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Ausweg aus Fachkräftemangel Ausweg aus Fachkräftemangel: Ein neues Lächeln aus China

Von Katrin Löwe 11.03.2015, 08:32
Wolfgang Schuth, Landeschef der Arbeiterwohlfahrt, mit seinen neuen Kollegen aus China: Rongmei Yang, Xiao Zhang, Mulin Lin, Lijia Gou und Yinying Hou (von links).
Wolfgang Schuth, Landeschef der Arbeiterwohlfahrt, mit seinen neuen Kollegen aus China: Rongmei Yang, Xiao Zhang, Mulin Lin, Lijia Gou und Yinying Hou (von links). Jens Schlüter Lizenz

Magdeburg - Margot Krüger ist 71 Jahre alt, lebt seit einem Jahr im Magdeburger Seniorenzentrum „Hilde Ollenhauer Haus“. Die ehemalige Gymnasiallehrerin sitzt im Rollstuhl, braucht selbst bei einfachen Tätigkeiten Hilfe. Aber ihr Geist ist wach - und jetzt, jetzt lernt sie mit offensichtlichem Spaß ihre ersten Brocken Chinesisch. „Guten Tag“ und „Dankeschön“ klappt schon hervorragend. „Wir helfen uns gegenseitig. Mulin fragt mich, dann sage ich ihr Worte - und umgekehrt“, erzählt die Seniorin. Die Begeisterung über die junge Frau aus Fernost ist ihr anzumerken.

Mulin Lin ist 23 Jahre alt und stammt aus Hénán, einer Provinz in der östlichen Mitte Chinas. Mit drei weiteren jungen Frauen und einem Mann ist sie vor einem Monat aus dem Reich der Mitte aufgebrochen, um hier in Deutschland in der Altenpflege zu arbeiten. Es ist ein Pilotprojekt in zwei Heimen in Sachsen-Anhalt, sagt Wolfgang Schuth, Landesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Geboren aus dem Fachkräftemangel.

Das Land und das Altersproblem

Schätzungen zufolge fehlen bereits heute in Deutschland rund 30 000 Pflegekräfte. Mit einer älter werdenden Bevölkerung wird sich das Problem in den kommenden Jahren noch verschärfen. „Auf uns kommen nicht nur die geburtenschwachen Jahrgänge zu“, sagt Schuth in Bezug auf fehlenden Pflegernachwuchs, „sondern auch noch die Baby-Boomer, die in den nächsten Jahren in Rente gehen“. Dazu komme, dass Sachsen-Anhalt bundesweit das älteste Pflegepersonal habe. „Mindestens 1500 Pflegekräfte im Jahr müssen ersetzt werden.“

Allein mit der Nachwuchssuche hierzulande, mit Aus- und Fortbildung sei die Lücke nicht zu schließen. Schon heute gebe es Aufnahmestopps in Heimen, weil der Personalbedarf nicht gedeckt werden könne. „Pflege ist in Sachsen-Anhalt der Jobmotor schlechthin. Aber wir merken seit geraumer Zeit, wie schwer es ist, Fachkräfte zu bekommen“, so Schuth.

Deshalb ging der Blick der Awo unter anderem nach China. Über eine Personalvermittlungsagentur sind dort die fünf neuen Mitarbeiter angeworben worden, die in zwei Magdeburger Awo-Heimen ihren Dienst angetreten haben. Ähnliche Projekte gibt es seit 2014 bereits in Hessen und Thüringen. Die neuen Kollegen sind in ihrer Heimat zwei Jahre lang auf den Wechsel vorbereitet worden. Sie haben bereits als Krankenschwester - wie Lin - oder als Pfleger gearbeitet. Und sie haben acht Monate lang Deutschunterricht gehabt.

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In Deutschland haben sie jeweils einen Mentoren, Awo-Mitarbeiterin Christiane Theuerkauf lotst sie zudem durch die bürokratischen Hürden: Sie hat die Anmietung von zwei Wohnungen organisiert, managt Verträge zu Stromlieferung und alle anderen Notwendigkeiten. „Wichtig war auch eine Internet-Anbindung“, sagt sie. Xiao Zhang nickt. „Ich telefoniere täglich über Internet mit meinen Eltern.“ Ein bisschen Heimweh, sagt auch Mulin Lin, habe sie schon. Aber Deutschland gefällt ihr - die Landschaft sei schön, die Menschen seien freundlich.

Warum sie den Sprung in die Fremde gewagt hat? Es sei ihre Chance gewesen, ein neues Land und andere Menschen kennenzulernen, sagt Lin. Ähnlich äußert sich auch Xiao - mit einem Zusatz. „Ich liebe deutschen Fußball!“ Vor allem Bayern München hat es dem 24-Jährigen angetan. „Wenn sie nach China zurückgehen, haben sie dort auch gute Perspektiven“, betont Schuth. Zunächst sollen die neuen Helfer - bezahlt wie ihre deutschen Kollegen - vier bis fünf Jahre bleiben. Sie könnten dann in China Botschafter für Deutschland sein, so der Awo-Chef. Oder aber auch hier bleiben. „Vielleicht für immer“, sagt Mulin Lin.

Noch zwei Prüfungen

Momentan arbeiten die fünf jungen Leute aus Fernost als Pflegeassistenten - helfen beim Waschen, beim Ankleiden und Essen ebenso wie bei kleineren pflegerischen Tätigkeiten wie Blutdruckmessen. Wenn alles gut geht, haben sie in drei Monaten sowohl die Prüfung zur Anerkennung ihres chinesischen Berufsabschlusses als auch eine Deutsch-Prüfung hinter sich und können ganz normal als Pflegekräfte arbeiten.

Fachlich haben Schuth oder auch Heimleiterin Doris Meier überhaupt keine Bedenken. „Man merkt, dass sie den Beruf gelernt haben“, so Meier. Gut an komme im Heim auch die Mentalität der Asiaten: nett, fleißig, aufgeschlossen. „Sie lacht viel“, sagt eine Mitarbeiterin über Lin.

Damit auch die Sprachhürde kleiner wird, erhalten alle fünf derzeit zwei Tage in der Woche den ganzen Tag lang Sprachunterricht. Der Rest kommt im Alltag - mit Heimbewohnern wie Margot Krüger. „Ich wollte ihr Trinkröhrchen beibringen“, erzählt die Rentnerin. Am Ende haben sich Mulin Lin und sie auf Trinkhalm geeinigt - ist leichter und stand in Lins Internet-Wörterbuch.

Die 23-jährige Chinesin hat neben der Sprache im Moment eigentlich nur ein Eingewöhnungs-Problem: das Essen. „Ich China essen wir dreimal am Tag warm.“ Nun, in Magdeburg gibt es auch mal Brötchen mit Käse. Lin zeigt eines ihrer typischen Lächeln und sagt: „Ich mag Käse nicht.“ (mz)

Mulin Lin misst bei der 71-jährigen Margot Krüger den Blutdruck. Die Seniorin ist froh über jede helfende Hand im Heim und versteht sich gut mit der freundlichen Chinesin. Von ihr hat sie sogar ein paar Brocken der fernöstlichen Sprache gelernt.
Mulin Lin misst bei der 71-jährigen Margot Krüger den Blutdruck. Die Seniorin ist froh über jede helfende Hand im Heim und versteht sich gut mit der freundlichen Chinesin. Von ihr hat sie sogar ein paar Brocken der fernöstlichen Sprache gelernt.
Jens Schlüter Lizenz