Autobahn 14 Autobahn 14: Verkehr rollt über Umleitungen
KÖTHEN/MZ. - Fast 50 Kilometer ist die U 100 lang, eine Notlösung und quasi über Nacht ausgeschildert. In weitem Bogen führt die zusätzliche Ausweichroute den Verkehr um die Abriss-Brücke auf der A 14. Trotzdem erleben Autofahrer nur eine einzige Stau-Strecke - bedingt empfehlenswert für Leute mit viel Zeit und guten Nerven. Auf dieser Tour dauert die Fahrt von Halle bis zur Wiederauffahrt hinter Bernburg reichlich drei Stunden. Normalerweise reicht diese Zeit, um bis nach Magdeburg und zurück zu kommen. Hier Erlebnisse von unterwegs.
Blick in den Rückspiegel. Rasend schnell nähert sich ein grauer Porsche und überholt. Wenig später beginnt das Konzert seiner Bremsleuchten. Der Grund: Kurz vor der Ausfahrt Tornau steht nur noch eine Fahrspur zur Verfügung. Und die Autobahnpolizei auf dem Standstreifen lässt das Blaulicht blinken. Da helfen selbst 500 PS nicht weiter. Wie in Zeitlupe schiebt sich Blech an Blech von der Autobahn in Richtung Landstraße. Auf der Gegenfahrbahn rollt ein Sattelschlepper in Richtung Abriss-Brücke. Sein Gepäck: ein Bagger.Rechts abbiegen, da vorn liegt Oppin. Lkw steht an Lkw, dahinter ein Wohnmobil aus den Niederlanden. Eine Dachluke öffnet sich. Die Beifahrerin schaut heraus und rudert mit den Armen. Offenbar geht es ihr nicht schnell genug. Es geht nur ruckweise voran, immer 40, 50 Meter. Im Dorf steht eine Tempo-Messanlage, die sonst Schnellfahrer zur Rücksichtnahme ermahnen soll. Die Anzeige signalisiert jetzt Geschwindigkeiten zwischen fünf und acht Kilometern pro Stunde.
Wer die Ampel hinter sich gelassen hat, darf sanft das Gaspedal berühren. Über Brachwitz und Schrenz nähert sich der Konvoi in langsamer Fahrt dann Zörbig. Unterwegs macht ein Lastzug aus Tschechien schlapp. Mit dampfendem Motor rangiert ihn der Fahrer auf eine befestigte Fläche am Sportplatz. Der Mann spuckt wütend auf den Kies. Ihm steht eine besonders harte Geduldsprobe bevor. Ehe Helfer eintreffen, ist bestimmt Abend. Wenn die Wartezeit bis zum Wochenende dauern sollte, kann er gleich zur Disko mit Wodka gehen. So steht es auf einem Plakat.
Weiter nach Zörbig. Die Stadt erwartet Besucher mit "Herzlich Willkommen" und einer offenbar desolaten Überfahrt. Auf alle Fälle kommen die Fahrzeuge in Höhe eines Supermarktes nur im Wechselspiel über die Brücke. Wer bisher noch nicht flucht, hier kann es passieren. Einmal in der Stadt, erwartet die Trucker ein Problem, das wohl alle einfach ignorieren. Die U 100 führt nämlich über eine Straße, die eigentlich nur für Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen zugelassen ist. Ach, und die Radfahrer. Müssen die Pedalritter gerade jetzt ihren Wagemut beweisen? Sie kurven wie an normalen Tagen durch die Gegend. Dass niemand von ihnen an einem Kühler hängen bleibt, ist reine Glückssache.
Endlich die Bundesstrasse 183. Wer kann, entschwindet nach rechts in Richtung A 9 oder ins 16 Kilometer entfernte Bitterfeld. Nichts wie weg. Die meisten Fahrzeuge steuern jedoch entsprechend der U 100 scharf nach links - 16 Kilometer bis nach Köthen. Einmal auf dem glatten Asphalt der Bundesstraße wächst die Hoffnung: Flott kommt man voran. Die Tacho-Nadel ist enthemmt - 20, 40, 60. Gibt es so etwas? 80 Kilometer pro Stunde sind hier auf der U 100 drin. Der Abzweig nach Stumsdorf. An dieser Stelle ist nur 70 erlaubt. Niemand stört sich dran.
Nur die großen Lkw stören. Stoisch ziehen sie ihre Bahn. Am besten, man macht mal eine Pause - in Weißandt-Gölzau. Das meint auch Jerzy Koslowski aus Przemysl in Ostpolen. Er will mit dem betagten Lieferwagen gebrauchte Möbel von seiner Schwester holen, die in Bremen lebt. Dienstagmorgen ist der Tischer daheim aufgebrochen. "Da kommt es auf eine Stunde mehr oder weniger nicht an." Über die Fußball-EM sei er bestens informiert, ein Weltempfänger macht es möglich. Also volltanken und eine Bockwurst mit viel Senf. Kommentar der Frau an der Kasse: "Wir haben fast doppelt so viele Kunden wie sonst." Vielleicht ist auch deshalb der Treibstoff etwas teurer als in Halle. Andreas Zipfel und Peer Roßnagel, zwei Malergesellen aus Leipzig auf dem Weg nach Magdeburg. "Wir kommen wieder, wenn der Stau vorbei ist", sagt Zipfel. Und Roßnagel hofft: "Das könnte am Wochenende passieren." Dann soll die A 14 wohl wieder befahrbar sein. Auf alle Fälle lockt die beiden Sachsen ein Restaurant im Ort. Auf einem Flyer wirbt es mit orientalischem Bauchtanz.
Irgendwann kommt ein freundlicher Autofahrer, der es erlaubt, sich in den Konvoi einzufädeln. Abstand halten. Mit Tempo 50 rollt die Karawane an Hopfenfeldern vorbei. Dort stehen Pferde auf der Koppel. Da drehen sich ruhig die Flügel am Windrad. Plötzlich Hupen, Bremsen quietschen. Ein Geländewagen scheint es eilig zu haben. Der Fahrer überholt riskant, nutzt jede Lücke, um voran zu kommen. Ein Wäscherei-Lieferant folgt ihm fast Stoßstange an Stoßstange, trotz dichten Gegenverkehrs. Beinahe hätte es gekracht.
Köthen in Sicht - aber eben nur in Sicht. Zwei Nadelöhre sind zu passieren: eine Ampelkreuzung und die Auffahrt ohne Verkehrsregler in Richtung Bernburg. Wer mitten am Kranbau Köthen im Stau steckt, muss warten - ausbrechen unmöglich. Hilfe, das Chaos nimmt auch in Bernburg kein Ende. Hoffentlich ist die Schranke am Solvay-Werk oben. Die Kolonne ruckelt. Eine Ampel, noch eine Ampel, endlich geht es über die Saale, dann flott in Richtung A 14. Aber reichlich drei Stunden für 50 Kilometer - was zu viel ist, ist zu viel.
