Weihnachtswunder im Burgenland Burgenlandkreis: Tausende Adventsbriefe für gelähmten Toni

Laucha - Für Toni Hartung ist gerade jeden Tag Bescherung - nämlich immer dann, wenn der Postmann bei dem 16-Jährigen und seiner Mutter klingelt. Das Jahr über bringt der nur ein, zwei Briefe pro Tag - und ab und an mal ein Paket. In der Adventszeit muss der Briefträger jedoch bei den Hartungs mit der Sackkarre anrücken.
Kistenweise Zusendungen trägt er in die Wohnung im ersten Stock eines Neubaus in Laucha (Burgenlandkreis). „Wir fühlen uns fast wie die Außenstelle der Post“, sagt Manuela Hartung schmunzelnd.
Gerade hat Tonis Mutter wieder drei schwere, gelbe Kisten auf das Sofa gehoben. Die sind so groß wie Wäschekörbe und proppenvoll mit Briefen und Päckchen für Toni. Im Fernsehen läuft „Rotkäppchen“ - eine alte Verfilmung mit Puppen. Toni liebt Märchen. Seine Mutter hat derweil Zeit, sich die Post anzusehen: „Ich finde das so wunderbar, wie viele Menschen ihm schreiben - und er hat so große Freude daran“, sagt sie.
Es ist ein wirkliches Weihnachtswunder, was da in Laucha im Advent passiert. Seit vier Jahren bittet die Mutter von Toni, der seit seiner Geburt eine spastische Lähmung hat, sich kaum bewegen und nur schwer ausdrücken kann, im Internet darum, ihrem Sohn Briefe zu schicken.
„Mein besonderer Sohn Toni, 16 Jahre, hat zu Weihnachten immer nur einen Wunsch“, schreibt sie in dem Aufruf, den sie im sozialen Netzwerk Facebook veröffentlich hat. „Er wünscht sich ganz viel Post - vielleicht würde der ein oder andere ihm den Wunsch erfüllen?“
Weihnachtsbriefe für gelähmten Jungen aus Burgendlandkreis: Post aus Nicaragua
Die Bitte um Briefe wird erhört - und nicht nur von dem „ein oder anderen“. Denn über die sozialen Netzwerke verteilt sich der Aufruf in Windeseile. Im ersten Jahr kamen 500 Zusendungen an. „Da dachte ich schon: Das kann ja nicht wahr sein“, sagt Manuela Hartung.
Doch es sollte noch besser werden. Im zweiten Jahr waren es bereits 2.000 Briefe und auch ein paar Pakete. Im dritten Jahr, also 2017, wurde es dann ganz verrückt. An einem einzigen Tag kamen 36 Pakete an. „Und der Postbote brachte uns insgesamt 9.000 Briefe und Karten.“
Viele davon haben Menschen aus der Region geschrieben. Aber auch in entfernten Ländern hat man von Toni gehört, weil der Aufruf von anderen Internetnutzern ins Englische übersetzt wurde. So flatterten Nachrichten aus China, Kanada oder Nicaragua bei den Hartungs ein. „Zum Glück gibt es im Internet Übersetzungsprogramme - sonst hätten wir vieles gar nicht verstanden.“
Auch in diesem Jahr wird die Zahl der Zusendungen wohl ähnliche Höhen wie 2017 erreichen - die bisherigen Lieferungen deuten zumindest darauf hin.
Manuela Hartung hat sich auf das Sofa gesetzt und nimmt erste Karten aus den drei Kisten: „Lieber Toni“, steht da. „Wir wünschen dir frohe Weihnachten. Du bis ein wunderbarer Junge.“ Oder: „Hallo Toni, wir schreiben dir aus Schweden. Wir hoffen, du hast ein tolles Fest - bleib so, wie Du bist.“
Manuela Hartung liest die Zeilen auch mit einiger Rührung. Denn Tonis Wunsch entstand in Folge eines schweren Schicksalsschlags für die kleine Familie. „2015 ist Tonis Oma gestorben“, erzählt Manuela Hartung. Er habe sie sehr gemocht und hatte eine enge Beziehung zu ihr. „Und wir haben keine weitere Familie, nur noch uns.“
Deswegen fehlte auch jemand, mit dem sie ihre ganz besondere Leidenschaft zum Fest teilen konnten. „Wir sind richtige Weihnachtsmeschen“, sagt Tonis Mutter - und das sieht man der kleinen Neubauwohnung auch an. Überall funkelt und glitzert es. Neben dem Fernseher steht ein goldenes Rentier und auf dem Schrank ein Weihnachtsmann in Kleinkindgröße. Auf allen Schränken und Tischen sind Figuren verteilt - vom Engel bis zum Wichtel.
