Brandkatastrophe von Halberstadt Brandkatastrophe von Halberstadt: Narben auf der Seele bleiben
Halberstadt/MZ. - Sechs Wochen nach dem Brand in einem Halberstädter Obdach- losenheim werden die Opfer beigesetzt. Ein Überlebender - auf dem ein schwerer Verdacht lastet - erzählt von der Katastrophe und seinen ehemaligen Mitbewohnern.
"Das wird schwer", sagt Peter Manthey. Aber er will dabei sein, will seinen Mitbewohnern das letzte Geleit geben. Um 11 Uhr werden auf dem Halberstädter Friedhof die neun Männer beigesetzt, die vor gut sechs Wochen bei einem Brand in dem Obdachlosenheim ums Leben gekommen sind. In der Stadt ist Trauerbeflaggung geplant.
Peter Manthey war an jenem Morgen auch in der Containerbaracke. Der 55-Jährige hat überlebt. "Ich bin wach geworden von dem Knistern in meinem Zimmer, habe noch versucht, das Feuer mit meinem T-Shirt zu löschen." Manthey hämmert an Türen, um Mitbewohner zu warnen. Viel tun kann er für die meisten nicht mehr. "Den Heinz habe ich noch schreien hören. Und den Marco wollte ich rausholen, aber das war ein 100-Kilo-Mann." Manthey, 40 Kilogramm leichter, sieht keine Chance, rettet sich am Ende selbst. Und wird bald mit Vorwürfen konfrontiert, er habe das Feuer mit einer brennenden Zigarette verursacht, mit der er auf dem Sessel eingeschlafen sein soll.
"Alle haben mich schon für schuldig erklärt", erinnert er sich. Der Haftrichter indes lässt ihn wieder auf freien Fuß. Auch ein inzwischen vorliegendes Gutachten des Landeskriminalamtes kann nicht belegen, ob der Brand von einer Zigarette oder einem defekten Fernseher ausgegangen ist. Die Staatsanwaltschaft hofft nun, mit einem weiteren Gutachten den genauen Brandverlauf klären zu können. Manthey ist überzeugt davon, dass die Variante mit der Zigarette nicht stimmen kann. "Dann hätte der Sessel zuerst gebrannt. Der war aber völlig intakt, als ich wach wurde." Unabhängig davon, wie die Ermittlungen enden: Die Narben auf Mantheys Rücken beginnen zu heilen. Die seelischen bleiben. "Verarbeitet habe ich das lange nicht", sagt der 55-Jährige. Auch wenn er die Beziehung zu den anderen nicht als Freundschaft bezeichnen will. "Im Prinzip waren wir alle verkrachte Existenzen, aber wir haben versucht, etwas daraus zu machen." Das Schicksal hat die Obdachlosen zusammengeschmiedet.
"Die meisten sind nach einer Scheidung hier gelandet", sagt Manthey. So wie Peter B., der Hamburger, getrennt von Frau und Kind. Mit ihm hat er oft zusammengesessen, hat sich gestritten, sich wieder vertragen. Von anderen sah und hörte er kaum etwas. Von Heinz etwa, der meist in seinem Zimmer blieb, viel schlief. Auch Burkhard, den gehbehinderten 100-Kilo-Mann, schildert Manthey als ruhigen Zeitgenossen. Mehr als sieben Jahre lebte der ehemalige Metzger schon dort. "Die Eltern waren tot, ihre Bilder hingen an der Wand." Dass jemand in der Containerbaracke Besuch von Verwandten bekommen hätte, daran kann sich Manthey nicht entsinnen. Auch er selbst hat keine Kontakte mehr zur Familie. "Ich möchte alles hinter mir lassen."
Dabei schien sein Leben zunächst normal zu verlaufen. Manthey, nach einer Schlosserlehre zum Transport- und Lagerarbeiter und zum Materialökonom qualifiziert, hat bis zur Wende Arbeit in einer Berliner Textilfabrik. Er findet dann einen Job bei einer Dachdecker- und Sanitärfirma in Steglitz, ist dort bis 1996 Verkäufer. "Da war ich noch was wert", sagt er.
Als die Firma Personal abbaut, ist er der erste, dem gekündigt wird. Er zieht nach Wittenberg. Drei Kinder aus seiner zweiten, mittlerweile geschiedenen Ehe kommen nach. Als Jahre später die Tochter als letzte aus dem Haus geht, er wegen gesundheitlicher Probleme die Arbeit im Döner-Laden verliert, fühlt sich Manthey nutzlos. Spontan entschließt er sich, einfach loszuziehen. Ins Nichts. "Irgendwo wirst du schon ankommen, habe ich mir gedacht."
Er kommt dort an, wo seine Mutter und seine Großeltern begraben liegen: in Halberstadt. Im Juni 2003 wird er in die Obdachlosenunterkunft eingewiesen. Wirft öfter Pläne über den Haufen, sich eine Wohnung zu suchen. "Hier war ich wenigstens in Gemeinschaft, konnte mich nützlich machen." Manthey hilft dem Hausmeister. Er hört immer wieder mal auf zu trinken, spart für seine Zimmereinrichtung.
Jetzt lebt Manthey mit sechs anderen in zwei Drei-Raum-Wohnungen, die die Stadt in einem Plattenbau zur Verfügung gestellt hat. Erledigt den Hausputz, sorgt für saubere Wäsche und deren Zuteilung. Aus der Wärmestube des Franziskanerklosters erhalten die Männer jede Woche Verpflegung: Brot, Eier, Wurst, Joghurt. "Hier hat man auch immer ein offenes Ohr für uns", sagt Manthey dankbar.
Die ausgebrannten Baracken sind abgerissen. Noch in diesem Jahr soll eine neue zentrale Obdachlosenunterkunft eingerichtet werden. Dort wird auch Manthey leben. Die Kraft, sich eine eigene Wohnung zu nehmen, hat er nicht mehr. Zumal die Ärzte dem Schwerkranken nur noch rund ein Jahr zum Leben prognostizieren.