Brandanschlag in Tröglitz Brandanschlag von Tröglitz wird zum Dokumentarfilm

Tröglitz - Jo-Anne Velin hat nur ihre Kamera im Gepäck, keinen richtigen Plan - aber eine feste Absicht: „Ich wollte der Berichterstattung der Medien etwas entgegensetzen“, sagt die 57-Jährige in fast perfektem Deutsch, wobei sie immer wieder englische Begriffe einstreut.
Wenige Tage nach dem Brandanschlag auf das Asylbewerberheim fährt die kanadische Filmemacherin und Wahlberlinerin nach Tröglitz. Sie hat selbst viele Jahre als Journalistin gearbeitet und weiß, was nun auf den kleinen Ort zukommt.
„Alle wollen wieder die Geschichte vom rechtsradikalen Osten erzählen und am liebsten die Mauer zurückhaben.“ Jo-Anne Velin kann es nicht mehr hören. Sie kann Vorurteile nicht ausstehen. Gegen den Osten. Gegen Flüchtlinge. Egal gegen wen.
Kanadierin will nicht vom rechtsradikalen Osten erzählen und filmt deshalb nach dem Brandanschlag viele Monate in Tröglitz
Und so bleibt die Kanadierin ganze elf Monate in Tröglitz, um einen Dokumentarfilm über die Menschen und die Region nach dem Brandanschlag zu drehen. Den fertigen Streifen „The Picture of the Day“ stellte sie jüngst beim Dokumentar-Filmfestival in Leipzig vor.
„Das Bild des Tages“, so lautet die Übersetzung des Titels, ist dabei das Foto vom zerstörten Dach der Flüchtlingsunterkunft, das bald als Sinnbild für das vermeintlich rechte Tröglitz herhalten muss. Die Kanadierin möchte allerdings die Geschichten der Einwohner jenseits dieser Hauptnachrichten erzählen.
Und so begibt sie sich für ihren Film auf die Suche nach der „stillen Mitte“, wie sie sie nennt, die nicht diesem Vorurteil entspricht, das viele Medien regelmäßig bedienen. Und sie möchte herauszufinden, ob die Tröglitzer nicht vielleicht doch etwas mit den Flüchtlingen gemeinsam haben.
Dokumentarfilm als Blick hinter die Kulissen: So geht es in Tröglitz nach dem Brandschlag zu
Dafür verbringt Velin viel Zeit mit den Menschen in der Region, um sie kennenzulernen. Sie wohnt bei einer Familie vor Ort, die ihren Film unterstützen möchte. Nur an den Wochenenden fährt die Kanadierin gelegentlich nach Berlin.
Ihren deutschen Mann bekommt sie in dieser Zeit kaum zu sehen, zumal er gerade in Griechenland arbeitet. Ihre Kamera hat sie in Tröglitz meistens dabei, aber nicht immer.
So entsteht ein sehr persönlicher Dokumentarfilm, der zumindest ein Gefühl davon vermittelt, wie ratlos viele Tröglitzer angesichts des Unfassbaren in ihrer Mitte sind. Und wie sehr sie unter dem Bild leiden, dass der Brandanschlag auf ihre Gemeinschaft wirft.
Der Dokumentarfilm erzählt in vielen kleinen Begegnungen die Geschichte und Geschichten von Tröglitz und den Menschen, die dort leben. Das Ergebnis ist eine Collage, die im Kleinen und Alltäglichen behutsam nach den Spuren der großen Themen sucht. Sei es beim Einkaufen, beim Kaffeetrinken oder bei Sport.
So wirft etwa das ehemaligen Außenlager des KZ Buchenwald im benachbarten Rehmsdorf, in dem über 1.000 Zwangsarbeiter gestorben sind, bis heute seinen historischen Schatten auf die Region.
Die Regisseurin greift dieses Hintergrundrauschen auf und fragt dadurch zumindest indirekt, ob ein Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Flüchtlingsunterkunft bestehen könnte. Vielleicht tun sich die Tröglitzer generell schwer mit der Aufarbeitung von rechten Verbrechen? Doch wer tut sich damit schon leicht?
Der Gegenentwurf: Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kamen viele Umsiedler aus den ehemaligen Ostgebieten in die Region, die trotz mancher Probleme heimisch wurden, wie viele Tröglitzer berichten. Sollte da nicht auch heute noch Platz für ein paar Flüchtlinge sein?
Und dann waren da die wochenlangen Demos gegen die Flüchtlinge und der Brandanschlag auf die Unterkunft zu Ostern 2015. „Das hätte nicht sein müssen“, sagt ein Tröglitzer. Was ihn besonders ärgert: „Jetzt sagen wieder alle, dass die Nazis das Feuer gelegt haben. Dabei weiß man bis heute nicht, wer es war.“
Politiker kommen in der Dokumentation über den Brand in Tröglitz nicht zu Wort
In ihrem Film verzichtet die Regisseurin auf Klischees und trifft eine ungewöhnliche Entscheidungen: Politiker und auch die Flüchtlinge, von denen doch einige in Tröglitz eintreffen, werden von ihr nicht interviewt. Vor allem die Politiker werden ihrer Meinung nach genug gehört.
