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Bildungsstreik Bildungsstreik: Zelten für die Bildung

Von ANNE PASSOW 16.06.2009, 18:24

HALLE/MZ. - Hella Proetzel hat davon nicht viel gemerkt. "Ich habe wunderbar geschlafen", sagt die junge Frau, krabbelt aus ihrem olivgrünen Zelt und macht sich mit ihrer Zahnbürste auf den Weg zur öffentlichen Toilette der Uni.

Seit Montag vergangener Woche zeltet die 20-jährige Studentin der Politikwissenschaft und der Soziologie gemeinsam mit etwa 20 Mitstreitern auf dem Campus. Außerdem haben die Protestierenden seit dieser Woche im Rahmen des Bildungsstreiks die Institute für Ethnologie und für Sprechwissenschaft sowie ein Vorlesungsgebäude besetzt. "Wir sind gegen die jetzige Umsetzung des Bologna-Prozesses", sagt Proetzel. Dass bis 2010 europaweit die Abschlüsse Bachelor und Master eingeführt werden sollen, begrüßt sie. Aber sie ist dagegen, dass es nicht für alle Bachelorstudenten einen Masterstudienplatz gibt. Das Masterstudium baut auf die Bachelor-Ausbildung auf. Sie ist mit sechs Semestern kürzer als die früheren Diplom- und Magisterstudiengänge.

Weiterer zentraler Kritikpunkt der Protestierenden: Die Sparvorschläge von Landes-Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD), die er vergangene Woche in einem Strategiepapier vorgelegt hatte. Sollten den Hochschulen Sachsen-Anhalts in den nächsten zwei Jahren tatsächlich bis zu 35 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen, befürchtet Robin May "gnadenlos überfüllte Seminarräume. Die Situation ist jetzt schon kritisch", sagt der Politik- und Philosophiestudent. Und er berichtet von einer Veranstaltung Anfang des Semesters. "Der Raum war für 150 Leute ausgelegt, wir waren 300, passten also nicht rein. Der Professor hat uns alle wieder nach Hause geschickt - weil es einfach keinen Sinn hatte."

May schlägt vor, Veranstaltungen mehrfach in der Woche anzubieten, doch der 21-Jährige weiß, dass seine Universität das kaum leisten kann, sollte das Land die Kürzungen wahr machen. Er befürchtet, dass die Uni dann weitere Lehrveranstaltungen und Professorenstellen streicht.

Als er vor zwei Semestern aus Coswig (Kreis Wittenberg) nach Halle kam, hatte May sich sein Studium anders vorgestellt. Von praxisnahem und selbstbestimmten Lernen hatte er geträumt. Doch: "Wir müssen viel stupide auswendig lernen." Für Halle hatte er sich entschieden, weil es dort keine Studiengebühren gibt und weil er eine gute Lernatmosphäre erwartete, keinen Massenbetrieb. "Ich wollte hier leben und studieren, nicht leben, um nur zu studieren", sagt er. Neben seinem Studium engagiert er sich bei verschiedenen politischen Projekten, kommt aber immer wieder in Konflikt mit seinem Lernpensum. "In den sechs Semestern Regelstudienzeit werde ich meinen Bachelor so sicher nicht schaffen", sagt er und fordert "weniger Stoff, dafür ein Studium mit mehr Schwerpunkten".

Doch nicht alle Studenten der Uni Halle ziehen an einem Strang. Neben dem harten Kern der Protestierenden und den zusätzlichen Teilnehmern an den Diskussionsrunden trifft man etwas abseits des Löwengebäudes auch Studenten, die gar nicht wissen, warum ihre Kommilitonen streiken.

Und man trifft Leute, die sich bewusst nicht am Ausstand beteiligen, wie Marcus Gedai. Der 20-jährige Student der Betriebswirtschafts- und Volkswirtschaftslehre will die Forderungen der Streikenden nicht bedingungslos unterschreiben. "Natürlich spürt jeder Student, dass in unserem Bildungssystem etwas im Argen liegt", sagt er. Gute Kritikpunkte der Protestierenden, wie ihr Engagement gegen Stellenkürzungen, würden allerdings von sinnlosen Forderungen überlagert. "Man kann nicht einfach mehr Geld verlangen, wenn keines da ist", sagt Gedai. Besonders wendet er sich gegen die Forderung, dass Bachelor- und Master-System zu reformieren. "Wir brauchen gerade in Deutschland gute Fachkräfte, um im europäischen Wettbewerb zu bestehen. Dass nicht jeder einen Master machen kann, ist notwendig, damit das Masterstudium ein Qualitätssiegel ist", sagt Gedai.

Hella Proetzel will ihren Master unbedingt machen. Auf dem Weg dahin fühlt sie sich allerdings oft allein gelassen. "Ich hätte gerne mehr Ansprechpartner, die sich um unsere Probleme kümmern", sagt sie. Sie wird auch am Mittwoch wieder bei der abendlichen Diskussionsrunde dabei sein, Plakate malen und irgendwann nach Mitternacht in ihr olivgrünes Zelt kriechen. "Bis Freitag ziehen wir das noch durch", sagt sie. Und wenn die Uni bis dahin keine Zusagen gemacht hat? "Dann machen wir weiter", sagt Proetzel. Sie ist darauf vorbereitet, weitere Nächte vor dem Löwengebäude statt in ihrem Bett zu verbringen - bei Wind und Wetter.