Doch zu Weihnachten gehört nicht nur Dekoration. „Gerade nach dem Tod seiner Oma sehnte sich Toni auch nach Menschen, die ihm sagen, dass er ihnen wichtig ist“, sagt Manuela Hartung. Enger zusammenrücken, selbstlos sein, etwas für andere tun - auch das ist Weihnachten. „Die Briefe zeigen uns, dass es viele Menschen gibt, denen es Freude macht, Toni eine Freude zu machen - und das ist ein sehr schönes Gefühl.“
Zu wissen und zu fühlen, dass Menschen bereit sind, anderen Wünsche zu erfüllen ohne selbst etwas davon zu haben - das ist umso wichtiger, wenn sonst im Leben nicht alles nach Wunsch läuft. Toni kam bereits in der 30. Schwangerschaftswoche zur Welt. Zuvor und während der Geburt gab es Komplikationen. Der Junge musste per Kaiserschnitt geholt werden, erlitt jedoch trotzdem eine schwere Schädigung des Hirns. Seitdem hat er eine Bilaterale Zerebralparese. Seine Motorik ist stark eingeschränkt, Arme und Beine kann er nur schwer bewegen. Toni ist deswegen auf einen Rollstuhl angewiesen - was den Alltag oft komplizierter macht.
Die Hartungs wohnen zwar im ersten Stock, jedoch trennen Hauseingang und Wohnungstür mehrere Stufen. „Bisher musste ich Toni jeden Tag hochtragen, was sehr anstrengend war und oft nicht ohne Hilfe von Nachbarn ging“, sagt Manuela Hartung, die seit Jahren schon arbeitslos ist. Seit einem Monat allerdings haben sie einen Treppenlift, um die Hürde im Hausflur leichter zu nehmen.
„Den Lift zu bekommen, war allerdings ein zähes Ringen“, erzählt sie. Ebenso sei es aktuell beim „Innowalk“. Das ist ein motorisierter Steh- und Gehtrainer, der für Rollstuhlfahrer entwickelt wurde. Mit ihm könnte Toni seine Bewegungsfähigkeit erhalten und vielleicht sogar verbessern.
„In dem Innowalk steht er aufrecht, was auch gut für seinen Kreislauf und die Verdauung wäre“, sagt Manuela Hartung. Allerdings will die Krankenkasse das moderne Gerät nicht bezahlen. „Seit drei Jahren gehen wir mit Widersprüchen schon dagegen vor“, sagt sie - bisher ohne Erfolg.
Gelähmter Toni aus dem Burgenlandkreis: Hubschrauberflug über Heidis Land
Doch solche Querelen rauben Toni nicht die Lebensfreude. „Er ist der liebste und beste Junge der Welt“, sagt seine Mutter. Wenn er lacht, stecke das alle anderen an. Manuela Hartung liest weiter aus den Briefen vor, doch Toni hat gerade etwas anderes im Sinn.
„Mami, ich will mit dem Traktor spielen“, sagt er. Denn mit den Briefkisten kam diesmal auch eines der ersten Pakete des Jahres. Und in dem war ein ferngesteuerter Traktor. „Toni mag alles was Räder hat“, sagt seine Mutter. Sein Zimmer ist dafür der beste Beweis. Dort stehen über seinem Bett zahlreiche Automodelle. Und an der Wand hängen zwei besondere Raritäten: Echte Rallye-Anzüge. „Die hat Toni auch geschenkt bekommen und ist natürlich mächtig stolz darauf“, sagt Manuela Hartung.
Überhaupt hat der Aufruf Toni nicht nur viel Post, sondern schon einige aufregende Abenteuer gebracht. Mit einem Pärchen aus Österreich ist eine kleine Freundschaft entstanden. „Die haben wir am Bodensee auch schon besucht“, erzählt Manuela Hartung. Und über eine Wohltätigkeitsorganisation konnte der 16-Jährige an einem Hubschrauberflug über die Alpen teilnehmen. „Da habe ich Heidi gesehen“, ruft Toni herein und lacht dann sein ansteckendes Lachen.
Manuela Hartung sagt, dass sie und Toni dankbar für all die Zusendungen seien, die für sie auch eine Art Zuneigung sind. Da stört es gar nicht, dass die Briefflut mittlerweile ein kleineres Platzproblem hervorgerufen hat. „Der Keller ist mit der Post der vergangenen Jahre schon fast voll ist“, sagt Manuela Hartung.
Denn jede Karte und jeder Brief werden aufgehoben - und natürlich auch gelesen. Das dauert zwar seine Zeit. „Aber auch wenn wir bis in den Sommer noch lesen, wäre das nicht schlimm“, sagt Tonis Mutter und öffnet den nächsten Brief.
Wer Toni Hartung auch noch seinen Wunsch erfüllen und ihm mit einem Brief oder einer Karte eine Freude machen will, der kann die Weihnachtspost an folgende Adresse schicken: Toni Hartung, Am Stadtfeld 32, 06636 Laucha.

