Heimat-Entdecker Heimat-Entdecker : Großes Wirrwarr hoch oben

Naumburg/Bad Kösen - Würde man eine Umfrage nach den Namen der links der Almricher „Rennstrecke“ gelegenen Gedenksteine machen, bekäme man wahrscheinlich folgendes Ergebnis: 1. „Häh, was für Steene“?; 2. „Wieso mehrere Steine? Da gibt es doch nur den Napoleonstein, oder?“ und 3. „Das eine ist der Napoleon- das andere ist der Prinz-Heinrich-Stein.“ Nun, die letzte Antwort klingt schon richtig gut und belesen, und bis vor Kurzem hielt auch unsere „Heimat-Entdecker“-Redaktion sie für korrekt. Allerdings: Auch sie ist leider falsch.
„Wie soll man einen Napoleonstein finden, den es rund um Naumburg gar nicht gibt?“, fragte uns unlängst der Angersdorfer Johannes Müller per E-Mail. Er, als Wanderer und Radfahrer ein profunder Kenner der Saale-Unstrut-Region, war auf die „Heimat-Entdecker“-Aufgabe aufmerksam geworden und schickte uns zugleich etliche, auf der Internetseite www.naumburg-almrich.de gesammelte historische Dokumente.
Klarheit sollte ein Vor-Ort-Termin bringen. Und so standen wir am Dienstag mit Johannes Müller und Uwe Wenzel, dem Vorsitzenden des Almricher Heimatvereins, und blickten von hoch droben auf Schulpforte und Almrich. Alle hatten wir die Quellenlage (vor allem des Heimatforschers Eberhard Kaufmann) studiert, so dass wir uns auf folgenden Stand einigen konnten.
Es befanden sich einst drei Steine auf der Hochfläche über den Saalhäusern. Der älteste von ihnen wurde 1863, zum 50. Jahrestag des Sieges der Verbündeten Armeen über Napoleon, von Christian Rühlemann aus Niedermöllern errichtet. Er trug den Namen „Napoleonstein“, was aber vielen missfiel, da der französische Feldherr niemals an Ort und Stelle gewesen war und die Ehre als Kriegsverlierer sowieso nicht verdient habe. Nun denn: Den Stein gibt es eh schon lange nicht mehr. Bereits in den 1970er Jahren war er zerstört. Reste findet man heute nicht mehr.
Wenige Meter weiter steht ein anderer Stein, wenn auch zerkratzt und ohne das einstige Eisenkreuz: Es ist der „Blücherstein“ mit der Aufschrift „18. Juni 1815“ - als Andenken an den siegreichen Generalfeldmarschall der Schlacht von Waterloo. Nachdem das Denkmal 1865 von der Gemeinde Möllern erbaut worden war, wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg beschädigt und umgeworfen. Im Mai 1977 von der ZBE Naumburg wieder errichtet, steht der Blücherstein noch heute an Ort und Stelle. Das Problem aber: Der Name ist so gut wie unbekannt. Das wiederum hat mit zwei einst nebenstehenden Bäumen zu tun - Napoleonpappeln. Diese Säulenpappeln wurden so genannt, da Bonaparte sie aus Frankreich mitbrachte (nicht erstmalig, das ist eine Legende) und als Wegweiser pflanzen ließ.
Die Napoleonpappeln aber standen neben dem „Blücherstein“, was mit der Zeit dazu führte, dass dieser im Volksmund zum „Napoleonstein“ wurde. „Der Name sollte nun aber mal raus den Köpfen“, findet Uwe Wenzel. Und Johannes Müller gibt ihm Recht. „Napoleon war ein Verbrecher und niemals hier oben.“ Beide würden sich freuen, wenn eine Hinweistafel über die Steine und ihre Namen aufklären würde. Wenzel: „Das wäre wirklich notwendig.“ Die Tafel müsste aber breit sein, denn es gibt ja noch einen weiteren Stein dort oben: den „Fürst-Heinrich-Stein“. Und wenn Sie denken, dass es mit diesen Dingern hier im Text schon kompliziert genug war, dann kommt jetzt der Hammer: Denn wenn die meisten Naumburger vom Napoleonstein reden, meinen sie wohl diesen größten aller Steine dort oben: den „Fürst-Heinrich-Stein“. Der aber hat mit dem französischen Feldherrn am allerwenigsten zu tun. Schließlich besteht er aus Feldsteinen, auf die eine Genesungskompanie des Jägerersatzbataillons Nr. 4 im Jahr 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, beim Ausheben von Schützengräben stieß. Es entstand dabei ein Gedenkstein zu Ehren des 40-jährigen Dienstjubiläums des Fürsten Heinrich Reuß, damals Chef des Bataillons. Ein Prinz war dieser übrigens nicht. Deshalb heißt es auch „Fürst“ und nicht etwas „Prinz-Heinrich-Stein, wie mancher meint. Ui, ui, ui, eine komplizierte Sache!
PS Nr. 1: Wenn Sie, liebe Leser, jetzt den Eindruck bekommen, die Naumburger nennen einfach alles, was dort oben steht, „Napoleonstein“, mag dies so falsch nicht sein. Aber die Realität ist eben manchmal kompliziert. Nur bei den „Heimat-Entdeckern“ herrsch Großzügigkeit. Wer den Weg dort hoch auf sich nimmt, wird mit einem Punkt belohnt. Vor welchem Stein auch immer das Selfie entsteht.
PS Nr 2: Es soll noch ein wenig Sahne auf die Wirrwarr-Kirsche? Ja? Nachdem wir nun geklärt haben, dass es keinen „Napoleonstein“ und keinen „Prinzen“ gibt, lächeln uns auf der Topografischen Karte des Landesvermessungsamtes genau diese beiden Namen an. „Je suis confus“ - würde Napoleon wohl sagen.
