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Dorfreport aus Seena  Dorfreport aus Seena : Weltmeister namens Tango

Von Andreas Löffler 10.04.2020, 12:45
Wahrzeichen des Ortes und emotionaler „Anker“ der Bewohner: In der am 24. Oktober 2004 feierlich neu eingeweihten Dorfkirche fanden seitdem unter anderem neun Taufen, fünf Konfirmationen und sechs Hochzeiten statt.
Wahrzeichen des Ortes und emotionaler „Anker“ der Bewohner: In der am 24. Oktober 2004 feierlich neu eingeweihten Dorfkirche fanden seitdem unter anderem neun Taufen, fünf Konfirmationen und sechs Hochzeiten statt. Löffler

Wer sich mit Seena beschäftigt, kommt an der Geschichte von der wundersamen Rettung der dortigen Dorfkirche rund um die Jahrtausendwende unmöglich vorbei. Weil darüber aber schon so viel geschrieben wurde, wenden wir uns zunächst weiteren bemerkenswerten Ereignissen aus dem 60-Einwohner-Ort drei Kilometer südwestlich von Eckartsberga zu – und davon gibt es einige.

Zum Beispiel das vom „Zeittunnel“ bei der alljährlichen Kirmes. Selbige findet nämlich stets am letzten Wochenende im Oktober statt, an welchem - Stichwort Winterzeit - die Uhren eine Stunde zurückgestellt werden. „Dieser Umstand sorgt dafür, dass beim großen Kirmestanz am Sonnabend, der traditionell bis weit in die Morgenstunden hineinreicht, die Band immer eine Stunde länger spielt, als auf dem Papier steht“, beschreibt Roland Behold die skurrile Konstellation.

In Sachen Unterhaltungswert nimmt es die drei-, Pardon, viertägige Kirmes ohnedies locker mit jedem Kinostreifen auf: Vor dem „offiziellen“ Start mit dem Ständchenblasen am Freitag fällt bereits am Donnerstag das erste Fass Bier: „Wir müssen ja die Zapfanlage korrekt einstellen“, erklärt Dorfnachbar Matthias Beck launig.

Nach dem Tanz am Samstag steht der Sonntag dann ganz im Zeichen des Kirmes-Gottesdienstes - und eines gemeinsamen Mittagessens aller Dorfbewohner. Maßgeblich zur Entlastung der Frauen (und Männer) am Herd eingeführt, steht diese 2004 begründete Tradition auch exemplarisch für den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl der Seenaer: „Wenn wir uns Gulasch, Rouladen oder Schnitzel von Caterer Jens Fahnert aus Laucha schmecken lassen, werten wir gleich die Kirmes aus und schmieden neue Pläne“, schildert Peter Beck, der seit 1957 in Seena wohnt.

Apropos Verpflegung: Geradezu undenkbar wäre die Kirmes inzwischen auch ohne das segensreiche Wirken von „Chefgrillmeister“ Gerhard Bliedtner, der 2003 nach Seena zugezogen ist und selbstironisch erläutert, was ihn für dieses Ehrenamt prädestiniert: „Ich habe einfach nicht so viele Finger, die ich mir verbrennen kann“, meint er augenzwinkernd und hält seine linke Hand, an deren Mittelfinger tatsächlich ein Stück fehlt, hoch. „Der Gerhard kriegt die echten Thüringer Rostbratwürste aus dem nahe gelegenen Apolda so gleichmäßig goldbraun hin, dass wir ihn glatt schon zur Grill-Weltmeisterschaft schicken wollten“, spricht Klaus Stürze eine liebe- wie humorvolle Huldigung aus.

Prominenter auf vier Pfoten

Und tatsächlich gibt es bereits einen Seenaer, der eine echte Würdigung als Weltmeister erfahren hat. Dieser prominente Dorfbewohner hört auf den ungewöhnlichen Namen „Tango“, genauer gesagt: „Tango vom Klostergarten“ wird im Mai drei Jahre alt - und ist ein Deutscher Schäferhund. „Er hat sich bei der Hundesport-Weltmeisterschaft 2018 in der Jugendklasse für 12 bis 16 Monate alte Tiere gegen rund 200 Mitbewerber aus aller Welt durchgesetzt“, erläutert Herrchen Matthias Beck. Der 40-Jährige führt die von seinem Vater Peter bereits 1973 begründete Familientradition der Zucht von Rassehunden fort; auch dessen gleichfalls in Seena ansässiger Schwager Klaus Erlebach betreibt dieses aufwendige Hobby.

Sozusagen ebenfalls weltmeisterlich ist von jeher die Tatkraft der Seenaer - die ihren gewiss spektakulärsten Niederschlag in der Rettung und Sanierung der Dorfkirche zwischen 1999 und 2004 fand. Doch blicken wir erst in eine noch etwas weiter zurückliegende Vergangenheit: Bereits 1988/1989 schufen sich die Bewohner das von ihnen für runde Geburtstage, Jubiläen und sonstige Feierlichkeiten bis zum heutigen Tage rege genutzte „Haus des Dorfes“. Es steht auf dem Grundstück der einstigen Schenke, deren legendäre Wirtin Martha Hähnert bis heute im Ort unvergessen ist. „Wir haben den Saal erhalten und an diesen eine Bühne sowie einen Versorgungs- und Sanitärtrakt angebaut“, beschreibt der 69-jährige Eckart Erlebach, Seenaer von Geburt an. Vor zwei Jahren schließlich wurde neben dem Gebäude noch eine Pflasterfläche und ein Spielplatz angelegt.

