Dokumentationszentrum Naumburg Dokumentationszentrum Naumburg: Schnittstelle zu Nietzsche

Naumburg - Eine Art Keller hatte Susanne Rettenwander erwartet, als sie sich für ein zweimonatiges Praktikum im Nietzsche-Dokumentationszentrum auf den Weg von Wien nach Naumburg machte. „Ich hatte das Haus nicht gegoogelt. Und so stand ich dann mit meinem Koffer voller Bücher vor diesem Glaspalast mit dem schönen Lesesaal, das war sehr beeindruckend“, erzählt die 24-Jährige. Eine„ Schnittstelle“ in ihrer Masterarbeit hatte die Philosophiestudentin am 1. Mai nach Naumburg geführt. „In der Arbeit geht es um die Abhandlung des Begriffes Souveränität, wobei im Focus die individuelle Souveränität des französischen Philosophen Georges Bataille steht. Und Bataille war maßgeblich von Friedrich Nietzsche beeinflusst. So gab mir mein Betreuer den Tipp, hier ein Praktikum zu absolvieren“, erzählt die gebürtige Tirolerin, die zugleich vergleichende Literaturwissenschaft studiert.
Doch statt sich am ersten Tag mit dem Haus vertraut zu machen und sich einen Überblick über die darin archivierten Schätze verschaffen zu können, lernte sie Naumburgs Theaterintendanten Stefan Neugebauer kennen. Für den inzwischen gut besuchten und von Nietzsche beseelten 2. Naumburger Theaterspaziergang hatte sich der Intendant zu Beginn der Proben Rat suchend an den Nietzsche-Experten und Leiter des Dokumentationszentrums Ralf Eichberg gewandt. „So haben wir gleich am ersten Tag ihres Praktikums für den Theaterspaziergang gemeinsam am Text gearbeitet“, erzählt Eichberg. Susanne Rettenwander feilte schließlich nicht nur mit an den Textmanuskript, um in dem Stück Nietzsche so nahe wie möglich zu kommen, sondern machte die Schauspieler mit Nietzsches Gedanken vertraut und übernahm schließlich für den Theaterspaziergang selbst logistische Aufgaben. So interessant diese Arbeit auch sei, im eher hektischen Theaterbetrieb sieht sie nicht ihre berufliche Zukunft. „Ich arbeite gern allein und in Ruhe“, sagt sie.
Inzwischen ist in diesem Sinne Ruhe eingekehrt. Im Lesesaal katalogisiert sie die Sammlung des Philosophen Wolfgang Müller-Lauter, der mit seinen Nietzsche-Interpretationen bekannt geworden war. Zeit bleibt ihr auch, um die Masterarbeit voranzutreiben und philosophische Bücher zu lesen. In jungen Jahren hat sie ihre Nase in unzählige Klassiker und Romane gesteckt. Auch beruflich sollte sich das möglichst nicht ändern. Weil sie aber zugleich die Herausforderung suchte, verfiel sie auf die Philosophie. „Philosophische Bücher sind nicht nur schöner und aufwendiger gemacht, man kann auch Monate daran lesen, sich an einzelnen Stellen die Zähne ausbeißen, sie zig-mal lesen. Und wenn man dann ein kleines Kapitel plötzlich versteht, es entschlüsselt hat, ist das wundervoll“, erzählt sie.
Ihre Eltern unterstützten die Tochter in ihrem Wunsch, Geisteswissenschaften zu studieren. „Sie meinen, wenn man etwas gerne und gut macht, wird sich auch beruflich etwas finden.“ Eine Hochschulkarriere strebe sie, auch wenn sie noch eine Doktorarbeit schreiben möchte, nicht an. Der Druck sei zu groß, denn stets werde von einem erwartet, auf große Ideen zu stoßen. Sie ziehe es eher in Bibliotheken oder Archive. „Ich könnte mir auch vorstellen, für Zeitungen zu schreiben - obwohl, die Arbeit mit Dokumenten reizt mehr“, meint sie.
Nicht mit Dokumenten, sondern mit Steinen, Federn, Papier oder gebröckeltem Häuserputz hat sie es in Kürze zu tun. Es geht um jene Erinnerungsstücke, die die niederländische Künstlerin Marijolijn van den Assem seit Ende der 1970er-Jahre von den Stätten, die Nietzsche einst bereist hat, zusammengetragen und in ihrem Atelier in Rotterdam archiviert hat. „Dieses private Archiv übereignet sie dem Dokumentationszentrum. Weil sie es aber nicht selbst nach Naumburg bringen kann, hole ich es mit Susanne in den nächsten Tagen ab. Bei der Gelegenheit werde ich als einer von zwei Hauptrednern in Rotterdam eine Ausstellung von Marijolijn eröffnen“, erzählt Eichberg. Zurück in Naumburg werden die beiden mit diesen gesammelten Stücken eine Vitrinenschau zusammenstellen, die kurz vor Susanne Rettenwanders Abreise am 4. Juli eröffnet wird. Wenn sie nach zwei Monaten Naumburg den Rücken kehrt, dann nicht ohne einen Termin für ein Wiedersehen. Bereits im Oktober steuert sie die Saalestadt wieder an, um Eichberg bei der Organisation des Nietzsche-Kongresses zu unterstützen.