Auch die Leute, die gegen Flüchtlinge hetzen, tauchen nicht auf. Normalerweise rede sie mit allen Seiten, betont Jo-Anne Velin. Doch solchen Einstellungen könne sie keine Plattform bieten. Da hat sie bei aller Offenheit und Neugierde eine klare Haltung. Der Kanadiern geht es vor allem um die ganz normalen Tröglitzer.
Einige von ihnen sind offen für die Neuankömmlinge. Der Bäcker, der einfach nur mit allen Menschen friedlich zusammenleben möchte, auch mit den Flüchtlingen. Und der den Streit und die Zerrissenheit der Tröglitzer in dieser Frage in seinem Laden mitbekommt. Da ist das alternative Pärchen, das sich über Abwechslung im Ort freut und den Flüchtlingen beim Einleben helfen möchte.
Andere äußern aber auch mehr oder weniger vorsichtig ihren Unmut. Über Flüchtlinge, die sich angeblich nur in der sozialen Hängematte ausruhen wollen. Über Politiker, die nicht mehr zuhören würden. Über Politikverdrossenheit. „Wahlen ändern doch sowie nichts“, sagt eine Frau an ihrem Küchentisch. „Also gehen Sie nicht mehr wählen?“ möchte die Kanadierin wissen. „Doch, natürlich, sonst ändert sich ja nichts.“ Das klingt widersprüchlich, aber vielleicht ist das Leben manchmal eben so.
Doch wie kommt die Filmemacherin überhaupt mit den Tröglitzern ins Gespräch, nachdem Dutzende Kamerateams aus aller Welt wenig schmeichelhaft über die vermeintlich rechten Einwohner berichtet hatten? Viele Tröglitzer haben erst einmal genug von den Medien. „Ich bin ja kein Kamerateam“, sagt Jo-Anne Velin und lacht. „Und als Kanadierin wirke ich wohl ziemlich harmlos.“
Vor allem nimmt sich die Regisseurin Zeit, um das Vertrauen der Tröglitzer zu gewinnen. Immer wieder geht sie etwa zum Fußball beim TSV Tröglitz, um die Sportler kennenzulernen.
Wer den Verein kennt, weiß, dass dort auch ein Flüchtling mitspielt. Doch aus den Bildern geht das nicht eindeutig hervor. Einer der gezeigten Spieler könnte ein Ausländer sein, aber so ganz klar ist es nicht. Vielleicht ist es aber auch gar nicht so wichtig.
Den zum Teil ruhigen Landschaftsaufnahmen von der Elsteraue und dem Tagebau setzt die Regisseurin immer wieder Aufnahmen von syrischen Flüchtlingen entgegen, die mit der Fähre von der Insel Lesbos auf das griechische Festland übersetzen.
Sie liegen auf ihrem Gepäck, schlafen oder spielen mit ihren Kindern. „Das sind auch nur ganz normale Leute, vor denen man keine Angst haben muss.“ Vielleicht sind sie den Tröglitzern da gar nicht so unähnlich.
Dokumentation über Brandanschlag auf geplante Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz hat noch keinen Verleih
Gern würde Jo-Anne Velin den Film irgendwann im Burgenlandkreis zeigen. Vielleicht in Zeitz oder noch besser im Kultur- und Kongresszentrum in Alttröglitz. Wann „The Picture of the Day“ in die Kinos kommt, ist allerdings noch unklar. Bisher ist sie noch auf der Suche nach einem Filmverleih.
Die Kanadierin begann ihr Projekt nach dem Brandanschlag völlig spontan und damit auch ohne den üblichen Vorlauf für Fördermittelanträge. Die Produktionsfirma 42Film aus Halle konnte sich kurzfristig für den Film erwärmen. Die Mitteldeutsche Medienförderung beteiligte sich an Materialkosten.
Ansonsten ging die Regisseurin komplett in Vorleistung. Die meiste Zeit führte sie selbst die Kamera. Einige gute Bekannte unterstützten sie beim Schneiden und der Tontechnik. Letztendlich ist die Kanadierin aber froh, dass sie völlig unabhängig und ohne Einfluss von Fernsehsendern arbeiten konnte.
Bei der Premiere von „The Picture of the Day“ in Leipzig waren auch einige Tröglitzer dabei. Vor allem für die Jüngeren war es ungewöhnlich, ihren kleinen Ort auf der großen Leinwand zu sehen. Ein bisschen Dankbarkeit war aber auch zu spüren. „Der Film erinnert uns daran, dass wir mit unserer Meinung nicht allein sind und dass wir auch gehört werden“, sagt der Bäcker nach der Vorstellung.
Und zu welchem Schluss kommt die Regisseurin nach fast einem Jahr in Tröglitz? „Ironischerweise halten sich die Vorurteile gegen die angeblich rechten Tröglitzer genauso hartnäckig wie die gegen Flüchtlinge“, hat sie festgestellt. Aber wenn sie mit ihrem Film ein paar der Vorurteile abbauen könnte, dann wäre sie schon zufrieden, meint Jo-Anne Velin. (mz)
