner. Mächtig verändert habe sich im Laufe der Jahre der Beruf vor allem hinsichtlich der Technik. „Früher haben wir uns auf unsere Hände, also das erlernte Handwerk, verlassen und auf die Erfahrung“, sagt Petra Pellner. Da reichten das Abtasten des hochschwangeren Bauches und ein Bandmaß aus und die Hebamme wusste, was das Baby wiegen wird. „Und das stimmte meist“, fügt sie hinzu. Da könne jetzt die Trefferquote der technisch ermittelten Ergebnisse nicht mithalten. Beim Blick zurück erinnert sich Martina Seidel an „ihr“ Rekordbaby - das Kind einer Erstgebärenden. Es wog 5300 Gramm.

Ihr allerschönstes Erlebnis als Hebamme sei gewesen, und da sind die Antworten der beiden Frauen wieder deckungsgleich, dass jede einem Enkelkind auf die Welt geholfen hat.