Kirche drohte einst der Abriss

Kommen wir nun also zur Dorfkirche, die wegen Baufälligkeit bereits 1961 aufgegeben worden war und die die nachfolgenden Jahrzehnte nochmals so sehr zugesetzt hatten - eingefallenes Dach, armdicke Risse im brüchigen Mauerwerk nebst eingewachsenen Eschen -, dass spätestens Mitte der 1990er Jahre unmittelbar der Abriss drohte. Als 1999 der kleine Turm von der akut einsturzgefährdeten Kirche abgenommen werden musste, war dies gewissermaßen der letzte Notruf zum Handeln - der gottlob nicht ungehört verhallte: Ein junger Mann von damals 26 Jahren, den es geradezu schicksalhaft ins Dorf geführt hatte, spannte sich vor den Karren. „Ich stamme aus Dietrichsroda, bin in Seena aber mal mit dem Moped gestürzt. Irgendwer meinte zu mir, dass man da, wo man hinfalle, später einmal leben würde - tatsächlich ist es genau so gekommen, als ich zu meiner Sandra hierher gezogen bin“, erzählt Heiko Knesebeck.

In einer Art jugendlichem Ungestüm wollten er und seine Mitstreiter der ersten Stunde am 18. Juni 1999 den „Förderverein zum Erhalt der Seenaer Kirche“ notariell eintragen lassen, wurden vom Naumburger Notar Josef Seeger jedoch freundlich darauf hingewiesen, dass der Verein zu diesem Zwecke zunächst überhaupt gegründet sein müsse. „Also haben wir das spontan vor Ort gemacht - mit Herrn Seeger als Versammlungsleiter. Der fand das so cool, dass er auf seine Bezahlung verzichtet hat“, erinnert sich Knesebeck lachend. Andere seien weit weniger begeistert gewesen - „um nicht zu sagen: dagegen, wie der damalige Pfarrer Vogel“, fügt der heute 47-Jährige hinzu. „Wir hatten auch Besucher aus Balgstädt hier, die uns glatt einsperren lassen wollten für das aus ihrer Sicht irrwitzige Unterfangen, in diese Ruine noch Geld reinzustecken.“

Knesebeck & Co., die mit ihrem Elan in Windeseile den ganzen Ort angesteckt und mit dem in Seena wohnenden Hartmut Kotte, ehemals Chef der LPG Burgholzhausen, einen besonders starken Unterstützer gefunden hatten, kämpften indes unverdrossen weiter. Und entdeckten mit Glück und Geschick auch die „richtigen“ Fördertöpfe. „Ich war gerade auf der A9 unterwegs, als ich im Radio von einer Denkmalsmesse in Leipzig erfuhr und spontan dort rangefahren bin“, berichtet Heiko Knesebeck. Schnell fiel ihm der Stand der Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland (KiBa) ins Auge, die nach Projekten suchte. Mit einem unbekümmerten „Ich habe was für Sie, da wird Ihr ganzes Geld alle“, habe er sich dort vorgestellt und in der Folge mit Wolfgang Bönisch, der damals wohl so etwas wie der „Finanzminister“ der Evangelischen Kirche in Deutschland gewesen sei, gute Gespräche geführt.

Hilfe von vielen Spendern

„Auch wenn die Zuwendungen im insgesamt sechsstelligen Euro-Bereich sicher den entscheidenden Durchbruch bedeuteten: Ohne vielen andere Mäzene und Spender hätten wir es nicht hinbekommen - und ohne die Einsatzfreude wirklich aller Seenaer sowieso nicht“, betont Kirchenältester Friedhelm Stock. Jeden Samstag sei Arbeitseinsatz an der Kirche gewesen. „Sogar das Dach haben wir selbst gedeckt - mit Ziegeln der einstigen Kaserne am Flemminger Weg in Naumburg“, macht der heute 66-Jährige, in dessen Seenaer Wohnhaus dereinst kein Geringerer als Karl David Ilgen, von 1802 bis 1831 Rektor der Landesschule Pforta, residierte, auf ein interessantes Detail aufmerksam. Kasernenziegel fürs Kirchendach...

Der Dorfteich wartet auf Sanierung.
Der Dorfteich wartet auf Sanierung.
Löffler
„Mini-Versammlung“ im Saal – vorn: Friedhelm Stock, Gerhard Bliedtner, Eckart Erlebach, Roland Behold; hinten: Matthias Beck, Peter Beck, Heiko Knesebeck, Klaus Stürze (jeweils von links).
„Mini-Versammlung“ im Saal – vorn: Friedhelm Stock, Gerhard Bliedtner, Eckart Erlebach, Roland Behold; hinten: Matthias Beck, Peter Beck, Heiko Knesebeck, Klaus Stürze (jeweils von links).
Löffler
Ländliches Idyll: David Nolte führt seine Pferde auf die Weide. Seena hat bis heute seine dörfliche Prägung unverändert behalten.
Ländliches Idyll: David Nolte führt seine Pferde auf die Weide. Seena hat bis heute seine dörfliche Prägung unverändert behalten.
Löffler
Der 77-jährige Roland Behold, Seenaer von Geburt an, und seine Ehefrau Marianne bewohnen das wohl prächtigste Gehöft im Dorf.
Der 77-jährige Roland Behold, Seenaer von Geburt an, und seine Ehefrau Marianne bewohnen das wohl prächtigste Gehöft im Dorf.
Löffler
Anderthalb Jahre alt: Josefine Fulsche ist die jüngste Einwohnerin.
Anderthalb Jahre alt: Josefine Fulsche ist die jüngste Einwohnerin.
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Kirche mit charakteristischer doppelgeschossiger Hufeisen-Empore.
Kirche mit charakteristischer doppelgeschossiger Hufeisen-Empore.
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