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Bildhauer in Naumburg  Bildhauer in Naumburg : Sehnsucht nach Lesezeit

Von Jana Kainz 15.04.2016, 09:47
Rund ums Lesen dreht sich ein Zyklus von Tonplastiken, an dem Bildhauer Stefan Albert Hutter seit 1989 arbeitet. Die 64 entstandenen Plastiken stellt er nun in der Schweiz unter dem Titel „Rheintaler lesen“ aus.
Rund ums Lesen dreht sich ein Zyklus von Tonplastiken, an dem Bildhauer Stefan Albert Hutter seit 1989 arbeitet. Die 64 entstandenen Plastiken stellt er nun in der Schweiz unter dem Titel „Rheintaler lesen“ aus. Torsten Biel

Naumburg - Wenn Wahl-Naumburger Stefan Albert Hutter in wenigen Tagen sein rund 560 Kilometer entferntes Heimatdorf Kriessern in der Schweiz ansteuert, hat er 64 Kinder, Frauen und Männer an Bord - allesamt ins Lesen vertieft und bruchsicher verpackt. Seine Begleiter sind Plastiken seines Lese-Zyklusses, mit dem der Bildhauer auf den Tag genau in einer Woche die Ausstellung „Rheintaler lesen“ eröffnen wird. Es ist die erste Kunstausstellung überhaupt, die in dem Anfang 2015 mit Leben gefüllten Neubau „Schützenwiese 8“ gezeigt wird.

Für Hutter schließt sich damit ein Kreis. Denn an jener Stelle, an der das Gebäude mit seinen Räumen für Industrie, Dienstleistungen und Handwerk errichtet wurde, hat sich der 58-Jährige als Jugendlicher im Schießen geübt. Das Areal war, daran erinnert der Name des Neubaus, einst die Schützenwiese des heute rund 1 700 Selen zählenden Dorfes. In dem arbeitet Hutters Bruder Ignaz als Allgemeinmediziner. Niedergelassen hat er sich mit anderen Ärzten und Therapeuten in einer Art Poliklinik-Verbund in dem 180 Meter langen Komplex „Schützenwiese 8“. „Als mir mein Bruder das gesamte Gebäude zeigte und ich das große Foyer sah, schien mir dieses ideal für Ausstellungen“, erzählt Hutter. Sofort unterbreitete er seine Idee dem Eigentümer.

Für die fünfwöchige Schau wählte Hutter seine eher handlichen Lese-Plastiken, die teils auch als Bücherstütze dienen können. Mit dem Zyklus begann er bereits 1989. Die jüngste Figur entstand im vergangenen Jahr. Inspiration sind ihm neben der Leipziger Buchmesse, die er mit seiner Frau Myrtha gern und regelmäßig besucht, die Pariser Parks. In denen werde mit aufgestellten Stühlen und Bänken eine Atmosphäre geschaffen, in der sich Jung und Alt gern zum Lesen niederlassen. „Es ist interessant zu beobachten, wie die Leute beim Lesen alles um sich herum vergegessen, in das Wort eintauchen - ihre Körperhaltungen, ihre Gesichtsausdrücke sind gewaltig“, so Hutter, der in Paris studierte.

Bevor Bildhauer Hutter seine Eindrücke in den Kinder-, Frauen-und Männerfiguren verarbeitet, die er aus lufthärtendem Ton auf ein Drahtskelett modelliert, tritt er mit seiner Frau Myrtha in einen gedanklichen Austausch zum jeweiligen Projekt. „Die meisten Leute lesen im Liegen oder Sitzen, wobei der Stuhl selbst eine bestimmte Dynamik bekommt, wenn sich eine Person draufsetzt“, so Hutter, der die Lesenden in allen denkbaren Positionen modelliert. So finden sich die Betrachter gewiss in der einen oder anderen Plastik wieder.

Hutter selbst liest am liebsten am Tisch - meist in der Küche. „Mit der Zeitung ist es draußen wegen des Winds problematisch“, meint er. Im Bett liest er nicht. „Das liegt daran, dass wir als Kinder immer in der Küche gelesen haben, das war der einzige warme Raum.“ Und Bücher, die man damals noch nicht so zahlreich zu Hause hatte, habe man sich beim Pfarrer ausleihen können - „aber nur wenn man Ministrant war“, betont er. Für ihn und seine Familie, zu der drei erwachsene Kinder gehören, ist das Lesen ein fester, wichtiger Bestandteil ihres Lebens. „Lesen gibt einem Stabilität und Halt im Leben, wenn ich mich einlasse auf die Literatur, die Informationen“, so Hutter. Deshalb wünscht er sich, dass seine Lese-Figuren für jüngere Menschen anregend sind, zu Büchern zu greifen. Generell hofft er, dass die Plastiken „etwas im Betrachter auslösen, vielleicht eine Erinnerung wecken, ein Lächeln hervorzaubern, die Sehnsucht nach Lesezeit freisetzen.“

Die 64 Figuren, die bald auf die Reise gehen, musste er beim Zoll anmelden. Dazu wurde ein eigenes Heft erstellt. Und vom Zollamt Halle-Schkopau, das auch für Naumburg zuständig ist, wird die Fracht noch einmal kontrolliert. „Und das alles“, so Hutter, „obwohl die Schützenwiese nur hundert Meter hinter der österreichischen Grenze liegt, nun ja, die Schweiz gehört eben nicht zur EU.“