In Vino Veritas In Vino Veritas: Goldene Aussichten

Nun gut, Reben gibt es hier zumindest seit den Achtzigern. Und Flurnamen ganz in der Nähe lassen darauf schließen, dass schon vor Jahrhunderten auf äußerst fruchtbaren Böden Weinbau betrieben wurde. Aber auf dem Schirm hatten das nur äußerst Eingeweihte. Oder wer eben von da stammt oder schon mal da war. Der Kreis ist überschaubar. Klingt das böse?
Es klingt böser als es ist. Die Rebzeilen, die es dort schon seit über 30 Jahren gibt zu entdecken, bedarf es Kenntnis über ihre Existenz. Am Fuße des Doppelschlosses hinter blickschützenden Mauern hatte einstmals die ortsansässige LPG Reben gepflanzt. Gunter Senk hatte sie gepflegt und feine Weine in überschaubarer Zahl im benachbarten Riestedt daraus gemacht, ein Geheimtipp, noch immer (siehe auch „Aufgelesen“).
Unter dem Namen Kuckuckswein wurden sie vermarktet. Wer die Geschichte dahinter nicht kennt, hier noch einmal die Kurzform: Das Schloss gehörte derer von Bülow, deren Wappentier, der Pirol, französisch Loriot - daher der Künstlername von Vicco von Bülow - überm Burgtor prangte und von den Einheimischen für einen Kuckuck gehalten wurde, ergo: Kuckuckswein.
Diese Trauben werden seit ein paar Jahren von Harri Goldschmidt verarbeitet, der in Beyernaumburg ein florierendes Obstgut betreibt. Äpfel, Kirschen, Aprikosen. Seit ein paar Jahren auch Wein, denn er hatte, weil seine Frau bei einem Neujahrsmorgen-Spaziergang in Freyburg von den Weinbergen begeistert war und sagte: „Will ich auch!“, Teile des Weingutes Busch in Balgstädt übernommen und zunächst dort auch gekeltert. Trauben kamen von zwei Hektar aus dem Schweigenberg und dem Herrenberg. Dann holte er die komplette Kellertechnik nach Beyernaumburg, und sein Sohn nahm sich der Sache an, nachdem vor allem Johannes Beyer dem Betrieb auf die Sprünge und zu einigen herausragenden Weinen verholfen hatte.
In den letzten Jahren trafen die Weine immer seltener meinen Geschmack. Nun hat Claudia Proske, einst Hauptrebschutzwärtin der Winzervereinigung Freyburg, nach der Macht in den Weinbergen auch die Regie im Keller übernommen. Mit schmeckbarem Erfolg. Die 17er Kollektion ist deutlich verbessert, klar strukturiert, mit schönem Trinkfluss. Goldschmidt-Weine haben den Weg zurück in meinen Keller gefunden. Als vor zwei Jahren erstmals Rebrechte wieder großzügiger vergeben wurden und Sachsen-Anhalt fast 20 Hektar abbekam, gelang es mir nicht, alle Flächen Winzern zuzuordnen. Harri hatte in einem schwachen Moment mal angedeutet, er hätte fünf bekommen, sich aber nie wieder zu dieser Aussage bekannt. „Später!“ war seine Lieblingsantwort bei weiterem Nachhaken.
Jetzt war dieses „später“ endlich aktuell. Also fuhren wir mit seinem Quad östlich aus Beyernaumburg heraus, bis sich eine weite Fläche öffnete, ein durchaus abfallender Hang, von dem man in Richtung Osten eine Fläche entdecken konnte, die dereinst Weinberg hieß, bergab erstreckt sich die Goldene Aue mit ihren fruchtbaren Böden, und im Westen grüßt der Kyffhäuser mit Fernsehturm und Barbarossa-Denkmal. Die Reben, drei Hektar im Vorjahr gepflanzt, drei in diesem, sind gut angewachsen, ein Hektar folgt im nächsten Jahr. Im Boden sind ein Hektar Bacchus, ein dreiviertel Frühburgunder und je ein halber von Kerner, Weiß- und Grauburgunder, Silvaner, Müller-Thurgau, Chardonnay, Regent und Dornfelder, ein viertel Hektar mit Riesling.
Beim letzten Hektar schwankt Harri Goldschmidt noch, ob auch dort eher klassische Rebsorten stehen werden oder vielleicht doch ein Piwi ins Portfolio rückt. Ganz abgeneigt scheint er nicht, Muscaris, Cabernet Blanc oder Ähnliches zu pflanzen. Aber allein wird er diese Entscheidung ehedem nicht treffen. Claudia Proskes Meinung ist ihm wichtig.
Von der Lage sind beide sehr angetan. „Wenn Claudia mir von dieser Parzelle die erste Riesling Auslese gefüllt hat, dann kriegt sie einen extra Preis“, strahlt Goldschmidt. Was das sein könnte, dazu meint er, klar, „später“. Wein aus der Goldenen Aue im Blickfeld von Barbarossa, wenn das keine traumhaften Aussichten sind...